Der "Vater des Euro",
Ex-Bundesbank-Chef Hans Tietmeyer wird in diesen Tagen 75 Jahre alt. Tietmeyer ist
auch im Vatikan ein gerngesehener Berater. Hier ist unser Interview der Woche mit
dem aus dem Münsterland stammenden Professor.
Es ist unbestreitbar eine Großleistung,
dass es in ganz Europa - zum ersten Mal in der Geschichte - eine einzige, gemeinsame
Währung gibt. Aber hat sich Einführung des Euro auch auf das politische Zusammenwachsen
Europas ausgewirkt?
'Sicherlich noch nicht genügend. Hier gibt es in der Tat
noch deutliche Probleme. Zunächst einmal haben wir ja nur 12 Staaten, die dem Eurogebiet
angehören. Insofern ist es so, dass wir innerhalb Europas unterschiedliche Integrationsbindungen
haben. Das zweite ist, dass die erwartete Entwicklung nach der Einführung des Euro
in Richtung einer besseren politischen Integration der teilnehmenden Staaten noch
nicht stattgefunden hat. Der Verfassungsvertrag sei nicht akzeptiert worden, so Tietmeyer
weiter - es hat noch keine Weiterentwicklung der politisch-institutionellen Struktur
gegeben, und es hat noch keine weitere demokratische Kontrolle des Gesamtsystems Europa
gegeben. Das heißt: hier seien noch viele Fragen offen. Und die Erweiterung habe dazu
geführt, dass die Unterschiede untereinander zum Teil sogar noch größer geworden sind
und es immer schwerer wird, ein gemeinsames Ziel der politischen Integration zu finden.
Dies ist in der Tat ein wichtiges Problem. Ich halte es für außerordentlich wichtig,
dass sich die europäischen Staaten darüber verständigen: was ist denn nun das wirklich
längerfristig angestrebte Integrationsziel und wie muss die politisch institutionelle
Struktur dafür aussehen?'
Sie wissen, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich
über den Euro beklagen. Vielmehr über seine Kaufkraft. Können Sie diese Leute verstehen?
'Ich kann das zum Teil verstehen, aber ich glaube, das entspricht nicht mehr
der vollen Wirklichkeit. Das ist in den einzelnen Ländern allerdings unterschiedlich.
Und damit spreche ich wieder die unterschiedliche Entwicklung in den Ländern an. In
einigen Ländern sind die Preisanstiegsraten höher als in anderen. Das hängt damit
zusammen, dass in einigen Ländern die notwendigen Anpassungen und Änderungen nicht
schnell genug und hinreichend genug vorgenommen werden, während es in anderen Ländern
sehr wohl erfolgreiche Anpassungprozesse gibt. Hier zeigt sich, dass man auf Dauer
in einer Währungsunion doch ein hinreichendes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
in allen Bereichen der Währungsunion braucht. Ich glaube aber, dass wir insgesamt
sagen können, dass der Euro in seiner Kaufkraft sehr wohl stabil ist, und er ist auch
eine weltweit anerkannte Währung'.
In der Kirche nennt man es Nächstenliebe,
in der Gesellschaft Solidarität: Begreifen wir uns als eine Gesellschaft, in der wir
solidarisch miteinander umgehen oder ist sich jeder selbst der Nächste?
'Ich
glaube, beides gilt. Wir dürften nicht so tun, als würde das eine der andere ausschließen.
Auf der einen Seite trägt der Einzelne die Verantwortung für sich selbst, aber zur
gleichen Zeit trägt er auch die Verantwortung für seine Umwelt,für seine Mitmenschen,
für das 'bonum comune'. Das darf man nicht gegen einander ausspielen, sondern man
muss beide Seiten der Verantwortung sehen. Wir müssen erkennen, dass der Mensch eine
Person ist, die zunächst Eigenverantwortung erkennt und deswegen auch auf dem eigenen
Recht pochen muss, auf der anderen Seite aber auch sozusagen Verantwortung erkennt
für den anderen. Es sei interessant, argumentiert Hans Tietmeyer an dieser Stelle,
dass es den berühmten Satz gibt: Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst. Das heiße
nicht, dass man allein den Nächsten lieben, sondern auch sich selbst lieben muss.
Beides müsse in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen.' Die Fragen stellte
Aldo Parmeggiani. Unser Audio-Dossier bietet das vollständige Interview mit Prof.
Tietmeyer. (rv 05.11.06 sk)