2006-10-01 16:38:56

Bischof Koch: "Am Anfang war die Frau"


Wo in der Kirche das Maskulin-Strukturelle, das Institutionelle und Organisatorische in den Vordergrund gerückt wird, droht ihr Geheimnis verdeckt zu werden. Ein Vortrag über die marianische Dimension der Kirche von Bischof Kurt Koch (Basel) - Quelle: kath.net und Schweizer Bischofskonferenz.

„Ich bin die Magd des Herrn“, nannte Bischof Kurt Koch seinen Vortrag zur marianischen Dimension der Kirche am 10. September in Einsiedeln bei der marianischen Frauen- und Müttergemeinschaft der Schweiz. Er beklagte, dass heutzutage vielfach die Kirche „beinahe nur noch als Werk der Menschen und kaum mehr als Geschöpf Gottes und als Lebensraum seiner Gnade gesehen.“
Bischof Koch fragte weiter, ob „das heutige Verdunsten des Geheimnisses der Kirche und das Verblassen der Marienfrömmigkeit nicht mehr miteinander zusammen haben, als uns bewusst ist?“ Eindrücklich zeigte der Basler Hirte, dass „nur in diesem marianischen Licht die Kirche mehr als eine gesellschaftliche Organisation ist, nämlich ein lebendiger Organismus, genauerhin der sakramentale Organismus Jesu Christi.“
„Im Licht des Alten Testaments wird evident, was Unfruchtbarkeit und Jungfrauengeburt der Kirche auch heute sagen wollen: Gottes Heil kommt überhaupt nicht von uns Menschen und aus unserer eigenen Macht, sondern einzig und allein von Gott und seiner Gnade her.“ Dies betonte er und riet, dass die Gläubigen „immer wieder neu lernen muss, nicht nur unter dem Kreuz zu stehen, sondern auch und vor allem zum Kreuz zu stehen – mit Maria und wie Maria.“

Im Folgenden dokumentieren wir den Wortlaut des Referates:

I. Kirchenerfahrungen heute
Als „Jahrhundert der Kirche“ hat Otto Dibelius das 20. Jahrhundert an seinem Beginn angekündigt. Zur gleichen Zeit hat Romano Guardini einen „religiösen Vorgang von unabsehbarer Tragweite“ beobachtet, den er mit der Formel ausgedeutet hat: „Die Kirche erwacht in den Seelen.“ (Romano Guardini, Vom Sinn der Kirche).
Denn angesichts der fundamentalen Krise, die vom Ersten Weltkrieg ausgelöst worden war und die die Idee der Sozialität und der Gemeinschaft in eine vermassende Geschlossenheit der Menschen aufgelöst hatte, ist die Kirche als Rettung und Heilung der gesellschaftlichen Vereinsamung der Menschen erschienen.
Die Kirche ist als lebendige Gemeinschaft, die aus realen und konkreten Personen besteht, wiederentdeckt worden. Das Erwachen der Kirche in den Seelen hat Guardini vor allem in dem Vorgang wahrgenommen, dass „die Wirklichkeit der Dinge, die Wirklichkeit der Seele, die Wirklichkeit Gottes“ dem Menschen mit neuer Wucht entgegentreten: „In diesem religiösen Verhältnis steht lebendig auch der Nächste. Es gibt religiöse Gemeinschaft, und sie ist keine Ansammlung in sich beschlossener Einzelwesen, sondern eine die Einzelnen übergreifende Wirklichkeit: Kirche.“
Von daher ist es kein Zufall, dass in den Augen Guardinis die Kirche vor allem durch die Liturgische Bewegung „mit Ehrfurcht und Freude neu entdeckt“ worden ist und dass das kirchliche Leben stets durch die Liturgie erneuert wird: „Nachdem lange Zeit hindurch das religiöse Leben vor allem im individuellen Bereich gesehen worden war, wurde man der Weite und des Reichtums inne, die sich im Mitvollzug des actus ecclesiae erschliessen.“ (R. Guardini, Papst Pius XII. und die Liturgie, in: Liturgisches Jahrbuch 6)
Am Beginn des 21. Jahrhunderts befindet sich die Kirche, jedenfalls in unseren Breitengraden, in einer völlig veränderten Situation. Wenig deutet darauf hin, dass es ein „Jahrhundert der Kirche“ werden könnte. Nicht das Erwachen der Kirche in den Seelen kann wahrgenommen werden, sondern vielmehr die Tatsache, dass in den Seelen vieler Menschen die Kirche stirbt.
Dies hängt weitgehend damit zusammen, dass jenes Phänomen, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur vermassenden Geschlossenheit im gesellschaftlichen Leben geführt und das Guardini auf die Kurzformel gebracht hat: „Es war keine Gemeinschaft, sondern Organisation“, nun selbst im Lebensraum der Kirche wirksam geworden ist.
Denn in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit heute wird die Kirche beinahe nur noch als eine gesellschaftliche Organisation und Institution neben und wie andere Institutionen und nicht als Glaubensgemeinschaft wahrgenommen.
Hinzu kommt, dass selbst Glieder der Kirche ihr Verhältnis zu ihr oft mehr von der medialen Sicht als von den Vorgaben des Glaubens prägen lassen. Dies lässt sich vor allem daran ablesen, dass sich selbst Glieder der Kirche angewöhnt haben, die Kirche mehr zu kritisieren als dankbar für sie zu sein.
Darob wird leicht vergessen, dass wir der Kirche doch das Schönste verdanken, das wir in unserem Leben kennen dürfen, nämlich die befreiende Botschaft des Evangeliums. Ein wesentlicher Grund für dieses heutige Ungleichgewicht zwischen Kritik an der Kirche und Dankbarkeit für sie dürfte darin liegen, dass auch in den kirchlichen Auseinandersetzungen die Institutionen der Kirche im Vordergrund stehen, so dass sich oft ein erschreckend pragmatisches und horizontales Kirchenverständnis breit macht.
Die Kirche wird dann beinahe nur noch als Werk der Menschen und kaum mehr als Geschöpf Gottes und als Lebensraum seiner Gnade gesehen. Von daher rühren zweifellos auch manche Enttäuschung und Aufgebrachtheit gegen die Kirche.
Diese einseitige Sicht der Kirche hat ihre Wurzel darin, dass sie weithin nur noch institutionstheoretisch und strukturell gesehen wird und die über das Soziologische hinaus weisende Dimension des Mysteriums verschlossen bleibt.
Im christlichen Glaubensverständnis ist die Kirche aber sehr viel mehr als allein eine menschliche Organisation. Wäre sie nur dies, würde sie einem Skelett gleichen, das eher Furcht als Freude und eher Last als Lust an der Kirche auslöst. Als Lebensraum der Gnade Gottes ist die Kirche vielmehr ein Organismus, genauerhin der sakramentale Organismus Jesu Christi, der vor allem im sakramentalen Leben die Kirche zum „Leib Christi“ umgestaltet.
Das Eigentliche der Kirche ist deshalb dort noch nicht erfasst, wo man nur danach fragt, „was“ die Kirche ist. Denn in diesem „was“ drückt sich eine gewisse objektivierende Distanzierung des Fragenden von der Wirklichkeit der Kirche aus, die ihrem Geheimnis nicht in genügendem Mass gerecht wird.
Diesem kann man vielmehr nur dadurch entsprechen, dass gefragt wird, „wer“ denn die Kirche sei. Denn in ihrem wahren Kern ist die Kirche ein Gefüge von konkreten Personen und deshalb in erster Linie nicht ein „Was“, sondern ein „Wer“.
Der objektive Geist, der sich in den Strukturen und Institutionen der Kirche darstellt und auswirkt, setzt einen subjektiven Geist voraus, nämlich den Glauben als denjenigen Schoss, in dem der Same des göttlichen Wortes empfangen und fruchtbar werden kann. Daraus hat Hans Urs von Balthasar mit Recht die Konsequenz gezogen, dass „dort am meisten Kirche“ ist, „wo am meisten Glaube, Liebe, Hoffnung, am meisten Selbstlosigkeit und Tragen der anderen sich findet“ (H. U. von Balthasar, Wer ist die Kirche?, in: Ders., Sponsa Verbi. Skizzen zur Theologie II.)
Am meisten Kirche ist folglich dort, wo das göttliche Wort – gleichsam „in unbefleckter Empfängnis“ - entgegengenommen und fruchtbar gemacht wird. In ursprünglicher und reiner Gestalt sehen wir dies in der „Immaculata“, in Maria und ihrem „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1, 38).
In der Person Maria selbst ist deshalb Kirche vorgebildet, so dass wir auf diese Frau blicken müssen, wenn wir erkennen wollen, „wer“ die Kirche ist. Denn die erste Sendung der im Neuen Testament bezeugten Heilsgeschichte wird von Maria wahrgenommen.
Diese Frau steht am Beginn der christlichen Heilsgeschichte; und ihr Name enthält, wie Johannes Damascenus betont, „das ganze Geheimnis der Ökonomie der Inkarnation“ (J. Damascenus, De fide orthodoxa III, 12). Dabei handelt es sich nicht nur um einen zeitlichen Vorrang, sondern um einen Primat, der für die Kirche konstitutiv ist und deshalb bleibt. Denn die Kirche ist in erster Linie marianisch, während das apostolische Amt im Dienst des Marianischen steht.
Diese marianische Dimension der Kirche hat das Zweite Vatikanische Konzil vor allem mit seiner berühmten Entscheidung im Jahre 1963 zum Ausdruck gebracht, dass die Glaubenslehre über Maria nicht in einem eigenen Text dargestellt, sondern in die Dogmatische Konstitution über die Kirche aufgenommen werden soll. Im endgültigen Text finden wir sie nun im achten Kapitel mit dem Titel „Die selige jungfräuliche Gottesmutter im Geheimnis Christi und der Kirche“ dargestellt.

