2006-09-20 09:42:18

Dokument: Kardinal Lehmann zum Streit um Papst-Zitat


Wir dokumentieren hier den Volltext des Redemanuskripts von Kardinal Lehmann. Hinweis: Es gilt das gesprochene Wort.

Vortrag von Karl Kardinal Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, beim St. Michael-Jahresempfang des Kommissariates der deutschen Bischöfe am 19. September 2006 in der Katholischen Akademie in Berlin: „Chancen und Grenzen des Dialogs zwischen den ‚abrahamitischen Religionen’“
I.
Die so genannte Säkularisierungsthese, wonach die Religion im Zuge der wirt­schaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung einem zunehmenden und unaufhaltsamen Bedeutungsverlust im Raum der Öffentlichkeit ausgesetzt ist, gehörte über Jahrzehnte zum scheinbar gesicherten Repertoire der Sozialwis­senschaften. Inzwischen haben sich die Zeiten gründlich geändert. Die Säkula­risierungsthese wird allenfalls noch mit erheblichen Einschränkungen und Dif­ferenzierungen vertreten. Zu offenkundig und mit Macht ist die Religion auf die globale Bühne zurückgekehrt, sofern sie diese denn überhaupt je wirklich verlassen hatte. Mit gewissen Einschränkungen gilt dies auch für die westliche Welt.
Erwartungen und Befürchtungen richten sich deshalb heute nicht mehr auf das Verschwinden einer öffentlich wirksamen Religion, sondern, wie z. B. bei Samuel Huntington, auf einen „Kampf der Kulturen“, wobei diese als wesent­lich religiös bestimmt oder jedenfalls mitbestimmt wahrgenommen werden. Die Reaktionen der letzten Tage auf die Regensburger Vorlesung von Papst Benedikt XVI. zeigen einmal mehr, wie sehr die Religionen den öffentlichen Diskurs zu mobilisieren vermögen.
Es ist vor diesem Hintergrund alles andere als verwunderlich, dass – vor allem seit dem 11. September 2001, dessen Bilder der Zerstörung tief in das Be­wusstsein der heutigen Menschheit eingelassen sind – weitgesteckte Erwar­tungen mit einem Dialog der Religionen verbunden werden. Er soll die Span­nungen entschärfen, die in der internationalen Staatengemeinschaft, in der Weltgesellschaft und in einzelnen Ländern herrschen, und zum gemeinsamen Zeugnis der Religionen für den Frieden führen. Hier klingen die Imperative an, die Hans Küng seinem „Projekt Weltethos“ zugrunde gelegt hat: „Kein Zu­sammenleben auf unserem Globus ohne ein globales Ethos! – Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen! – Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog der Religionen!“
II.
Während sich das „Projekt Weltethos“ prinzipiell an alle Religionen wendet, richtet sich das weltweite öffentliche Interesse derzeit vor allem auf das christlich-muslimische Gespräch oder aber auf den Dialog der so genannten abrahamitischen Religionen, also auf Judentum, Christentum und Islam, die sich allesamt auf den in der Bibel und im Koran bezeugten Urva­ter Abraham rückbeziehen. Dies hat – wie unschwer zu erkennen ist – mit den Konfliktlagen zu tun, die in unseren Tagen den Nahen Osten und das Verhältnis zwischen Orient und Okzi­dent bestimmen. So führen die islamistischen Kämpfer, die sich dem heiligen Krieg gegen die Ungläubigen verschworen haben und letztlich die Errichtung eines totalitären Gottesstaates anstreben, ihren Krieg gegen „Zionisten“ und „Kreuzfahrer“ – d. h. gegen den jüdischen Staat Israel und den Westen, der aller Entkirchlichung und multireligiösen Durchmischung zum Trotz als „christlich“ interpretiert wird. Die konfliktbehaftete Nähe zwischen den drei Religi­onen wird zudem besonders anschaulich im Streit um den Status von Jerusalem, das Juden, Christen und Muslimen heilig ist. Auch die Integrationsprobleme mit muslimischen Migran­ten in Westeuropa, von denen sich manche Jüngere aus der 2. und 3. Einwanderergeneration islamistischem Gedankengut verschreiben und einige wenige sogar auf den Weg der Gewalt abdriften, berühren nicht nur die christliche Mehrheitsbevölkerung, sondern auch die hier lebenden Juden. Dem Antisemitismus in den Randzonen der traditionell ansässigen Bevölke­rung hat sich längst eine antizionistisch motivierte Judenfeindlichkeit zugesellt, die an man­chen Stellen ideologisch mit dem klassischen Rechtsextremismus verschmilzt.
All dies macht den Ruf nach einem Dialog zwischen Islam, Christentum und Judentum – den „abrahamitischen Religionen“ – gut verständlich. Indes ist es wichtig, die Möglichkeiten eines solchen Dialogs sorgfältig auszuloten und dabei auch der Grenzen einsichtig zu werden. Fal­sche Erwartungen können den Dialog belasten, stören und sogar unfruchtbar machen. Enttäu­schungen und Frustrationen werden damit geradezu programmiert.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass bislang weder von einem „Kampf der Kulturen“ noch gar von einem Kampf der Religionen die Rede sein kann. Der westliche „Kulturkreis“ (um hier einmal die Terminologie von Huntington aufzugreifen) wird von islamistischen Terro­risten angegriffen, nicht von den muslimischen Staaten und auch nicht vom Islam als Reli­gion. Vielmehr sind auch die muslimisch geprägten Länder Opfer der Gewalt, weil sie sich der Ideologie und den Machtansprüchen der Dschihadisten widersetzen. Die augenblickliche Krisensituation beruht also wesentlich auch auf einem innerislamischen Konflikt, der nicht einfach auf dem Wege eines interreligiösen Dialogs gelöst werden kann. – Und ebenso wenig vermag das Gespräch der Religionen die fundamental politische Auseinandersetzung über Gebietsansprüche und die staatliche Existenz der Völker im Heiligen Land zu überwinden. Der Kern des Konflikts im Nahen Osten ist nicht religiöser Natur.
Das heißt nun aber nicht, dass die Religionen im Ringen um die heute bedrängenden Frie­densfragen einfach abseits stehen müssten oder auch nur dürften. Richtig ist vielmehr: Gerade indem die Grenzen des interreligiösen Gesprächs für die Klärung dieser Probleme sorgfältig bestimmt werden, treten die den Religionen gestellten Aufgaben umso deutlicher und präziser hervor.
