Vatikan: Pius XII. und der "Kreuzzug der Nächstenliebe"
Israels Botschafter
beim Heiligen Stuhl, Oded Ben-Hur, hat den Vatikan aufgefordert, das Seligsprechungsverfahren
für Papst Pius XII. ruhen zu lassen, bis die Akten seines Pontifikats vollständig
zugänglich sind. Dies entspreche einer "Sensibilität für die jüdischen Brüder und
Schwestern", sagte der Diplomat heute der KNA. Es gebe noch viele Überlebende des
Holocaust, die ihre "eigene Wahrheit" über die Vorgänge während der NS-Zeit mit sich
trügen. Deshalb müssten die Grundlagen für ein moralisches Urteil über das von 1938
bis 1958 amtierende Kirchenoberhaupt für alle einsehbar sein, so der Botschafter. In
Italien ist jetzt ein neues Buch erschienen: "Der Heilige Stuhl und die Judenfrage
(1933-1945)". Autor ist Alessandro Duce, Jurist an der Universität Parma und Spezialist
für internationale Beziehungen. Er betont vor allem das humanitäre Engagement des
Heiligen Stuhls für die Juden. "Die Kirche war damals nicht in der Situation,
unbeteiligte Beobachterin zu sein und auch nicht Komplizin. Die Kirche war selbst
in der Situation, verfolgt zu sein. Die Unterzeichnung des Konkordats hat daran nichts
geändert. Die Hilfe, die die Kirche den Juden geben kann, ist die Hilfe eines Verfolgten,
nicht die Hilfe, die einer geben kann, der unter normalen Bedingungen lebt oder gar
die Hilfe eines Freundes der Berliner Regierung. Die Lehrmeinung der Kirche war klar
und steht keinesfalls zur Diskussion: Atheistischer Totalitarismus und die Rassenlehre
werden verurteilt. Die christlich-katholische Lehre ist der des Nationalsozialismus
absolut entgegengesetzt. Und hinter all diesen Initiativen stand immer Pius XII." Der
Streit um Pius XII., die Vorwürfe, er habe zu wenig für die Juden und gegen den Nationalsozialismus
getan, kommt nicht von ungefähr, so Duce. "Das hängt damit zusammen, dass er
von der Judenfrage und der Verfolgung der Juden explizit wenig gesprochen hat. Er
sagt: 'Ich weiß, dass ich wenig gesagt habe. Ich habe es gemacht, um die Lage der
Verfolgten nicht noch zu verschlechtern.' Der 'Kreuzzug der Nächstenliebe' der Caritas,
ist dagegen enorm. Er und seine Mitarbeiter treiben ihn voran zugunsten aller, die
vom Krieg betroffen sind, also auch zugunsten der Juden. Nicht zuletzt beherbergt
er selbst einige im Vatikan." (rv 26.10.06 bp)