II. Ursprung der Kirche in Maria

Auf diese marianische Dimension der Kirche weisen aber auch bereits die Weihnachtskrippen hin, die nicht einfach volkstümliche Darstellungen von Glaubenswahrheiten sind, sondern vielmehr in deren Kernmitte hineinführen. In ihnen hat man sehr bald das Geheimnis der Kirche selbst wahrgenommen, und zwar vor allem in der Gestalt Marias.
Denn die Weihnachtskrippen zeigen, dass die Kirche in erster Linie marianisch und erst in zweiter Linie petrinisch ist: In der Tradition hat man den Bischof als Repräsentanten des petrinischen Prinzips in Josef vorgebildet gesehen. Der blühende Stab, den er auf vielen Bildern trägt, wurde dahingehend gedeutet, dass in Josef der Urtyp des christlichen Bischofs aufscheint.
 
1. Maria als Kirche in Person

Dieser eindeutige Vorrang des marianisch-fraulichen vor dem petrinisch-männlichen Prinzip weist auf eine grundlegende Relativität des Amtes in der Kirche hin: Wie Josef ist auch der Bischof als Sachwalter des Geheimnisses Gottes, als Hausvater und Hüter des Heiligtums, bestellt. Wie Maria unter dem Schutz von Josef steht, so ist dem Bischof die Kirche als Braut anvertraut.
Diese Braut steht deshalb gerade nicht zu seiner Verfügung oder gar in seiner Macht, sondern in seiner schützenden Obhut. Es ist aber Maria, auf die der Heilige Geist herabkommt und sie zum neuen Tempel, zur Kirche macht. Ihr hat jedes Amt in der Kirche zu Diensten zu sein.
Die Kirche ist deshalb nicht erst durch die objektiven Strukturen des Amtes gegeben, sie fordert vielmehr zunächst den gläubig-subjektiven Schoss des Wortes Gottes, nämlich das Glauben, Hoffen und Lieben derjenigen und dabei in exemplarischer Weise Mariens, die in dieser Grundhaltung des Empfangens und Verdankt-Seins wahrhaft Kirche sind.
Derselbe Vorrang wird wiederum sichtbar bei der Vollendung des Lebens Mariens bei ihrer Aufnahme in den Himmel, deren Feier seit dem fünften Jahrhundert bezeugt ist, und zwar an der Mariengrabkirche am Fuss des Ölbergs. Von dort verbreitete sich dieses Fest über Jerusalem im ganzen Orient und wurde auch in Rom heimisch.
Als Dogma ist dieses Geheimnis freilich erst von Papst Pius XII. im Jahre 1950 mit den Worten feierlich verkündet worden: „Die Gottesmutter Maria ist mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden.“ Auch und gerade in ihrer Vollendung ist Maria das Urbild und die eigentliche Siegelbewahrerin der ganzen Schöpfung und wird deshalb als „tota pulchra“, als ganz Schöne, gepriesen: „Im Fragment, das Maria ist, leuchtet die Schönheit des ganzen Planes Gottes über der Schöpfung auf.“ (B. Forte, Das Wesen des Christentums)
Wenn in Maria die in Christus bereits vollendete und gerettete Menschheit vor Augen tritt, dann erscheint die Vollendung der Schöpfung ausgerechnet in der Gestalt einer Frau. Was dieses Zeichen genauerhin zu bedeuten hat, dafür hat Papst Johannes Paul I. einen hilfreichen Hinweis gegeben. In seinen unter dem Titel „Ihr ergebener“ veröffentlichten fiktiven Briefen antwortete Albino Luciani auf den Vorwurf von Mädchen einer Schulklasse, die Frau würde in der katholischen Kirche benachteiligt, mit Blick auf das Geheimnis der Aufnahme Mariens in den Himmel: „Die Vollendung des Geschöpfs als Geschöpf vollzieht sich in der Frau, nicht im Mann.“
Genauerhin ereignet sich in der Vollendung der Frau freilich auch die Vollendung des Mannes, da in Maria die Fraulichkeit des ganzen Menschseins in Erscheinung tritt, das auch die Integration des Männlichen offenbart und damit die Züge der neuen Schöpfung im Herrn transparent werden lässt.
 Der Vorrang der Frau gilt im christlichen Glauben freilich nicht erst bei der Vollendung, sondern bereits in der irdischen Kirche, die zuerst fraulich ist, wobei dieses „Zuerst“ ein Bleibendes ist, wie Hans Urs von Balthasar betont hat: „In Maria ist die Kirche schon leibhaft, bevor sie in Petrus organisiert ist.“ (H. U. von Balthasar, Die marianische Prägung der Kirche, in: J. Cardinal Ratzinger / H. U. von Balthasar, Maria. Kirche im Ursprung)
Mit den Augen Mariens das Geheimnis der Kirche neu zu entdecken und von Maria her das Kirchesein zu lernen, ist ein dringendes Gebot der heutigen Stunde. Nur in der Zuwendung zum Zeichen Mariens und damit zur recht verstandenen marianisch-fraulichen Dimension der Kirche wird eine Öffnung zu ihrem wahren Geheimnis möglich.
Dort hingegen, wo in der Kirche in männlicher Art und Weise vor allem das Maskulin-Strukturelle, das Institutionelle und Organisatorische in den Vordergrund gerückt wird, droht ihr Geheimnis verdeckt zu werden, wie dies heute oft der Fall ist. Oder ist es ein Zufall, dass im heutigen Kirchenbewusstsein das männliche Bild von der Kirche als „Volk Gottes“ und nicht das frauliche Bild von Maria als ecclesia im Sinne der Braut Christi dominiert?
Hängen das heutige Verdunsten des Geheimnisses der Kirche und das Verblassen der Marienfrömmigkeit nicht mehr miteinander zusammen, als uns bewusst ist? Und sind diese beiden Ausfallserscheinungen nicht zwei Seiten derselben Medaille, nämlich der Überbetonung des Petrinisch-Männlichen und der Verdrängung des Marianisch-Fraulichen in der Kirche heute, und zwar paradoxerweise am meisten bei denen, die mit dem petrinischen Prinzip in der Kirche immer wieder Mühe bekunden?
Papst Benedikt XVI. hat mit Recht darauf hingewiesen, dass das marianische Verständnis der Kirche der entscheidende Gegensatz zu einem bloss organisatorischen oder sogar bürokratischen Kirchenbegriff ist: „Kirche können wir nicht machen, wir müssen sie sein. Und nur in dem Mass, in dem der Glaube über das Machen hinaus unser Sein prägt, sind wir Kirche, ist Kirche in uns. Erst im marianischen Sein werden wir Kirche. Kirche wurde auch im Ursprung nicht gemacht, sondern geboren. Sie war geboren, als in der Seele Marias das Fiat erwacht war.“ (J. Kardinal Ratzinger, Die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Ders., Kirche, Ökumene und Politik. Neue Versuche zur Ekklesiologie)

