2006-11-05 12:52:11

D: "Europa politisch zusammenführen"


RealAudioMP3 Der "Vater des Euro", Ex-Bundesbank-Chef Hans Tietmeyer wird in diesen Tagen 75 Jahre alt. Tietmeyer ist auch im Vatikan ein gerngesehener Berater. Hier ist unser Interview der Woche mit dem aus dem Münsterland stammenden Professor.

Es ist unbestreitbar eine Großleistung, dass es in ganz Europa - zum ersten Mal in der Geschichte - eine einzige, gemeinsame Währung gibt. Aber hat sich Einführung des Euro auch auf das politische Zusammenwachsen Europas ausgewirkt?

'Sicherlich noch nicht genügend. Hier gibt es in der Tat noch deutliche Probleme. Zunächst einmal haben wir ja nur 12 Staaten, die dem Eurogebiet angehören. Insofern ist es so, dass wir innerhalb Europas unterschiedliche Integrationsbindungen haben. Das zweite ist, dass die erwartete Entwicklung nach der Einführung des Euro in Richtung einer besseren politischen Integration der teilnehmenden Staaten noch nicht stattgefunden hat. Der Verfassungsvertrag sei nicht akzeptiert worden, so Tietmeyer weiter - es hat noch keine Weiterentwicklung der politisch-institutionellen Struktur gegeben, und es hat noch keine weitere demokratische Kontrolle des Gesamtsystems Europa gegeben. Das heißt: hier seien noch viele Fragen offen. Und die Erweiterung habe dazu geführt, dass die Unterschiede untereinander zum Teil sogar noch größer geworden sind und es immer schwerer wird, ein gemeinsames Ziel der politischen Integration zu finden. Dies ist in der Tat ein wichtiges Problem. Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass sich die europäischen Staaten darüber verständigen: was ist denn nun das wirklich längerfristig angestrebte Integrationsziel und wie muss die politisch institutionelle Struktur dafür aussehen?'

Sie wissen, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich über den Euro beklagen. Vielmehr über seine Kaufkraft. Können Sie diese Leute verstehen?

'Ich kann das zum Teil verstehen, aber ich glaube, das entspricht nicht mehr der vollen Wirklichkeit. Das ist in den einzelnen Ländern allerdings unterschiedlich. Und damit spreche ich wieder die unterschiedliche Entwicklung in den Ländern an. In einigen Ländern sind die Preisanstiegsraten höher als in anderen. Das hängt damit zusammen, dass in einigen Ländern die notwendigen Anpassungen und Änderungen nicht schnell genug und hinreichend genug vorgenommen werden, während es in anderen Ländern sehr wohl erfolgreiche Anpassungprozesse gibt. Hier zeigt sich, dass man auf Dauer in einer Währungsunion doch ein hinreichendes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in allen Bereichen der Währungsunion braucht. Ich glaube aber, dass wir insgesamt sagen können, dass der Euro in seiner Kaufkraft sehr wohl stabil ist, und er ist auch eine weltweit anerkannte Währung'.

In der Kirche nennt man es Nächstenliebe, in der Gesellschaft Solidarität: Begreifen wir uns als eine Gesellschaft, in der wir solidarisch miteinander umgehen oder ist sich jeder selbst der Nächste?


'Ich glaube, beides gilt. Wir dürften nicht so tun, als würde das eine der andere ausschließen. Auf der einen Seite trägt der Einzelne die Verantwortung für sich selbst, aber zur gleichen Zeit trägt er auch die Verantwortung für seine Umwelt,für seine Mitmenschen, für das 'bonum comune'. Das darf man nicht gegen einander ausspielen, sondern man muss beide Seiten der Verantwortung sehen. Wir müssen erkennen, dass der Mensch eine Person ist, die zunächst Eigenverantwortung erkennt und deswegen auch auf dem eigenen Recht pochen muss, auf der anderen Seite aber auch sozusagen Verantwortung erkennt für den anderen. Es sei interessant, argumentiert Hans Tietmeyer an dieser Stelle, dass es den berühmten Satz gibt: Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst. Das heiße nicht, dass man allein den Nächsten lieben, sondern auch sich selbst lieben muss. Beides müsse in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen.'
Die Fragen stellte Aldo Parmeggiani.
Unser Audio-Dossier bietet das vollständige Interview mit Prof. Tietmeyer.
(rv 05.11.06 sk)







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