Es zeigt sich dann: Zwar kann die Überwindung der dschihadistisch-islamistischen Ideologie letztlich nur innerhalb des Islam selbst erfolgen. Im Gespräch zwischen den Religionen kön­nen aber die Fehlwahrnehmungen der jeweils anderen Religion korrigiert werden. Damit wird verhindert, dass es kleinen extremistischen Gruppen schließlich doch gelingt, die Mehrheiten in den Religionsgemeinschaften gegeneinander aufzuhetzen. Im Dialog können darüber hin­aus wechselseitig kritische Fragen gestellt werden, die die Selbstreflexion innerhalb der Reli­gionen voranbringen. Damit verbunden müssen die Religionen vor allem auch daran arbeiten, die Verzweckung der Religionen für politische Ziele und zur Legitimation politischer Gewalt aufzudecken und ihr gemeinsam entgegenzutreten. Indem sie sich freimachen von politischer Instrumentalisierung, bewahren die Religionen ihr eigenes Wesen davor, von sekundären In­teressen verdunkelt zu werden. Gerade so dienen sie auch dem Frieden.
III.
Grundsätzlich muss vor der etwas naiven, jedoch weit verbreiteten Vorstellung gewarnt wer­den, der interreligiöse Dialog sei eine Art Hilfsaggregat der Politik, das sich jederzeit zur Be­ruhigung internationaler und innergesellschaftlicher Konflikte anwerfen lasse. Die Begegnung zwischen den Religionen wird vielmehr nur dann auf lange Frist fruchtbar und damit auch friedensförderlich sein, wenn sie die Mitte der Religionen und die der Religion insgesamt eigenen Grundfragen berührt. Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil am 28. Oktober 1965 verabschiedete „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religio­nen“ – nach ihren Anfangsworten meist „Nostra aetate“ genannt – sieht das Verbindende der Religionen gerade darin, dass diese sich den gleichen Fragen nach den „ungelösten Rätseln“ des Lebens stellen: „Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“ (Art. 1) Diese Fragen sind den Menschen zu allen Zeiten aufgegeben. Hier wird nicht nach diesem und jenem gefragt. Das Geheimnis menschlicher Existenz selbst spricht sich darin aus. Der Mensch ist sich selbst als Frage aufgegeben, ohne sich doch selbst Antwort geben zu können.
Diese jedem Menschen aufleuchtenden Grundfragen können durchaus als philosophisch be­zeichnet werden. In ihnen kommt die menschliche Vernunft in ihrer eigentlichen Tiefe und Weite zum Ausdruck. Wenn aber die Vernünftigkeit des menschlichen Fragens nach sich selbst und nach dem Grund und Ziel aller Wirklichkeit anerkannt wird, dann stellt sich damit auch das Problem der Vernünftigkeit der Antworten, die die Religionen geben. Nach christ­lichem Glauben ist diese darin gegründet und verbürgt, dass der Logos – das schöpferische Wort, die Vernunft Gottes – die Schöpfung trägt und durchwaltet. Darauf hat Papst Benedikt XVI. in seiner viel beachteten Vorlesung, die er am 12. September an seiner alten Wirkungs­stätte in Regensburg gehalten hat, so nachdrücklich hingewiesen. Keineswegs ging es ihm darum, wie manche meinten, der Vernünftigkeit des christlichen Glaubens die fehlende Ver­nünftigkeit anderer Religionen – namentlich des Islam – entgegenzusetzen. Vielmehr ist hier darauf angesprochen, dass es auf Seiten aller Religionen der Reflexion auf die universale Verbindlichkeit der Vernunft bedarf, die somit auch die Religionen verbindet. Die Antworten auf die Frage nach der Vernunft und nach der Vernunft der Religion werden gewiss nicht ein­fach gleichlautend ausfallen können. Auch die Vernunft ist kein Abstraktum, sondern weist ihre spezifischen geschichtlichen Prägungen auf. Gerade so aber ist ein den Religionen ge­meinsamer Spannungsraum gegeben, der Gemeinsames und Trennendes umfasst und die Möglichkeit eröffnet, sowohl die theologischen Fragen (vor allem die nach dem Gottesbild) als auch die ethischen Herausforderungen, denen sich die Religionen in unserer Zeit stellen müssen, im Dialog aufzugreifen. – Zum Verständnis der Vorlesung von Papst Benedikt XVI. vgl. den Exkurs am Ende des Textes.
IV.
Diese Überlegungen gelten letztlich für alle Religionen. Dennoch steht das Christentum zu den verschiedenen Religionen der Welt in unterschiedlicher Nähe, was für den Dialog nicht ohne Auswirkungen bleiben kann. Judentum, Christentum und Islam sind dabei in besonderer Weise aufeinander bezogen. Regional und historisch entstammen sie einem gemeinsamen Zusammenhang. Teilweise rekurrieren sie auf die gleichen religiösen Erfahrungen und Er­zähltraditionen. Abraham wird von allen als Urvater des Glaubens verehrt. Das Christentum hat die jüdische Überlieferung als erstes Buch seiner Bibel übernommen. Der Islam greift auf die Tradition der Patriarchen und Propheten zurück und erkennt auch Jesus als Propheten an. Alle drei Religionen bekennen sich zum Glauben an Einen Gott, der die Welt erschaffen hat und den Menschen als sich erbarmender Retter, aber auch als Richter gegenübertritt.
Trotz dieser Gemeinsamkeiten der drei Religionen ist und bleibt das Christentum dem Judentum jedoch in einer grundlegend anderen Weise verbunden als dem Islam. Schon Paulus wusste, dass Christen, wenn sie die Treue Gottes zu seinem auserwählten Volk Israel bestrei­ten, die Grundlage ihres eigenen Glaubens zerstören (vgl. Röm 11). Die Kirche ist durch ein untrennbares Band mit dem Judentum verbunden. Sie wurzelt konstitutiv im Judentum. Die Herkunft Jesu aus dem Judentum ist nicht zufällig, sondern bestimmt seine – und damit auf bestimmte Weise auch der Christen – Identität. Jesu Gott ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs – der Gott des auserwählten Volkes. Kein anderer ist der Gott der Christen. Die Katholische Kirche ist heute überzeugt, dass der Bund Gottes mit dem Volk Israel durch den in Christus begründeten „neuen Bund“ nicht aufgehoben ist. Dies hat auch Auswirkungen auf die Frage der so genannten „Judenmission“. So überrascht es auch nicht, dass Papst Johannes Paul II., der unendlich viel für ein neues Verhältnis der Kirche zum Judentum getan hat und dabei mit großer Eindringlichkeit auch von den Verbrechen gesprochen hat, deren sich Christen im Laufe der Zeiten an Juden schuldig gemacht haben, diese als die „älteren Brüder“ der Christen bezeichnen konnte.