2. Frauliche Linie in der Heilsgeschichte

Natürlich handelt es sich dabei auch um Bilder, die man nicht pressen darf, wenn sie nicht missbraucht werden sollen. Doch die schönsten Geheimnisse des christlichen Glaubens lassen sich nicht in reinen Begriffen einfangen; sie sind zu ihrem Verständnis vielmehr auf offene und eröffnende Bilder angewiesen.
Wie bereits das Geheimnis zwischenmenschlicher Liebe nur in vielfältigen Bildern ausgedrückt werden kann, so ist auch die Liebe zwischen Gott und den Menschen darauf angewiesen, mit vielfachen Bildern besungen zu werden. Dies gilt in besonderer Weise von jenem Bild von Kirche, das uns in der Gestalt und Person Mariens entgegenkommt, in der das Neue des Kircheseins aufscheint. Verstehen lässt sich dieses Bild freilich erst, wenn wir entdecken, wie sehr sich das Geheimnis Mariens bereits im Alten Testament vorbereitet hat.
Dass in der ganzen Heilsgeschichte, die Gott mit den Menschen führt, die Frau eine entscheidende Rolle gespielt hat, tritt dann zu Tage, wenn wir den Stammbaum Jesu näher betrachten (Mt. 1, 1-17). Beim ersten Zusehen allerdings erscheint der Stammbaum Jesu als eine reine Männergeschichte. Bereits der Hinweis, dass es von Abraham bis David vierzehn Geschlechter sind, zeigt, dass es sich um einen Davidstammbaum handelt. Denn die Buchstaben, mit denen man im Hebräischen die Zahl vierzehn schreibt, sind die gleichen, die das Wort „David“ ergeben.
Sieht man freilich genauer zu, fällt in die Augen, dass in diesem Stammbaum auch fünf Frauen erwähnt werden, nämlich vier Frauen aus der jüdischen Geschichte und Maria. Noch mehr fällt auf, dass ausgerechnet jene Frauen aufgezählt werden, die als Makel in der Geschichte Israels gegolten haben und die deshalb die Reinheit eines Stammbaums zumindest in Frage stellen könnten:
Da ist an erster Stelle Tamar, die sich von Juda das ihr verweigerte Recht auf Nachkommenschaft erzwungen hat, durch die aber das Königtum an Juda getragen worden ist.
Da ist zweitens Rahab, die als Hure den Kundschaftern Israels den Weg nach Jericho erschlossen und damit die Türe ins Heilige Land geöffnet hat.
Da ist drittens Rut, die als Heidin mit einem Juden verbunden, nach dessen Tod aber wieder zur Rückkehr ins Heidentum frei gewesen ist, die sich aber dem Gott Israels verbunden gewusst hat und so zur Stammmutter der Davidischen Dynastie geworden ist.
Und da ist schliesslich Batseba, die Hethiterin gewesen ist, aber mit ihrer Zuneigung zu David seinen Gott angenommen und auf diesem Weg Mutter Salomos geworden ist.
Tamar, Rahab, Rut, Batseba: Diesen vier Frauen ist gemeinsam, dass sie Nichtjüdinnen gewesen und als heidnische Frauen an den entscheidenden Wendepunkten der Geschichte Israels erschienen sind, so dass sie mit Recht als „die eigentlichen Stammmütter des Königtums in Israel“ gelten dürfen (J. Kardinal Ratzinger / H. Schlier, Lob der Weihnacht).
Diese vier Frauen bilden die Knotenpunkte im Stammbaum Jesu, und von daher leuchtet der Zusammenhang mit der fünften Frau auf, auf die der ganze Stammbaum hinführt, nämlich mit Maria. Mit ihr wird die Männergeschichte im Stammbaum vollends relativiert.
Dass mit Maria etwas völlig Neues in die Welt eingetreten ist, wird im Stammbaum Jesu daran sichtbar, dass die einzelnen Namen stets durch das Wort „zeugte“ verbunden sind, während es jetzt heisst: „Jakob zeugte Josef, den Mann Mariens, von der Jesus geboren wurde, der Christus genannt wird“.
Da damit ausgesagt wird, dass Josef nur der Mann Mariens gewesen ist, aber Jesus nicht gezeugt hat, will der Evangelist zum Ausdruck bringen, dass Jesus nur aufgrund der rechtlichen Zugehörigkeit und nicht aufgrund der biologischen Verknüpfung dem Davidischen Stammbaum angehört.
Da freilich die rechtliche und nicht die biologische Herkunft für Israel entscheidend ist, gehört Jesus zwar mit Recht ganz in den Davidischen Stammbaum hinein. Auf der anderen Seite aber ist mit Maria und durch Maria ein ganz neuer Anfang in der Heilsgeschichte gesetzt, und zwar durch ihr Ja des Glaubens, das auf dem Glauben der Mütter Israels aufruht.
Von daher drängt sich auch die Verbindung zu Abraham, dem Vater des Glaubens, auf, die freilich einen wesentlichen Unterschied aufweist: Der Glaube Abrahams ist zum Beginn des Alten Bundes geworden, der Glaube Marias hingegen ist zur Eröffnung des Neuen Bundes geworden. Denn am Anfang des neuen Volkes Gottes steht – unbeschadet der Stellung Abrahams als „Vater der Glaubenden“ - nun Maria als „Mutter der Glaubenden“.
 
