2006-10-17 16:34:11

D: Marx, Armutsdebatte neu - Situation alt


RealAudioMP3 "Unterschicht", "Klassengesellschaft", "neue Armut". Politiker aller Coleur und aller Schichten streiten über Begrifflichkeiten. Auslöser ist eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel "Gesellschaft im Reformprozess". Demnach zählen acht Prozent der deutschen Gesellschaft zu Menschen, die sich in unsicheren Arbeitsverhältnissen und einer prekären Lebenslage und sozialer Lethargie befinden. In den neuen Bundesländern ist es gar jeder fünfte, im Westen nur jeder 25. Der deutsche Sozialbischof, Reinhard Marx aus Trier, ist von all dem Aufruhr überrascht, "denn wir sprechen in der Kirche schon seit vielen vielen Jahren von einer Verfestigung der Armutssituation. Wir haben seit über 20 Jahren eine Massenarbeitslosigkeit in Deutschland, eine stärkere Langzeitarbeitslosigkeit. Wir haben Armutsberichte der Caritas gehabt, wir haben Armutsforschung gehabt. Aber manchmal ist man wirklich erstaunt, dass erst ein Reizwort wie das Wort 'Unterschicht' einige dann wach ruft, um die Realitäten wahrzunehmen. Die Situation ist seit langem bekannt."
In Berlin ist jetzt die Debatte über Mitverantwortung und Altlasten entbrannt, Schuldzuweisungen wandern hitzig von einem zum anderen. Wer am Ende den Schwarzen Peter in der Hand hat, bleibt offen. "Man kann nicht alle Probleme lösen, das ist ja die Illusion. Die Politik will natürlich den Eindruck vermitteln, man könne alle Probleme lösen. Das kann man nicht, das ist ein langer Weg. Wir brauchen tatsächlich auf der einen Seite Bildungsinitiativen, aber wir brauchen auch tatsächlich, wie man früher zurecht gesagt hat, eine geistige Wende, so dass auch viele Menschen wieder positive Zielbilder in ihrem Leben haben, auch ein gewisses Wertfundament. Und da gebe ich dem Ministerpräsidenten Beck durchaus Recht: Die alte Arbeiterklasse hatte natürlich eine ganz andere Zielvorstellung. Sie wollte herauskommen aus einer bestimmten Situation, sie hatte auch moralische Vorstellungen, sie hatte Wertüberzeugungen."
Die Studie stützt sich auf eine Umfrage des Instituts TNS Infratest. Die Kennzeichen der so genannten neuen Unterschicht: einfacher Bildungsgrad, kaum "berufliche Mobilität" und Aufstiegswille, arbeitslos oder sehr niedriges monatliches Haushaltseinkommen, kaum Wohneigentum oder finanzielle Rücklagen, wenig familiärer Rückhalt. Für den Staat ist viel zu tun, Investitionen in Arbeit und vor allem in Bildung stehen an, so Marx. "Das andere ist natürlich, das darf man auch nicht verschweigen, dass Schule und Kindergärten nicht ersetzen können, was in der Familie nicht gelaufen ist."
Vom Staat fühlen sich die Menschen der "Unterschicht" allein gelassen, so die Studie. Viele glaubten, „Abschottung gegenüber Ausländern“ löse die Probleme. Marx äußert Verständnis: "Wo überhaupt keine Chance ist, das wird natürlich eine bestimmte Haltung noch verfestigt. Wo keine Chance auf Arbeit, auf Fortkommen da ist, da ist es natürlich auch sehr sehr schwer, Anreize zu machen, Ermutigungen auszusprechen, wenn junge Leute oder auch wenig qualifizierte sehen, sie haben überhaupt keine Chance, dann ist das natürlich deprimierend. Das schlägt zurück auf das Selbstwertgefühl, und da müssen wir etwas tun."
(rv 17.10.06 bp)







All the contents on this site are copyrighted ©.