 Ein solches Verwandtschaftsverhältnis besteht zwischen Christentum und Islam nicht. Zwar gibt es eine Nähe zwischen beiden Religionen, die schon daraus resultiert, dass Mohammed seine Lehre in Auseinandersetzung mit der Kirche formulierte und dabei den Anspruch erhob, die Verkündigung Jesu von Verfälschungen der Christen zu reinigen. Die Beziehung zum Islam kann aber für die Kirche niemals eine konstitutive, theologisch im eigentlichen Sinne grundlegende Bedeutung erlangen. Das ist der entscheidende Unterschied.
V.
Allen drei Religionen gemeinsam ist die Verehrung des Abraham (in der muslimischen Tra­dition Ibrahim genannt). Religionsgeschichtlich markiert er die Entstehung des Monotheis­mus, des Glaubens an den Einen und einzigen Gott. Sowohl die Bibel als auch der Koran berichten, wie sich Abraham mit den „Götzen“, den vielen Göttern, die in seiner Familie und Umgebung verehrt wurden, auseinandersetzte. Für die Überlieferung wesentlich wurde die unbedingte Bereitschaft Abrahams, sich dem Wort des ihn ansprechenden Einen Gottes bedingungslos anzuvertrauen und zu unterwerfen. Einen besonders dramatischen Ausdruck findet dies darin, dass er dem Auftrag Gottes folgend sogar seinen Sohn Isaak (in der musli­mischen Tradition möglicherweise Ismael, den Stammvater der Araber) zu opfern bereit ist – eine vielschichtige Erzählung, die auch vom Ende des Menschenopfers in den monotheisti­schen Religionen handelt. Gerade als „Vater des Glaubens“, an dem ansichtig wird, was Glauben bedeutet, gehört Abraham so zum Gemeinsamen der jüdisch-christlichen und der muslimischen Tradition. Papst Johannes Paul II. hat dies 1985 in einer Rede vor jungen Mus­limen in Casablanca in die Worte gefasst: „Abraham ist für uns ein Modell des Glaubens an Gott, der Hingabe an seinen Willen und des Vertrauens in seine Güte.“
Für das Gespräch von Juden, Christen und Muslimen ist Abraham aber nicht nur von Belang, weil die Religionen an ihm ihre Gemeinsamkeit entdecken. An der theologischen Deutung des Abraham werden vielmehr auch Unterschiede der Religionen deutlich, die im Dialog aufge­griffen werden sollten, um ein gemeinsames Verstehen und Lernen zu ermöglichen. In der jüdischen Deutung des Abraham tritt der Gedanke der Wanderung und der Verheißung in den Vordergrund. So heißt es im Buch Genesis (12,1-5): „Der Herr sprach zu Abraham: ‚Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. … Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen’“. Die Religion, das Gottesverhältnis der Menschen, ist damit auf sich verändernde Räume und Zeiten, auf eine Geschichte hin geöffnet. Abraham ist zur Wander­schaft, zur Bewegung gerufen. Auf seinem Weg in eine ihm eröffnete und offene Zukunft will Gott ihm nahe sein.
Anders im Islam. Dort ist die wahre Religion schon Adam, dem ersten Menschen, von Gott vollständig geoffenbart. Etwas inhaltlich Neues, eine neue Gestalt oder gar eine neue Qualität der Begegnung Gottes mit den Menschen ist damit von vorneherein ausgeschlossen. Geschichte bedeutet von daher nicht das Beschreiten neuer Horizonte im Vertrauen auf Gott, der diese Wege begleitet. Sie ist vielmehr charakterisiert durch immer wiederkehrenden Abfall vom monotheistischen Glauben und den wiederholten Ruf Gottes, zum Urpakt zurück­zukehren. In eben diesem Sinne werden Gestalt und Funktion des Abraham im Koran gedeu­tet.
Auch zwischen Juden und Christen gibt es Unterschiede in der theologischen Interpretation und heilsgeschichtlichen Einordnung der Gestalt Abrahams. Entscheidend ist, dass aus der Sicht des Neuen Testaments das auf Abraham genealogisch zurückgehende Volk Israel mit dem Christusereignis aufgehört hat, der exklusive Träger der göttlichen Offenbarung zu sein. Das ist gemeint, wenn Johannes der Täufer im Matthäus-Evangelium (3,9) die Phärisäer mahnt: „Meint nicht, ihr könnt sagen, wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen.“ Die Segensverheißung an die Völ­kerwelt, die mit dem Namen Abrahams verknüpft ist, geht mit der Ablehnung Jesu durch die Mehrzahl der Juden auf die Kirche aus allen Völkern und Sprachen über, wenngleich der Bund mit Israel nicht aufgehoben wird.
In der Frage des Geschichtsverständnisses sind sich Juden und Christen hingegen nahe, wäh­rend Christen und Muslime hier über strukturell unterschiedliche Grundmodelle verfügen. Dies ist alles andere als ein akademisches Thema. Man darf nämlich mindestens vermuten, dass die muslimische Deutung von Geschichte eine produktive Auseinandersetzung des Islam mit der modernen Welt und die Herausbildung einer tragfähigen Synthese zwischen der Moderne und den traditionellen Orientierungen in den islamisch bestimmten Ländern jeden­falls erschwert. In diesen Zusammenhang gehören auch das Verständnis des Korans als ge­schichtlicher Deutung unzugänglichem Wort Gottes und die Vorstellung von der unabänder­lich wörtlichen Geltung des muslimischen Gesetzes, der Scharia.