3. Das Geheimnis Maria-Kirche

Dieser Neubeginn tritt vor allem in der Verkündigungsszene im Lukasevangelium (1, 26-38) deutlich vor Augen. Sie beginnt mit dem Gruss des Erzengels Gabriel an Maria: „Freue dich, du Gnadenvolle.“ Dieses „freue dich“ hört sich zunächst an wie der im griechischen Sprachraum damals im Alltag übliche Gruss. Mit dieser Grussformel bringt Lukas aber etwas viel Tieferes zum Ausdruck. Denn auf dem alttestamentlichen Hintergrund kündigt Lukas die Freude der messianischen Zeit an.
Diese Ankündigung wird dabei mit der Zusage begründet: „Der Herr ist mit dir“. Auch diese Zusage hat ihre alttestamentliche Wurzel und beinhaltet hier die zweifache Verheissung an die Adresse Israels, der Tochter Zions, dass Gott kommen wird als Retter und dass er in ihr wohnen wird.
Diese Verheissung nimmt der Engel Gabriel auf und spricht sie nun Maria zu, womit er sie mit der Tochter Zion gleichsetzt. Dies wird noch dadurch verdeutlicht, dass der Engel verheisst, dass der Heilige Geist die Empfängnis des Sohnes Gottes bewirken wird.
Wenn Lukas für das Kommen des Heiligen Geistes auf Maria das Wort „überschatten“ verwendet, dann bezieht er sich damit auf die alttestamentlichen Berichte von der Heiligen Wolke, die über dem Zelt der Begegnung steht und damit die Einwohnung Gottes andeutet. Maria erscheint damit als das neue Heilige Zelt, die wahre Bundeslade und der neue Tempel, in denen Gott wohnt.
Damit wird auch die Anrede Marias als „Begnadete“ verständlich. Denn das griechische Wort für Gnade („charis“) leitet sich vom gleichen Wortstamm her wie das Wort für Freude („chara“). Nach biblischer Überzeugung ist die Gnade die Quelle aller Freude und kommt die Freude aus der Gnade. In seiner wahren Tiefe freuen kann sich nur, wer in der Gnade steht.
Dabei gilt es zu bedenken, dass Gnade nicht einfach ein von Gott kommendes Etwas ist, sondern Gott selbst, der auf den Menschen zukommt. Gnade ist im tiefsten ein Beziehungswort, weshalb der Zuspruch des Engels an Maria „Freude Dich, Du Begnadete“ zugleich die Zusage einschliesst, dass Gott selbst in Maria wohnt.
Der Engelsgruss in der Verkündigungsszene weist Maria als Tochter Zions aus und identifiziert sie mit dem bräutlichen Volk Gottes. Alles, was in der Heiligen Schrift über die Kirche („ekklesia“) gesagt wird, gilt deshalb in erster Linie von Maria; und umgekehrt erfährt die Kirche von Maria her all das, was die Kirche ist und sein soll. Denn Maria ist das Urbild der Kirche oder – noch adäquater – Kirche im Ursprung.
Maria ist „ihr Spiegel, das reine Mass ihres Wesens, weil sie ganz im Mass Christi und Gottes steht, von ihm ‚durchwohnt’“ (J. Cardinal Ratzinger / H. U. von Balthasar, Maria. Kirche im Ursprung). Wenn Maria so gelebt hat, dass sie für Gott ganz durchlässig und bewohnbar geworden ist, dann ist auch die Kirche zu nichts anderem berufen als dazu, in der Welt Gottes Wohnung zu sein.
Und wenn Maria Jesus in ihrem Leib gleichsam wie in einem Tabernakel getragen hat, dann hat auch die Kirche keine andere Bestimmung als die, als Tabernakel des Allerheiligsten in der Welt zu leben. Nur in diesem marianischen Licht ist die Kirche mehr als eine gesellschaftliche Organisation, nämlich ein lebendiger Organismus, genauerhin der sakramentale Organismus Jesu Christi.
Das grundlegende Urbild und die alles andere einbeziehende, begründende und tragende Urgestalt der Kirche ist Maria vor allem durch ihr Ja-Wort, durch ihr „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ geworden. In Maria findet deshalb die Kirche ihr personales Zentrum und die volle Verwirklichung der kirchlichen Idee vor.
Das Ja-Wort Mariens erhält von daher für die Kirche wie für den einzelnen Gläubigen eine prototypische Bedeutung. Weil Christus seine Kirche als seiner würdige Braut ansieht, leuchtet in Maria die personifizierte Entsprechung zwischen dem göttlichen Wort und der menschlich-geschöpflichen Antwort auf.
In dieser reinen Entsprechung spiegelt das Ja-Wort Mariens das Wort der Liebe Gottes ungetrübt – als „Immaculata“ - wieder und macht es in seiner Schönheit transparent: Maria ist „nicht das Wort, aber sie ist die adäquate Antwort, wie sie von Gott aus dem geschöpflichen Raum erwartet und in seiner Gnade durch sein Wort darin hervorgebracht wird.“ (H. U. von Balthasar, Wer ist die Kirche?, in: Ders., Sponsa Verbi. Skizzen zur Theologie II)
Dieses bräutliche Verhältnis zwischen Christus und Maria und folglich der Kirche findet ihre vollendete Gestalt in der Feier der Eucharistie. Wie Maria unter dem Kreuz Jesu zu seinem Lebensopfer Ja sagen musste und mit ihrem Glaubenseinverständnis Ja gesagt hat, so kann auch die adäquate Haltung der Kirche angesichts des eucharistischen Sich-Verströmens Christi nur im restlosen Einverstandensein mit dem Lebensopfer des Herrn liegen.
Weil die Kirche in der Eucharistie die Lebenshingabe Christi an sich geschehen und sich selbst in dieses Opfer hinein nehmen lässt, wird die Kirche am tiefsten durch dieses Einverständnis konstituiert. Denn bei der Darbringung der eucharistischen Gabe kann die Kirche nicht einfach aussen vor bleiben; sie ist vielmehr eingeladen und herausgefordert, sich in diese Darbringung persönlich hineinnehmen zu lassen und selbst eine „lebendige Opfergabe in Christus“ zu werden: „zum Lob deiner Herrlichkeit“.
Im eucharistischen Hochgebet bitten wir deshalb Gott, dass das Opfer Jesu Christi, das wir in der Eucharistie sakramental feiern, uns nicht einfach äusserlich und uns gleichsam nur gegenüber anwesend sei und uns bloss als objektives und materielles Opfer erscheine, das wir dann anschauen könnten wie die dinglichen Opfer in früheren Zeiten und anderen Religionen.
 Dann freilich hätten wir den entscheidenden Überstieg ins Christliche noch nicht gewagt. Aber wir bitten Gott, dass die Hingabe Christi an Gott und die Menschen, die wir in der Eucharistie feiern, uns innerlich werde und dass wir selbst in die Bewegung der Hingabe Jesu hineingenommen werden. Oder mit anderen Worten: Wir bitten Gott, dass wir selbst wie Christus und mit Christus Eucharistie werden.
4. Kirche als Volk Gottes vom Leib Christi her
In der Eucharistie vollzieht sich deshalb die untrennbare Einheit in der bleibenden und radikalen Verschiedenheit zwischen dem sich hingebenden Herrn und der diese Hingabe empfangenden und sich selbst in sie einbeziehenden Braut-Kirche, so dass man die Eucharistie als „die mystische Mitte des Christentums“ verstehen muss, „in der geheimnisvoll Gott immer wieder aus sich heraustritt und uns in seine Umarmung hineinzieht“( J. Cardinal Ratzinger, Eucharistie und Mission, in: Ders., Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio).
