Vor der Reise Papst Benedikts in die Türkei haben sich Mitarbeiter des internationalen
katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“ ein Bild von der Lage der Christen und dem
Zustand vieler geschichtlich bedeutsamer Orte der Christenheit in diesem Land gemacht.
Prof. Rudolf Grulich, Kirchengeschichtler an der Universität Gießen und Berater von
Kirche in Not Deutschland, für Türkeifragen schildert seine Eindrücke beim Besuch
des Hauses, in dem Maria nach dem Kreuzestod Jesu mit dem Apostel Johannes gelebt
haben soll. "Wenn der Papst Ende November die Türkei besucht, wird er auch nach
Ephesus zum Haus Mariens pilgern. Seit dem Jahr 1950 ist es Dogma der Katholischen
Kirche, dass Maria leiblich in den Himmel aufgenommen wurde. Wo aber die Gottesmutter
ihre Lebenstage nach dem Kreuzestod ihres Sohnes verbrachte, wissen wir nicht sicher.
Schon der hl. Bischof Epiphanios, der selber lange Jahre in Palästina verbrachte,
konnte um das Jahr 400 nur schreiben: „Ist sie gestorben? Wir wissen es nicht ...
Niemand kennt ihr Ende.“ Die fromme Überlieferung nannte Jerusalem als Sterbeort Mariens.
In der Sionskirche wurde ihr Heimgang verehrt und das Fest Mariä Heimgang oder Mariä
Entschlafung zum ersten Mal gefeiert. Die in der Kreuzfahrerzeit mehrfach völlig zerstörte
Kirche wurde erst wieder aufgebaut, als sich Kaiser Wilhelm II. 1898 diesen Platz
von Sultan Abdul Hamid schenken ließ und ihn dann den deutschen Katholiken übergab.
Im Beisein von über siebentausend deutschen Pilgern, darunter zwei Prinzen von Bayern,
wurde die neu erbaute Kirche eingeweiht.Im 12. Jahrhundert aber wird im Westen zum
ersten Mal das kleinasiatische Ephesus als Sterbeort Mariens erwähnt. Patriarch Michael
der Syrer vertritt diese Ansicht, da in den verstümmelt erhaltenen Konzilstexten von
Ephesus aus dem Jahre 431 vom Theologen Johannes und der jungfräulichen Gottesmutter
die Rede ist. Erst im 19. Jahrhundert berichtet wieder die 2004 selig gesprochene
deutsche Seherin Anna Katharina Emmerich in ihren von Clemens von Brentano niedergeschriebenen
Visionen, Maria habe in Ephesus gelebt und sei hier gestorben. Französische Lazaristenpatres
haben lange nach dem Tode der Seherin an Ort und Stelle gesucht und 1891 ein Haus
und ein Kirchlein ausgegraben, dessen Fundamente auf das erste Jahrhundert nach Christus
zurückgehen. Heute sind die Ruinen der alten Stadt Ephesus Ziel vieler Türkeireisender.
Österreichische Archäologen haben die untergegangene Stadt freigelegt, deren Theater
und Bibliotheken, Säulengänge und Tempel beeindrucken. Der hl. Paulus hat hier gepredigt
und den Zorn der Silberschmiede erregt, die Angst um den Verkauf ihrer heidnischen
Souvenirs hatten. Aber es sind nur wenige Besucher, die auch zum 420 Meter hohen Ala
Dagh fahren, wo sich das Heiligtum Meryemana befindet, was auf türkisch „Mutter Maria“
bedeutet. Hier steht das restaurierte Haus, das die Lazaristen vor über hundert Jahren
auf Grund der Angaben der stigmatisierten Nonne und Seherin aus Dülmen in Westfalen
fanden. Eine gute Autostraße windet sich in Serpentinen den Berg hoch und führt zu
dem bescheidenen Wallfahrtsort. Ein schmuckloses einfaches Gebäude unter Bäumen ist
alles, was zu sehen ist. Schmucklos und einfach ist auch das Innere. Eine Marienstatue
auf dem Altar erinnert an die Gottesmutter, die hier ihre letzten irdischen Tage verbrachte,
ehe sie ihr göttlicher Sohn heimholte in sein himmlisches Reich.Papst Benedikt wird
im Haus Mariens auch an seine bayerische Heimat erinnert werden, denn seit einigen
Jahren hängt eine Ikone links vom Altar, die auf Gebetsbildchen in über einem Dutzend
Sprachen von den Pilgern als Andenken mitgenommen wird. Nur wenige wissen, dass eine
Benediktinerin von Frauenchiemsee, die 2004 verstorbene Schwester Ampelia, dieses
Bild malte. Schwester Ampelia war eine Sudetendeutsche aus dem Egerland. Es kommen
leider viel zu wenige Touristen in das Heiligtum bei Ephesus, und nicht alle sind
Wallfahrer. Seit im Jahre 1922 das Christenviertel in Izmir bei der Eroberung durch
die Türken im Griechisch-Türkischen Krieg in Schutt und Asche sank und das kleinasiatische
Christentum durch den griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch fast unterging,
gibt es kaum mehr einheimische Christen in der Umgebung von Izmir, der über drei Millionen
Einwohner zählenden drittgrößten Stadt der Türkei. Unter dem Namen Smyrna war die
Stadt seit dem Altertum bekannt. Französische Schwestern betreuen das kleine Heiligtum
des Hauses Mariens, zu dem auch Musliminnen aus der Umgebung kommen, um „Meryemana“
um Hilfe in verschiedenen Nöten zu bitten. Ein türkischer Soldat kommt bei der Kirche
mit uns ins Gespräch. Er spricht reines, klares grammatikalisch einwandfreies Deutsch.
Wir staunen. „Ich habe die österreichische St.-Georgs-Schule in Istanbul besucht“,
erklärt er uns. Wir wundern uns, dass auch Muslime hier wallfahren und an der heiligen
Quelle neben der Kapelle Wasser trinken. Der Koran spricht voll Ehrfurcht von Maria,
erzählt uns der junge Türke. Auch für den Muslim ist sie begnadet und ohne Sünde von
Anfang an. „Sie glaubte an die Worte ihres Herrn und an seine Schriften und sie war
eine von den Demütigen, die sich Gott ganz ergeben“, heißt es im Koran. Das Konzilsdekret
des Zweiten Vatikanums über die nichtchristlichen Religionen betont ebenfalls die
Marienverehrung der Muslime. In der Stille und Armut des kleinen Heiligtums wird
uns der Untergang des kleinasiatischen Christentums ganz deutlich bewusst. Im Jahre
431 war Ephesus glänzender Tagungsort des Dritten Ökumenischen Konzils, auf dem die
Irrlehre des Nestorius verdammt und der Muttergottes der alte Ehrentitel Gottesgebärerin
feierlich von der Kirche bestätigt wurde. Ephesus war damals eine der größten Städte
des Römischen Reiches. Die Johannesbasilika war die größte Kirche der alten Christenheit.
Aber der Hafen der Stadt versandete, Seldschuken, Mongolen und Osmanen brachten der
glänzenden Metropole den Untergang, der schon in der Geheimen Offenbarung angekündigt
ist: „Bedenke, von welcher Höhe du gefallen bist. Ich werde über dich kommen und den
Leuchter von der Stelle rücken." Lässt sich der Leuchter wieder an seinen Platz rücken?
Ist Kleinasien der Christenheit für immer verloren?" (Quelle: kirche in not pm
11.10.06 sk)