Ein Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen muss solche grundsätzlichen Fragen auf­greifen. Noch einmal zeigt sich hier, dass gerade der offizielle, amtliche Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften sein eigentliches Thema und Ziel verfehlen würde, wenn er sich von bloßer Aktualität leiten ließe. Der interreligiöse Dialog muss seine eigene Agenda und seinen eigenen Rhythmus entwickeln. Er muss als ernsthaftes und in die Tiefe gehendes Gespräch von Glaubenden entwickelt werden – und eben nicht als routinierte Begegnung von Glau­bensmanagern, die dem Interessenkalkül der eigenen Gemeinschaft entsprechen und vor dem Forum der Öffentlichkeit punkten wollen. Ein solches bloßes Schauspiel des Dialogs bliebe leer und fruchtlos. Es diente schließlich niemandem.
VI.
Nur ein interreligiöses Gespräch, das sich offen den Grundfragen der Religion stellt, wird auch in der Lage sein, die besonders schwierigen und prekären Probleme aufzugreifen.
Hier ist zunächst die Frage nach der Gewalt zu nennen. Damit kommen wir auch wieder auf die schwierige Aussage von Kaiser Manuel II. in der siebten Gesprächsrunde mit dem Perser, wo es um die Ausbreitung des Glaubens durch das Schwert geht. Alle großen Religionen ken­nen die Versuchung, Gewalt im Namen des Glaubens zu üben oder zu rechtfertigen. Alle sind in der Geschichte dieser Versuchung auch erlegen. Nicht nur im Gespräch mit Muslimen, sondern auch in der kritischen Selbstbefragung, die ein konstitutiver Bestandteil jedes religiö­sen Lebens ist, werden Kirche und Christen deshalb immer auch die Gewalttendenzen in der eigenen Geschichte offenlegen und anerkennen. Das Schuldbekenntnis der Katholischen Kir­che, das Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 abgegeben hat, spricht hier eine klare und unmissverständliche Sprache. Dies vorausgesetzt und ohne falsche Anklagen, Besserwisserei und Dünkel müssen wir unsere muslimischen Gesprächspartner dann aber auch damit kon­frontieren, dass in der heutigen Weltsituation vorgeblich religiös motivierte und religiös legi­timierte Gewalt ein Phänomen darstellt, das sich vorwiegend – wenngleich nicht ausschließ­lich – am Islam festmacht. Natürlich lassen sich viele Gründe für die Unruhe benennen, die die Länder des so genannten „Größeren Mittleren Ostens“ (vom Magreb bis nach Pakistan und Indonesien) ergriffen hat – eine Unruhe, die manche Gewalteruption begünstigt. Aber diese Gewaltträchtigkeit der Verhältnisse erklärt aus sich heraus ja nicht, warum Gewaltan­wendung vielfach religiös begründet wird und dies auch Widerhall in Teilen der muslimi­schen Gesellschaften findet. Dies festzustellen, bedeutet nicht, mehr als eine Milliarde Mus­lime unter den Generalverdacht zu stellen, mit den Dschihadisten zu sympathisieren und Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung mit den „Ungläubigen“ und zur Ausbreitung des Islam zu akzeptieren. Niemand, der in der Kirche Verantwortung trägt, macht sich eine solche Unterstellung zueigen. Aber es muss gleichwohl gefragt werden, inwieweit in der heutigen Gewaltproblematik der muslimischen Religion die theologische Tradition des kämpfenden und herrschenden Islam, die mit einer gewissen Ungebrochenheit die Zeiten überdauert zu haben scheint, eine Rolle spielt. Und inwieweit erschwert – auch dies muss man fragen – die Grundgeschichte des Islam, die den Propheten Mohammed nicht nur als Religionsstifter, son­dern auch als Feldherrn und Herrscher zeigt, bis heute eine Entfaltung gewaltkritischer Ten­denzen des Islam?
VII.
Der zweite schwierige Themenkomplex, der dem interreligiösen Dialog aufgegeben ist, be­trifft die Religionsfreiheit und die Verfasstheit des modernen Staates. Beides gehört eng, ja unauflöslich zusammen. Die Freiheit der Religion – und zwar als positive und als negative Religionsfreiheit: als Freiheit zu glauben und als Freiheit, nicht zu glauben – nämlich begrün­det nicht nur einen autonomen, von Vorgaben des Staates freien Raum des Individuums und der Religionsgemeinschaften, sondern damit zugleich auch ein Verständnis des Staates, das nicht von einer bestimmten Religion definiert ist. Natürlich sind die hier angesprochenen Zu­sammenhänge weitaus komplizierter. Religionen prägen Kulturen, und Kulturen bestimmen die konkrete Gestalt von Gesellschaften und Staaten. Auch ist die Autonomie von Religionen und Staat nicht notwendigerweise eine wechselseitig gleichgültige oder gar feindselige. Es gibt eine Vielzahl kooperativer Formen, in denen das Verhältnis von Staat und Religionen auf ein gedeihliches Zusammenwirken im Interesse der Menschen ausgerichtet ist. Deutschland bietet dafür ein gutes Beispiel. Die Autonomie der Religion gegenüber dem Staat – und dies bedeutet auch: die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse – wie des Staates gegenüber der Religion bleiben jedoch, all dessen ungeachtet, die Grundachse jeder modernen Gesellschaft. Es bedarf keiner ins Detail gehenden Analyse, um festzustellen, dass sich die islamische Welt insgesamt mit diesem Begriff der Freiheit und damit auch mit dem gesamten Konzept der Menschenrechte außerordentlich schwer tut, wenngleich sich die Verhältnisse in den einzel­nen muslimisch geprägten Staaten durchaus sehr unterschiedlich darstellen. Auch dies muss Thema des interreligiösen Dialogs sein.
Wiederum geht es dabei nicht darum, christliche (oder gar westliche) Überlegenheit vorzufüh­ren. Stattdessen sollte die schwierige Geschichte, die das europäische Christentum mit der neuzeitlichen Idee der Freiheit verbindet, offen auch im Gespräch mit den Muslimen darge­stellt werden. Manches Argument, das heutige Muslime gegen die modernen Freiheitsrechte ins Feld führen, ist uns auch aus der Geschichte des Christentums (und zumal auch aus der Katholischen Kirche) bis weit ins 19. Jahrhundert hinein geläufig: die Sorge vor um sich grei­fender Dekadenz, einem rein individualistischen Gebrauch der Freiheit oder auch vor einem massenhaften Abfall vom Glauben.