In der von Maria her verstandenen Kirche gehört deshalb die Eucharistie in die Mitte des Kirchenverständnisses selbst hinein. Denn die Kirche feiert nicht nur die Eucharistie; sie wird vielmehr von ihr her aufgebaut: „Ecclesia de eucharistia“. Von der Eucharistie her gilt es deshalb tiefer zu erfassen, was und vor allem wer Kirche ist.
Dies ist zumal in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil angezeigt, die sich durch eine gewisse Paradoxie auszeichnet. Während das Konzil die Vielfalt und die Zusammengehörigkeit verschiedener Bilder von der Kirche wie Volk Gottes, Leib Christi und Tempel des Heiligen Geistes in Erinnerung gerufen hat, ist nach dem Konzil die Sicht der Kirche in einer einseitigen Weise auf das Bildwort von der Kirche als Volk Gottes fokussiert worden.
Dies zeigt sich daran, dass vor allem das zweite Kapitel der konziliaren Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ über das Volk Gottes rezipiert, dabei aber immer mehr aus dem grösseren Zusammenhang der Konstitution, in der bereits im ersten Kapitel vom Geheimnis der Kirche die Rede ist, herausgelöst worden ist.
Mit dieser vereinseitigten Sicht der Kirche und mit der nach dem Konzil geradezu inflationär gewordenen Rede vom „Volk Gottes“ drohte auch der Genetiv „Gottes“ zu verschwinden, so dass nur noch das „Volk“ übrig blieb, was Paul M. Zulehner auf die Kurzformel brachte: „Man wollte Volk werden, vergass dabei aber, dass es ja darum ging, Volk Gottes zu werden.“( P. M. Zulehner, Kirche ereignet sich in Gemeinden, in: W. Ludin / Th. Seiterich / P. M. Zulehner (Hrsg.), Wir Kirchenträumer. Basisgemeinden im deutschsprachigen Raum)
Immer mehr wurde deshalb das Wort „Volk Gottes“ nicht vom biblischen, sondern vom soziologischen und politischen Sprachgebrauch her verstanden, bei dem das Geheimnis der Kirche nicht mehr viel zu bedeuten hatte.
Eng mit dieser Selbstsäkularisierung der Kirche verbunden wurden Bestrebungen zu einer weitgehenden Angleichung der Kirche an eine Demokratie. Die Kirche als Volk Gottes wurde deshalb stets stärker im Sinne der Volkssouveränität aufgefasst, nämlich als „Recht zur gemeinsamen demokratischen Bestimmung aller darüber, was Kirche sein und was sie tun soll“.
Der eigentliche Schöpfer und Souverän dieses Volkes, nämlich Gott, der durch den Genetiv angesprochen ist, blieb dabei aus dem Spiel; er wurde vielmehr „eingeschmolzen in das sich selbst begründende und gestaltende Volk“ (J. Kardinal Ratzinger, Communio – ein Programm, in: Communio. Internationale katholische Zeitschrift 21).
Bei einzelnen befreiungstheologischen Strömungen wurde das Wort „Volk Gottes“ sogar vom marxistischen Wortgebrauch her und damit als Gegenpol zu den herrschenden Schichten und im Sinn der Volkssouveränität verstanden und dabei gefordert, diese müsse auch in der Kirche angewendet werden.
Angesichts dieser selektiven Relektüre des Zweiten Vatikanischen Konzils und einer weitgehenden Umdeutung seines Kirchenverständnisses ist es notwendig, nach der ursprünglichen Selbstbezeichnung der Kirche und von daher neu zu fragen, in welchem Sinne die Kirche Volk Gottes ist. Denn „Volk Gottes“ kann bereits deshalb nicht die primäre und schon gar nicht alleinige Umschreibung der Kirche sein, weil die Aussagen im Neuen Testament, die vom „Volk Gottes“ reden, gerade nicht die Kirche, sondern beinahe ausschliesslich das Volk Israel bezeichnen.
Im alttestamentlichen Verständnis steht zudem - im Unterschied zur heutigen Rede vom „Volk Gottes“, die zumeist auf der horizontalen Ebene angesiedelt ist - eindeutig die vertikale Sinnrichtung der Beziehung von Gott zu seinem Volk im Vordergrund. Denn „der Ausdruck ‚Volk Gottes’ drückt die ‚Verwandtschaft’ Gottes, die Beziehung von Gott her, die Verbundenheit zwischen Gott und den als ‚Volk Gottes’ Bezeichneten aus.“ (W. Berg, „Volk Gottes“ – ein biblischer Begriff?, in: W. Geerlings – M. Seckler (Hrsg.), Kirche sein. Nachkonziliare Theologie im Dienst der Kirchenreform. Festschrift für H. J. Pottmeyer).
Trotz dieser eindeutig vertikalen Sinnrichtung gibt es im Neuen Testament die Bezeichnung „Volk Gottes“ für die von Jesus gegründete Kirche kaum. Die werdende Kirche hat sich nicht als „Volk Gottes“ verstanden, sondern im Anschluss an die jüdische Synagoge als „ekklesia“.
Während mit dem Wort „Volk Gottes“ das eigentliche und ganze Wesen des Volkes Israel umschrieben wird, ist die Kirche des Neuen Testaments nur dadurch „Volk Gottes“, dass sie es nur durch die Gemeinschaft mit Christus im Heiligen Geist wird und deshalb zugleich der Leib Christi ist und vom sakramentalen Leib der Eucharistie her aufgebaut wird.
Papst Benedikt XVI. hat deshalb bereits in seiner theologischen Dissertation 1954 die Kirche beschrieben als das neue Gottesvolk, das „Volk vom Leib Christi her“ ist (J. Ratzinger, Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche). Denn die Eucharistie, in der Christus uns seinen Leib schenkt und uns zugleich zu seinem Leib macht, ist der immerwährende Entstehungsort der Kirche, an dem er sie selbst immerfort neu begründet.
In diesem Sinne ist die Kirche nicht einfach Volk, sondern in erster Linie Versammlung, und zwar eucharistische Versammlung. Diese ist nicht etwas, das erst nachträglich zur Kirche hinzukäme, sondern ihre primäre Verwirklichung. Darauf weist bereits der Name hin, den die Eucharistie in der frühen Kirche erhalten hat. Wenn Paulus vom Herrenmahl spricht, beginnt er zumeist mit den Worten: „Wenn ihr als Gemeinde zusammenkommt“ (1 Kor 11, 18).
Eucharistie feiern und deshalb Kirche sein ist wesentlich ein Zusammenkommen. Demgemäss heisst eine der ältesten Bezeichnungen der Eucharistie „synaxis“, was Versammlung und Zusammenkunft des Volkes Gottes bedeutet. Die Kirche ist in ihrem Kern eucharistische Versammlung, und Kirche ist vor allem dort, wo Eucharistie gefeiert wird. Von daher wird man Glied der christlichen Kirche letztlich erst durch die Teilnahme an der eucharistischen Gottesdienstversammlung.
Die Kirche ist somit von der Eucharistie her nicht nur wie der Leib Christi, sondern ist der Leib Christi. Dieses eucharistische Geheimnis der Kirche bleibt aber nur dann in seinem wahren Mass, wenn in ihm das marianische Geheimnis eingebunden ist, nämlich dass die hörende und empfangende Magd, die in ihrer in der Gnade befreiten Freiheit ihr „Fiat“ spricht und so Braut und Leib wird.
In der Eucharistie verwirklicht sich so am intensivsten die bräutliche Begegnung zwischen Gott und seinem Geschöpf, wie sie exemplarisch in der Beziehung zwischen Gott und Maria betrachtet werden kann.

III. Jungfräulichkeit als Zeichen der Hoffnung

Von daher erschliesst sich auch der tiefere Sinn, warum Christus von einer Jungfrau geboren werden wollte und warum Maria als Jungfrau Mutter Jesu und Mutter der Kirche ist. An sich wäre es ja durchaus möglich gewesen, dass Jesus in einer ganz normalen Ehe geboren worden wäre.
Dass es aber beim Geheimnis der Jungfrauengeburt in keiner Weise um eine Abwertung der ehelichen Gemeinschaft geht, dies zeigt sich freilich erst, wenn wir ins Alte Testament zurückblicken und in diesem erahnen, wie sehr sich das Geheimnis Mariens erneut bereits im Alten Testament vorbereitet hat:
Dieses Geheimnis ist vorgebildet in Sara, die unfruchtbar gewesen ist und erst im hohen Greisenalter, als ihre Lebenskräfte dahingeschwunden waren, zur Mutter Isaaks und damit zur Mutter des erwählten Volkes geworden ist, und zwar allein durch die Kraft Gottes. Dieses Geheimnis wird wiederum sichtbar in Anna, der Mutter Samuels, die ebenfalls als Unfruchtbare schliesslich neues Leben geboren hat, und wiederum bei Elisabeth, der Mutter des Johannes des Täufers.
In dieser Reihe steht Maria, die als Jungfrau Jesus das Leben geschenkt hat, wie der Evangelist Matthäus die Geburt Jesu kommentiert und in ihr die prophetische Verheissung erfüllt sieht: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heisst übersetzt: Gott ist mit uns“ (1, 23).
Der Inhalt auch dieser Verheissung hat alttestamentliche Wurzeln. Der evangelische Alttestamentler Hartmut Gese hat einleuchtend gezeigt, dass die Juden in Alexandria, die die Heilige Schrift aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt und damit die Septuaginta geschaffen haben, sich nicht eine Fehlübersetzung geleistet haben, als sie die Verheissung beim Propheten Jesaja, dass eine junge Frau ein Kind empfangen und einen Sohn gebären wird, dem sie den Namen Immanuel geben wird, mit „Jungfrau“ übersetzt haben.
Sie haben damit vielmehr ihre Glaubenseinsicht wiedergegeben, die bereits im Judentum gewachsen war, dass nämlich der messianische König, der sein Volk endgültig in die Freiheit, auch und gerade in die Freiheit von Schuld und Tod, führen werde, nicht einfach der Samenkraft eines menschlichen Mannes verdankt sein kann, sondern einzig Gott allein. (H. Gese, Natus ex virgine, in: Ders., Vom Sinai zum Zion. Alttestamentliche Beiträge zur biblischen Theologie)
Denn nach dem Desaster des babylonischen Exils und den daraus folgenden zwiespältigen Erfahrungen mit verschiedenen Königen aus Davids Stammbaum haben die Juden die Lehre aus der Geschichte gezogen und sich Gott zugewandt, dessen Heil auf dem Weg einer Jungfrau in die Welt kommt. Das Bekenntnis zur jungfräulichen Empfängnis des Messias ist deshalb bereits „ein jüdisches Erbe“.
Im Licht des Alten Testaments wird evident, was Unfruchtbarkeit und Jungfrauengeburt der Kirche auch heute sagen wollen: Gottes Heil kommt überhaupt nicht von uns Menschen und aus unserer eigenen Macht, sondern einzig und allein von Gott und seiner Gnade her.
Die Jungfrauengeburt ist das Zeichen radikaler Hoffnung auf Gott. Ihr kann die Kirche nur in der Grundhaltung des Gebetes entsprechen. Denn das Gebet ist die Sprache des hoffenden Menschen oder, wie Thomas von Aquin in seiner „Summa Theologica“ sagt, die Interpretation der Hoffnung.
Dass Gebet und Hoffnung unlösbar zusammengehören, zeigt sich in besonders deutlicher Weise im Bittgebet. Hier richtet sich die christliche Hoffnung auf Gott als Macht der Zukunft, die dem Vorhandenen gegenübertritt. Deshalb formuliert das Bittgebet im Licht dieser Hoffnung auf das Kommen Gottes selbst Hoffnungen und Bitten der Menschen für die Überwindung von konkreten Nöten der Gegenwart.
In diesem Sinn wenden sich vor allem in den Bitten des zweiten Teils des Herrengebetes die täglichen Sorgen und Ängste des Menschen in Hoffnung, nämlich die Sorge um sein irdisches Auskommen, Friede und Versöhnung mit dem Nächsten und schliesslich die Versuchung aller Versuchungen, nämlich die grosse Gefahr, den Glauben und die Hoffnung zu verlieren, in die Gottesferne zu fallen, Gott im Leben nicht mehr wahrnehmen zu können und dadurch in eine absolute Leere zu geraten.
Indem diese Grundanliegen der Menschen im Herrengebet in Bitten formuliert werden, erschliesst sich der Weg von den Hoffnungen der Menschen zu jener grossen Hoffnung, die Gott selbst ist. Dies ist auch der Weg vom zweiten Teil des Herrengebetes zum ersten Teil. Da nämlich alle menschlichen Ängste letztlich Angst vor dem Verlust der Liebe und dem daraus folgenden Gefängnis der Einsamkeit sind, erweisen sich umgekehrt alle menschlichen Hoffnungen als Hoffnung auf die unendlich grosse und grenzenlose Liebe Gottes.
 Deshalb münden alle menschlichen Hoffnungen in die eine grosse Hoffnung, dass Gottes Name geheiligt werde, dass sein Reich komme, dass sein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Das Vater-unser beten heisst deshalb die Hoffnung lernen. Das Herrengebet ist die Schule der Hoffnung und zugleich ihre konkrete Einübung oder, um nochmals Thomas von Aquin zu erwähnen, dessen Traktat über die Hoffnung sich als Auslegung des Herrengebetes darbietet: Indem der Herr uns sein Gebet anvertraute und lehrte, lehrte er uns die Hoffnung.
Diese Sinnrichtung des Gebetes hat die frühe Kirche dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie ihr gemeinsames Gebet nach Osten gerichtet vollzogen hat. (Vgl. K. Gamber, Zum Herrn hin! Fragen um das Gebet nach Osten (Düsseldorf 2003); U. M. Lang, Conversi ad Dominum. Zu Geschichte und Theologie der Gebetsrichtung (Einsiedeln 2003); J. Kardinal Ratzinger, Der Geist der Liturgie. Eine Einführung (Freiburg i. Br. 2000), bes. 65-73: Der Altar und die Gebetsrichtung in der Liturgie).
Solche Ostung, beziehungsweise Orient-ierung des gemeinsamen Gebetes nach dem Oriens reicht in die allerfrüheste Zeit der Kirche zurück und wird als apostolische Tradition gewertet. Dies gilt vor allem von der Feier der Eucharistie in der alten Kirche: Nach dem Abschluss des Wortgottesdienstes, der am Sitz des Bischofs stattfand, pilgerten alle gemeinsam mit dem Bischof zum Altar, wobei der Zuruf ertönte: „Conversi ad Dominum“ – „Wendet euch dem Herrn zu!“, was genau bedeutet: blickt gemeinsam nach Osten und betrachtet den endgültigen Sonnenaufgang in der menschlichen Geschichte, der mit Jesus Christus angebrochen ist.
Eucharistie ist deshalb zutiefst Aufblicken zu Christus, der in Person das Licht ist, das im Osten aufgeht und uns entgegenkommt – „ex oriente lux“ - und damit Annahme der Aufforderung des Hebräerbriefes: „Lasst uns auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens“ (12. 2).
Die Ausrichtung des Gebets nach Osten ist dabei freilich nur der äussere und sichtbare Ausdruck der inneren Ausrichtung des Gebetes auf Jesus Christus und sein Paschageheimnis hin, wie sie vor allem in Maria aufleuchtet. Denn sie ist die wahre Vorbeterin des Glaubens in der ganz frühen Kirche: Es war nach der Himmelfahrt Jesu Christi, als sich die Apostel zusammen mit den Frauen, die Jesus nachgefolgt waren, und Maria, der Mutter Jesu, im Abendmahlssaal versammelten und dort einmütig im Gebet um das Kommen des Heiligen Geistes verharrten (Apg 1,12-14).
Maria, die Jungfrau, erweist sich hier als Mutter der betenden Kirche und zeigt, dass Beten Hoffnung im Vollzug ist und sich damit in jener Grundhaltung der Jungfräulichkeit ereignet, die das Zeichen radikaler Hoffnung auf Gott ist, nämlich das Symbol der reinen Gnade Gottes, die selbst dort noch neues Leben hervorbringt, wo menschliche Unfruchtbarkeit nichts mehr in die Welt zu bringen vermag. Maria verheisst, dass Gottes Gnade unendlich viel stärker ist als die menschliche Schwachheit und dass sie diese nochmals überwinden kann.