Dennoch muss man auch hier tiefer bohren. Die Antwort auf die Frage, ob der heutige Islam im Sinne der Moderne freiheitsfähig ist, hängt auch davon ab, wie sich Muslime zum traditio­nellen Konzept der Einheit von Religion und Gemeinwesen und zum Gedanken der Herr­schaft des Islam (mit entsprechend minderen Rechten der Angehörigen aller anderen Religio­nen) verhalten. Die Vielzahl unterschiedlicher Herrschaftsformen, die die islamische Welt über die Jahrhunderte hinweg hervorgebracht hat, die auch in der Geschichte des Islam her­vorgetretenen herrschaftskritischen Tendenzen und die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen­den Bemühungen mancher Gelehrter um eine muslimische Aufklärung geben Anlass zu der Hoffnung, dass in diesen Fragen Bewegung möglich ist, auch wenn heute manches in eine andere Richtung zu deuten scheint.
VIII.
 In einem kurzen Vortrag wie diesem muss vieles ungesagt bleiben. So konnten auch die vie­len guten Beispiele eines gelingenden alltäglichen Zusammenlebens und auch gemeinsamen Handelns von Christen, Muslimen und Juden hier nicht angemessen gewürdigt werden. Indes: Wir alle brauchen diese Hoffnungszeichen für eine bessere Zukunft. Auch für theologische und offizielle Begegnungen der religiösen Repräsentanten sind sie eine wichtige, ja unver­zichtbare Grundlage. Beispielhaft möchte ich deshalb auf ein Projekt hinweisen, das die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, der Zentralrat der Juden, der Zentralrat der Mus­lime und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) gemeinsam in Deutschland durchführen. Es trägt den Titel „Weißt Du, wer ich bin?“ und unterstützt auf der Basisebene die Begegnung von Gruppen und Menschen aus den verschiedenen Religionsge­meinschaften. Das Motto dieses Projektes darf auch als Zielperspektive für das Zusammen­leben und den Dialog der Religionen hierzulande und weltweit verstanden werden: „Verbin­dendes entdecken, Unterschiede respektieren, füreinander einstehen, gemeinsam handeln“.
Nicht zufällig spielt auch im Zweiten Vatikanischen Konzil die Abrahamgestalt eine wichtige Rolle, nicht nur in „Nostra aetate“ (Art. 3), sondern auch in anderen wichtigen Dokumenten, z. B. in „Dei verbum“ (Art. 3), „Presbyterorum ordinis“ (Art. 22) und in der Kirchenkonstitu­tion „Lumen gentium“. Dort heißt es in Art. 16: „Der Heilswille (Gottes) umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslim, die sich zum Glau­ben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Men­schen am jüngsten Tag richten wird.“ Schließlich darf auch noch Papst Johannes Paul II. an­geführt werden, der in seinem „Römischen Triptychon“, veröffentlicht mit einer Einführung von Joseph Kardinal Ratzinger, den dritten Teil überschreibt „Der Berg im Lande Morija“. Dort heißt es:
„Wenn wir heute zu jenen Orten pilgern,
von denen Abraham einst auszog,
wo er die Stimme vernahm, wo sich die Verheißung erfüllte,
so deshalb,
um an der Schwelle zu stehen –
und zum Ursprung des Bundes zu gelangen.“[1]


EXKURS

Zum Zitat des Kaisers Manuel II. Palaeologos im Disput mit dem persischen Gelehrten Mudarris in der Regensburger Vorlesung von Papst Benedikt XVI. am 12.9.2006

Das Thema von Papst Benedikt XVI. war nicht dem Islam gewidmet, sondern einem Problem, das den Theologen Joseph Ratzinger seit dem Beginn seiner akademischen Lehrtätigkeit an den Universitäten im Jahr 1959 beschäftigte, nämlich das Verhältnis von Glaube und Ver­nunft.[2] Aber nun ergab sich ein Zusammenhang mit der Klärung des Verhältnisses zwischen dem Christentum und den nichtchristlichen Religionen. Die Anführung eines Satzes aus ei­nem Dialog zwischen dem byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaeologos (1391-1425) und einem persischen, also muslimischen Gelehrten Mudarris war zur Durchführung des genann­ten Themas gewiss nicht zwingend notwendig, aber einige Formulierungen aus diesem Dialog des 14. Jahrhunderts (wohl 1391, ausformuliert zwischen 1394 und 1402) haben den Papst im Zusammenhang seiner Aufgabe, wie er sagte, so „fasziniert“, dass er sie zum „Ausgangs­punkt“ für seine Überlegungen machte.[3] Ausdrücklich sagt er auch, dass die erwähnte Aus­sage „im Aufbau des Dialogs eher marginal“ sei.
Der Text stammt aus einem theologischen Streit, vor allem der Byzantiner mit dem Islam, den wir heute kaum mehr kennen.[4] Der gesamte Dialog erstreckt sich in 26 Gesprächsrunden über den ganzen Bereich des von Bibel und Koran umschriebenen Glaubensgefüges und bezieht sich vor allem auf das Gottes- und Menschenbild des Islam und des Christentums, besonders aber auch auf das Verhältnis „Altes Testament / Neues Testament / Koran“. Die groß ange­legte Apologie ist in der ersten Hälfte gegenüber dem Islam eher kritisch-offensiv, in der zweiten Hälfte geht es mehr um eine positive Begründung des christlichen Glaubens. Auf­schlussreich ist auch die literarische Form eines gewiss kämpferischen Dialogs, die aber zeigt, dass man auch von muslimischer Seite durchaus der wechselseitigen Argumentation mächtig war. In der schon genannten Edition von A. Th. Khoury geht es nur um die siebte Gesprächs­runde bzw. Kontroverse. Was uns heute überraschend vorkommt, ist die Tatsache, dass der byzantinische Kaiser Manuel II. zu den gebildetsten Herrschern – und den interessantesten Theologengestalten aus Byzanz – gehört. Er gilt aber auch als „einer der ritterlichsten Erscheinungen auf dem byzantinischen Kaiserthron“[5]. Dem Kaiser ging es um die innere Über­legenheit des Christentums. Der Dialog hat eine große Bedeutung in der Geschichte der griechischen Texte bezüglich des Islam. Er gehört zu den umfangreichsten Schriften dieser Art überhaupt.