IV. Mond-Kirche im Licht Mariens

In dieser alttestamentlichen Verheissung und neutestamentlichen Erfüllung in Maria sehe ich den grössten Trost auch für die nicht leichte Situation der Kirche heute, in der wir ebenfalls viel Unfruchtbarkeit erfahren. Wir müssen stets deutlicher feststellen und dabei auch mühsam lernen, dass wir nicht (mehr) in der Lage sind, mit unseren Kräften, mit unseren finanziellen Mitteln, mit unserem Personal, mit unserer Kreativität und unserem Prestige allein die Kirche aufzubauen.
Die in den vergangenen Jahrzehnten eingeübte und auch heute noch weithin vorherrschende Mentalität, dass wir selbst die Kirche aus eigener Kraft gestalten und nach unserem Belieben ordnen können, wird durch die Realität immer mehr in Frage gestellt.
Auf jeden Fall wird uns heute vieles aus der Hand genommen, von dem wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten gemeint haben, wir hätten es geschaffen und wir hätten es dabei geschafft. Vieles von dem aber ist in der Zwischenzeit brüchig geworden. Wir befinden uns inzwischen auch in unseren Breitengraden in einer neuen missionarischen Situation.
Angesichts solcher Erfahrungen kirchlicher Unfruchtbarkeit müssen und dürfen wir offen werden für die verheissungsvolle Botschaft, dass sich mit den gravierenden Veränderungen und einschneidenden Entwicklungen in unserer Kirche Gott neu ins Bewusstsein bringen will.
Er will vor allem in Erinnerung rufen, dass nicht wir die Schöpfer der Kirche sind, sondern dass er der Herr seiner Kirche ist. Mit Godfried Kardinal Danneels, dem Erzbischof von Mecheln-Brüssel, bin ich der Überzeugung, dass uns Gott heute vor allem von der „Illusion des Erfolgsmythos“ auch und gerade in der Kirche befreien und uns die schöne „Notwendigkeit der Gnade“ wieder neu ans Herz legen will, wie er sie uns bereits in Maria gezeigt hat, die „voll der Gnade“ ist.
Die Kirche ist also berufen, ihr Spiegelbild in Maria zu sehen und in der marianischen Grundhaltung zu leben, in der sie wie Maria ganz auf Gott hin ausgestreckt ist und sich von ihm bewohnen lässt. Dieses Geheimnis einer marianisch geprägten und lebenden Kirche haben frühchristliche Theologen mit dem schönen Bild von Sonne und Mond zum Ausdruck gebracht:
Wie der Mond sein ganzes Licht von der Sonne empfängt, um es in die Nacht hinein strahlen zu lassen, so liegt die Sendung der Kirche als Mond darin, das Licht der Christussonne in die Weltnacht der Menschen hinein zu strahlen und erleuchtende Hoffnung zu ermöglichen. Wir brauchen deshalb dringend eine „lunare Ekklesiologie“ (G. Fuchs, Neue Gnosis – alte Kirche. Eiserne Ration für den geistlichen Aufbruch, in: A. Biesinger / P. Braun (Hrsg.), Jugend verändert Kirche. Wege aus der Resignation), dergemäss sich die Kirche damit zufrieden gibt, Mond zu sein, und sich nicht selbst sonnen will, sondern auf Christus als die wahre Sonne unseres Lebens hinweist.
Als Mond-Kirche ist und lebt sie marianisch. Dies heisst demütig und zugleich stolz leben, wie Maria ein stolzer Mensch gewesen ist. Stolz war sie freilich nicht auf irgendetwas und schon gar nicht auf sich selbst und ihre eigenen Leistungen, sondern allein auf Gott. Dies zeigt ihr schönes Loblied auf Gott, das Magnificat: „Meine Seele preist die Grösse des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“
Dabei gedenkt Maria auch der wunderbaren Taten Gottes in der Geschichte mit seinem Volk und bebildert Gott mit einer ganzen Reihe von Tätigkeitswörtern, nämlich als einen Gott, der die Mächtigen vom Throne stürzt und die Niedrigen erhöht, und als einen Gott, der die Hungernden beschenkt und die Reichen leer ausgehen lässt (Lk 1, 46-55). Denn Maria kennt den Urwunsch Gottes, dass er selbst ein Tätigkeitswort in ihrem Leben werden möchte.
„Meine Seele macht den Herrn gross.“ So müsste man den Beginn des Lobliedes Mariens genau übersetzen, das ganz aus den Fäden des Wortes Gottes gewoben ist und mit dem sie uns gleichsam ein Porträt ihrer Seele schenkt. Denn mit diesen Worten, die sie beim Besuch bei ihrer Cousine Elisabet singt, drückt sie nicht nur das Programm ihres ganzen Lebens aus, dass sie nämlich nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellen, sondern dass sie für Gott Raum schaffen will.
Sie zeigt damit auch, dass sie im Wort Gottes ganz daheim ist und dass ihr eigenes Wort vom Wort Gottes her kommt. Weil sie zuinnerst von Gottes Wort durchpulst gewesen ist, konnte sie auch Mutter des Fleisch gewordenen Wortes Gottes werden.
Von daher drängt es sie auch, das Wunder, das alle Wunder übersteigt, zu verkünden, nämlich das Wunder der Menschwerdung des Sohnes Gottes in ihr. Hier hat Gott gezeigt, dass seine Grösse gerade darin besteht, dass er sich so klein machen kann wie ein Kind und dass er für das Wirken dieses Wunders auf die Mitwirkung Mariens angewiesen ist.
Maria hat ihren Leib und damit sich selbst zur Verfügung gestellt, auf dass er ein Zelt für die Einwohnung des Sohnes Gottes in der Welt werden konnte. In dieser Grundhaltung hat Maria den Glauben Abrahams aufgenommen und an sein Ziel geführt. Dadurch ist sie nicht nur die „Gesegnete“ geworden, sondern auch die Mutter aller Glaubenden, die sie einlädt, an sich dasselbe geschehen zu lassen, was sie in ihrem Leben erfahren hat, nämlich sich von Gott ganz durchwohnen zu lassen und Glaubende mit ihr zu werden.
Dann kann es Advent auch für die Kirche werden: Ankunft des Herrn in ihrem Leben, ja in ihrem Leib, wie Maria nichts weniger als ihren Leib zur Verfügung gestellt hat, damit Gott Mensch werden konnte.