Nun muss man auch den „Sitz im Leben“ dieses Dialogs verstehen. Kaiser Manuel II. stand damals unter allergrößtem Druck. Er verspürte die ganze Wut und Wucht des Sultans und seiner Macht und musste schwere Verluste hinnehmen. Die Schärfe der Äußerung ist also zweifellos auch durch die damalige militärische Lage von Byzanz bedingt, das im Kampf gegen die muslimischen Türken stand und ja auch nur wenige Jahrzehnte später unterging (1453). Mehrfach suchte der Kaiser westliche Hilfe – umsonst. Der Papst weist nur ganz knapp auf diesen wichtigen „Sitz im Leben“ hin, indem er im Blick auf die Ausführungen des Kaisers von einer „erstaunlich schroffen Form“ spricht.[6] Dabei geht es im Dialog zunächst vor allem um die moralische Ordnung und den Lebensstil. Der Islam sieht dieses „Gesetz“ in dreifacher Stufung: Gleichsam unten ist das Gesetz des Mose mit vielen Unvollkommenhei­ten, dann das Gesetz Jesu Christi und endlich als Höhepunkt das Gesetz Mohammeds. Zwar hat das Christentum manches gemeinsam mit dem Islam, wie z. B. das Gebet, das Fasten und manche anderen religiösen Vollzüge, aber die Lebensordnung des Propheten ist prinzipiell überlegen, nicht zuletzt weil sie die menschliche Schwäche ernster nimmt und damit auch praktischer ist. Das Christentum vertritt unrealistische Exzesse: wie z. B. die Familie zu has­sen, die Feindesliebe, Armut in Verbindung mit Seligkeit, aber auch Jungfräulichkeit. Im Übrigen tadelt der Muslim die Juden, weil sie Jesus zurückgewiesen hätten (vgl. 7,3.5.61). Aber auf keinen Fall darf man Jesus einen „Sohn Gottes“ nennen.
Das Niveau ist also keineswegs primitiv, wie die Kontroverse dieser Tage nahe zu legen scheint. Der persische Gelehrte ist durchaus zur Diskussion fähig. Dem Kaiser bescheinigt die Forschung Lauterkeit, Kenntnis in theologischen Fragen und ein abgeklärtes Urteil.[7] Ja, es ist trotz der Verbindung mit heftigeren Vorgängern von „neuen Tönen“[8] beim Kaiser die Rede. „Er geht auf seinen Gegner ein und hört ihm zu; er lässt ihn wirklich zu Wort kommen und seine Position in extenso darlegen und Manuel macht den Versuch, ihm gerecht zu werden, er lässt sich Zeit für die Antwort und die Antwort hält Sache und Person auseinander.“[9] H.-G. Beck spricht bei Manuel II. von einem „ungeheuren Fortschritt gegenüber früheren Jahrhun­derten“[10]. So kommt ein anderes Standardwerk zu Byzanz zu dem Urteil, Manuels Auseinander­setzung „stellte die gründlichste Widerlegung der Lehre des Islams, die in byzantinischer Zeit geschrieben wurde, zusammen“.[11] Auch wenn uns die noch genauer zu nennenden Aussagen etwas schockieren, so dürfen wir das intellektuelle Niveau dieser Aus­einandersetzung keineswegs unterschätzen.
Worum geht es? Der Kaiser kommt auf das Thema des Heiligen Krieges zu sprechen, bis heute eines der großen heißen Eisen im Verständnis des Islam.[12] Er kennt natürlich die Sure 2,256 „Kein Zwang in Glaubenssachen“, aber er kennt auch die später entstandenen Bestim­mungen über den Heiligen Krieg (vgl. Sure 9,29.36.73.111). In diesem Zusammenhang geht er angesichts des überlegenen Pathos seines Gesprächspartners sehr direkt auf die zentrale Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt ein und sagt: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbrei­ten.“ (7,2,c, Edition Khoury 142/143)[13] Der Kaiser begründet dann eingehend, dass eine Verbreitung des Glaubens durch Gewalt im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele steht. „Gott hat kein Gefallen am Blut, und nicht vernunftgemäß (syn logo) zu han­deln ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung.“ (7,3 b+c, Khoury 144/145)
Ich verfolge jetzt nicht weiter, wie es dem Papst in seiner Vorlesung ganz auf die vernunft­gemäße Struktur des Glaubens – dies ist ja sein Thema – in strikter Übereinstimmung mit dem Wesen Gottes ankommt. Für ihn ist wichtig, dass der Christ bei aller Unverwechselbarkeit des Glaubens vernunftgemäß handelt in Entsprechung zum Wesen Gottes. Hier tut sich für den Papst, wenn man so etwas wie die völlige Willkür Gottes vertritt, „ein Scheideweg im Ver­ständnis Gottes und so in der konkreten Formverwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert“.
Nach meinem Empfinden besteht die einzige Schwierigkeit darin, dass Papst Benedikt XVI. die Voraussetzungen und den Hintergrund dieser Aussagen nur kurz streift. Dadurch konnten Missverständnisse entstehen. Aber bei manchen Reaktionen muss man nicht nur mangelnde Information voraussetzen, sondern auch eine absichtliche Fehldeutung unterstellen. Natürlich hat der Islam in der Theologie des Koran auch eine eigene Rationalität, sodass einige Diffe­renzierungen notwendig sind.
Denn hier handelt es sich nicht um ein simples Missverständnis. Auch der Papst hat im Lauf des letzten Jahres, als die katholische Kirche des Entstehens der Erklärung über das Verhält­nis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“ vor 40 Jahren gedachte[14], immer wieder die Kernaussagen in Artikel 3 zum Verhältnis gegenüber dem Islam angeführt: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft... Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslim kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.“ Man braucht aber auch nur die Ansprache des Papstes bei der Begegnung mit Vertretern einiger muslimischer Gemeinschaften im Erzbischöflichen Haus am 20. August 2005 (Weltjugendtag) nachzulesen, um zu sehen, wie viele Stellungnahmen zu seiner angeb­lichen Mentalität nicht nur schlechthin haltlos sind, sondern das Denken des Papstes total in das Gegenteil verkehren.[15] – In der Tat besteht kein Zweifel, dass die Frage nach der Gewalt, vor allem bezüglich des Menschen- und Gottesbildes, im Dialog der Religionen eine große Rolle spielt, nicht zuletzt im Blick auf das Gespräch mit dem Islam.[16]


 [1] Freiburg i. Br. 2003, 47 (italienische Ausgabe, Vaticano 2003, 41).