V. Adventliche Mutter der Kirche

Maria schreibt der Kirche bleibend ins Stammbuch, dass die Kirche immer – und keineswegs nur in der Adventszeit – im Advent lebt, nämlich im aktiven Warten auf das Kommen Gottes. Denn Gott hat Maria, die demütig glaubende Tochter Israels, erwählt, um in unsere Welt zu kommen und seinen Advent zu halten.
Dass der ganze Advent der Menschheit in Maria zusammenfliesst, hat der Heilige Bernhard von Clairvaux mit diesen anschaulichen Worten zum Ausdruck gebracht, mit denen er sich an Maria wendet: „Der Engel erwartet deine Antwort, denn es ist Zeit, zu dem zurückzukehren, der ihn gesandt hat... O Herrin, antworte das Wort, das die Erde, das die Hölle, ja, das die Himmel erwarten. Wie der König und Herr aller nach deiner Schönheit verlangte, so sehr ersehnt er deine zustimmende Antwort.“ (Bernhard von Clairvaux, In laudibus Virginis Matris = Hom IV. 8)
Auch die Heilige Schrift stellt uns Maria als eine durch und durch adventliche Gestalt vor Augen, und zwar in jenem doppelten Sinn, der vor allem im Lukasevangelium aufscheint. Lukas zeichnet Maria als zweifach Adventliche: am Anfang seines Evangeliums, wo sie die Geburt des Gottessohnes erwartet, und am Beginn der Apostelgeschichte, wo sie die Geburt der Kirche erwartet.
Es gibt eine offensichtliche Entsprechung zwischen der Inkarnation des Gottessohnes in Betlehem aus der Kraft des Geistes und der Geburt der Kirche an Pfingsten ebenfalls in der Kraft des Geistes. Lukas will damit zum Ausdruck bringen, dass die Mutterschaft Marias nicht allein ein einmaliges biologisches Geschehen war, sondern dass sie in ihrer ganzen Person Mutter war, ist und bleibt, nämlich auch Mutter der Kirche.
Dabei dürfen wir nie vergessen, dass Maria zur Mutter der Kirche vor allem unter dem Kreuz geworden ist. Als Jesus am Kreuz seine Mutter und bei ihr den Lieblingsjünger sah, sagte er zu seiner Mutter: „Frau, siehe dein Sohn“, und zum Jünger: „Siehe, deine Mutter“ (Joh 19, 27).
Jesus vertraute seinem Jünger das Kostbarste an, das er überhaupt geben konnte, nämlich seine eigene Mutter. Wie bei Verliebten die Mutter der einen auch zur Mutter des anderen wird, so wird die Mutter Jesu auch die Mutter der Kirche, weil Christus seine Kirche liebt.
Da, wo Jesus Johannes der Maria anvertraut und Maria dem Johannes – und durch ihn allen Jüngern in allen Generationen - anheim gibt, entsteht im buchstäblichen Sinn Kirche. Wenn es nämlich anschliessend im Johannesevangelium heisst, dass der Jünger „von jener Stunde an“ Maria zu sich nahm, dann darf man in diesem Geschehen die tiefste Wurzel der Kirche erblicken.
Diese schöne Szene im Johannesevangelium zeigt freilich auch, dass die Kirche nicht nur unter dem Kreuz entstanden ist, sondern immer Kirche unter dem Kreuz ist und immer wieder neu lernen muss, nicht nur unter dem Kreuz zu stehen, sondern auch und vor allem zum Kreuz zu stehen – mit Maria und wie Maria.
Maria ist gerade so Mutter der Kirche, dass in ihr die Kirche selbst vorgebildet ist. Im Licht Mariens als der ganz und gar adventlichen Gestalt die Kirche zu sehen und zu leben, darin liegt die besondere Herausforderung der heutigen Kirchenstunde. In diesem Hoffnungslicht könnte sich auch die gegenwärtige Krise der Kirche hierzulande als Chance dafür erweisen, dass aus der Krisis von heute jene Erneuerung der Kirche hervorgehen wird, die Papst Benedikt XVI. bereits in den sechziger Jahren prophezeit hat und die ich deshalb aufgreife, weil sie auch heute nichts an Aktualität eingebüsst hat.
Der Papst war überzeugt, dass aus einer „verinnerlichten und vereinfachten Kirche“ eine grosse Kraft strömen wird: „Denn die Menschen einer ganz und gar geplanten Welt werden unsagbar einsam sein. Sie werden, wenn ihnen Gott ganz entschwunden ist, ihre volle, schreckliche Armut erfahren.
Und sie werden dann die kleine Gemeinschaft der Glaubenden als etwas ganz Neues entdecken. Als eine Hoffnung, die sie angeht, als eine Antwort, nach der sie im verborgenen immer gefragt haben.
So scheint mir gewiss zu sein, dass für die Kirche sehr schwere Zeiten bevorstehen. Ihre eigentliche Krise hat noch kaum begonnen: Man muss mit erheblichen Erschütterungen rechnen. Aber ich bin auch ganz sicher, was am Ende bleiben wird: Nicht die Kirche des politischen Kultes, ..., sondern die Kirche des Glaubens. Sie wird wohl nie mehr in dem Masse die gesellschaftsbeherrschende Kraft sein, wie sie es bis vor kurzem war. Aber sie wird von neuem blühen und den Menschen als Heimat sichtbar werden, die ihnen Leben gibt und Hoffnung über den Tod hinaus.“ (J. Ratzinger, Glaube und Zukunft)
Diese erhoffte Erneuerung der Kirche von innen her, die den hierzulande arg gesunkenen Grundwasserspiegel des Glaubens zu heben vermag, können wir natürlich nicht machen, sowenig wie Maria das Wunder der Menschwerdung des Sohnes Gottes hätte machen können.
Aber wie Maria bei diesem Wunder mitgewirkt hat und Gott diese freie Mitwirkung gewollt hat, so ist auch die Mitwirkung von uns allen bei der notwendigen Erneuerung der Kirche gefragt, die nur in der Glaubenshaltung Mariens verwirklicht werden kann: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“
Wenn die Kirche in dieser marianischen Haltung lebt, könnte sie auch am Beginn des 21. Jahrhunderts als befreiende Antwort auf die vermassende Geschlossenheit in Erscheinung treten, die wir auch in der heutigen Gesellschaft erfahren und unter deren Einsamkeit so viele Menschen leiden. Bitten wir Maria, die Mutter Jesu und die Mutter der Kirche, dass die Kirche auch heute in den Seelen der Menschen wieder erwachen kann.








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