2 Vgl. Joseph Kardinal Ratzinger, Vom Wiederfinden der Mitte, Freiburg i. Br. 1997, 40-59.
3 Vgl. die Edition Manuel II. Paleologue, Entretiens avec un Musulman. 7e Controverse, Introduction, Texte Critique, Traduction et Notes par Théodore Khoury = Sources Chretiènnes 115, Paris 1966; fast zu gleicher Zeit erschien die kritische Edition mit ausführlicher Einleitung: Manuel II Palaiologos. Dialoge mit einem Perser, hrsg. von E. Trapp, Wiener byzantinistische Studien 2 = Österreichische Akademie der Wissenschaften. Kommission für Byzantinistik, Bd. II, Wien 1966. Zum Dialog VII vgl. die Einleitung 72*-75*, den Text in einer kritischen Edition: 78-94; vgl. auch: Dialoge mit einem Muslim/Manuel II. Palaiologos. Kommentierte griechisch-deutsche Textausgabe von Karl Förstel = Corpus Islamo-Christianum: Series Graeca 4, 2 Bände, Würzburg 1993 und 1995, vgl. die Einleitung von XII = XXXIII (Abweichungen von der Trappschen Ausgabe, der griechisch-deutsche Text von Dialog VII findet sich auf S. 238 bis 291. Ich verdanke die rasche Kenntnis mancher Texte dem Mainzer Byzantinisten Prof. Dr. Günter Prinzing.
4 Dazu grundsätzlich A. Th. Khoury, Der theologische Streit der Byzantiner mit dem Islam, Paderborn 1969 (erschien auch gleichzeitig in französischer Sprache).
5 H.-G. Beck, Kirche und theologische Literatur im byzantinischen Reich = Byzantinisches Handbuch II/1, München 1959, 2. Aufl. 1977, 747, vgl. auch 36 f., 338, 740 ff.
6 Ich zitiere die Vorlesung des Papstes nach dem Abdruck in der FAZ: Glaube, Vernunft und Universität, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.09.2006, Nr. 213, S. 8 („Die Gegenwart“). Der Text wird auch – zusammen mit den übrigen Ansprachen während des Besuches von Papst Benedikt XVI. in Bayern und Deutschland in der Reihe „Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls“, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, publiziert werden; Bonn 2006 - im Druck. – Weitere Abdrucke sind in Vorbereitung.
7 H. G. Beck, Kirche und theologische Literatur, 187.
8 H.-G. Beck, Das byzantinische Jahrtausend, München 1978, 2. erg. Aufl. 1954, 205.
9 Ebd.
10 Ebd., 209.
11 A. A. Vasiliev, in: N. H. Baynes und H. St. L. B. Moss, Byzanz, Geschichte und Kultur des Oströmischen Reiches, München 1964 (Oxford 1948), 393.
12 Dazu A. Th. Khoury, Heiliger Krieg, in: A. Th. Khoury/L. Hagemann/P. Heine (Hg.), Islam-Lexikon, Bd. 2, Freiburg i. Br. 1991, 349-359; B. Tibi, Kreuzzug und Djihad. Der Islam und die christliche Welt, Gütersloh 1999; P. L. Bergen, Heiliger Krieg Inc. Aktualisierte Neuausgabe, Berlin 2003; B. Lewis, Die politische Sprache des Islam, Berlin 1991; H. Zirker, Islam, Düsseldorf 1993, 221-240, 291 f.
13 Zur Auslegung dieses Satzes vgl. besonders den Kommentar von R. Paret, Der Koran. Kommentar und Konkordanz, 2. Aufl. Stuttgart 1977, 54 f.: „Der Passus soll demnach nicht besagen, dass man niemand zum Glauben zwingen darf (wie nach der üblichen Deutung), sondern dass man niemand dazu zwingen kann; m.a.W. er predigt nicht Toleranz, sondern weist darauf hin, dass der Bekehrungseifer des Propheten infolge der menschlichen Verstocktheit weitgehend zur Erfolglosigkeit verurteilt ist.“ Ders., Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten, 7. Aufl. Stuttgart 1991, 108 ff.
14 Vgl. nur H. H. Henrix (Hg.), Nostra aetate – Ein zukunftsweisender Konzilstext, Aachen 2006, 11 ff., 59 ff., 83 ff. (Chr. Troll).
15 Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 169: Predigten, Ansprachen und Grußworte im Rahmen der Apostolischen Reise von Papst Benedikt XVI. nach Köln anlässlich des XX. Weltjugendtages, Bonn 2005, 73-78. Man muss aber auch auf das gesamte theologische Werk des Papstes verweisen. Ich nenne hier zunächst den programmatischen Artikel des Theologen Joseph Ratzinger aus dem Jahr 1964 „Der christliche Glaube und die Weltreligionen“, in: Vom Wiederfinden der Mitte, 60-82 (ursprünglich in der Festschrift für Karl Rahner „Gott in Welt“). Dies gilt aber ohne Abstriche auch für die spätere Zeit, vgl. dazu J. Kardinal Ratzinger, Die Vielfalt der Religionen und der Eine Bund = Urfelder Reihe 1, Bad Tölz 2005 (4. Aufl.).
16 Dazu Chr. Bultmann/B. Kranemann/J. Rüpke (Hg.), Religion / Gewalt / Gewaltlosigkeit. Probleme – Positionen – Perspektiven, Münster 2004; G. Baudler, Gewalt in den Weltreligionen, Darmstadt 2005; B. Lermen/G. Rüther (Hg.), In Gottes Namen? Zur kulturellen und politischen Debatte um Religion und Gewalt, Sankt Augustin 2004 (Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.); B. Lewis, Der Atem Allahs. Die islamische Welt und der Westen – Kampf der Kulturen?, München 1998, 3. Aufl. 2001 (Oxford 1994); Ders., Der Untergang des Morgenlandes. Warum die islamische Welt ihre Vormacht verlor?, Bergisch Gladbach 2002; Ders., Die Wut der arabischen Welt. Warum der jahrhundertelange Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen weiter eskaliert?, Frankfurt/Main 2003, 2. Aufl. 2004 (Amerikanische Originalausgabe 2003); A. Al-Azmeh, Die Islamisierung des Islam. Imaginäre Welten einer politischen Theologie = Edition Pandora 32, Frankfurt/Main 1996 (London 1993); A. Th. Khoury, Mit Muslimen in Frieden leben. Friedenspotentiale des Islam, Würzburg 2002, U. Spuler-Stegemann, Feindbild Christentum im Islam. Eine Bestandsaufnahme, Freiburg i. Br. 2004. Zum Ganzen vgl. immer noch R. Leuze, Christentum und Islam, Tübingen 1994.
Kaiserstraße 16153113 Bonn
PostanschriftPostfach 29 6253019 Bonn
Ruf: 0228-103-0Direkt: 0228-103 -214Fax: 0228-103 -254E-Mail: pressestelle@dbk.deHome: http://www.dbk.de
HerausgeberP. Dr. Hans Langendörfer SJSekretär der Deutschen Bischofskonferenz
RedaktionDr. Martina Höhns - verantwortlich
Stefanie Uphues

[1] Freiburg i. Br. 2003, 47 (italienische Ausgabe, Vaticano 2003, 41).
[2] Vgl. Joseph Kardinal Ratzinger, Vom Wiederfinden der Mitte, Freiburg i. Br. 1997, 40-59.
[3] Vgl. die Edition Manuel II. Paleologue, Entretiens avec un Musulman. 7e Controverse, Introduction, Texte Critique, Traduction et Notes par Théodore Khoury = Sources Chretiènnes 115, Paris 1966; fast zu gleicher Zeit erschien die kritische Edition mit ausführlicher Einleitung: Manuel II Palaiologos. Dialoge mit einem Perser, hrsg. von E. Trapp, Wiener byzantinistische Studien 2 = Österreichische Akademie der Wissenschaften. Kommission für Byzantinistik, Bd. II, Wien 1966. Zum Dialog VII vgl. die Einleitung 72*-75*, den Text in einer kritischen Edition: 78-94; vgl. auch: Dialoge mit einem Muslim/Manuel II. Palaiologos. Kommentierte griechisch-deutsche Textausgabe von Karl Förstel = Corpus Islamo-Christianum: Series Graeca 4, 2 Bände, Würzburg 1993 und 1995, vgl. die Einleitung von XII = XXXIII (Abweichungen von der Trappschen Ausgabe, der griechisch-deutsche Text von Dialog VII findet sich auf S. 238 bis 291. Ich verdanke die rasche Kenntnis mancher Texte dem Mainzer Byzantinisten Prof. Dr. Günter Prinzing.
[4] Dazu grundsätzlich A. Th. Khoury, Der theologische Streit der Byzantiner mit dem Islam, Paderborn 1969 (erschien auch gleichzeitig in französischer Sprache).
[5] H.-G. Beck, Kirche und theologische Literatur im byzantinischen Reich = Byzantinisches Handbuch II/1, München 1959, 2. Aufl. 1977, 747, vgl. auch 36 f., 338, 740 ff.
[6] Ich zitiere die Vorlesung des Papstes nach dem Abdruck in der FAZ: Glaube, Vernunft und Universität, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.09.2006, Nr. 213, S. 8 („Die Gegenwart“). Der Text wird auch – zusammen mit den übrigen Ansprachen während des Besuches von Papst Benedikt XVI. in Bayern und Deutschland in der Reihe „Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls“, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, publiziert werden; Bonn 2006 - im Druck. – Weitere Abdrucke sind in Vorbereitung.
[7] H. G. Beck, Kirche und theologische Literatur, 187.
[8] H.-G. Beck, Das byzantinische Jahrtausend, München 1978, 2. erg. Aufl. 1954, 205.
[9] Ebd.
[10] Ebd., 209.
[11] A. A. Vasiliev, in: N. H. Baynes und H. St. L. B. Moss, Byzanz, Geschichte und Kultur des Oströmischen Reiches, München 1964 (Oxford 1948), 393.
[12] Dazu A. Th. Khoury, Heiliger Krieg, in: A. Th. Khoury/L. Hagemann/P. Heine (Hg.), Islam-Lexikon, Bd. 2, Freiburg i. Br. 1991, 349-359; B. Tibi, Kreuzzug und Djihad. Der Islam und die christliche Welt, Gütersloh 1999; P. L. Bergen, Heiliger Krieg Inc. Aktualisierte Neuausgabe, Berlin 2003; B. Lewis, Die politische Sprache des Islam, Berlin 1991; H. Zirker, Islam, Düsseldorf 1993, 221-240, 291 f.
[13] Zur Auslegung dieses Satzes vgl. besonders den Kommentar von R. Paret, Der Koran. Kommentar und Konkordanz, 2. Aufl. Stuttgart 1977, 54 f.: „Der Passus soll demnach nicht besagen, dass man niemand zum Glauben zwingen darf (wie nach der üblichen Deutung), sondern dass man niemand dazu zwingen kann; m.a.W. er predigt nicht Toleranz, sondern weist darauf hin, dass der Bekehrungseifer des Propheten infolge der menschlichen Verstocktheit weitgehend zur Erfolglosigkeit verurteilt ist.“ Ders., Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten, 7. Aufl. Stuttgart 1991, 108 ff.
[14] Vgl. nur H. H. Henrix (Hg.), Nostra aetate – Ein zukunftsweisender Konzilstext, Aachen 2006, 11 ff., 59 ff., 83 ff. (Chr. Troll).
[15] Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 169: Predigten, Ansprachen und Grußworte im Rahmen der Apostolischen Reise von Papst Benedikt XVI. nach Köln anlässlich des XX. Weltjugendtages, Bonn 2005, 73-78. Man muss aber auch auf das gesamte theologische Werk des Papstes verweisen. Ich nenne hier zunächst den programmatischen Artikel des Theologen Joseph Ratzinger aus dem Jahr 1964 „Der christliche Glaube und die Weltreligionen“, in: Vom Wiederfinden der Mitte, 60-82 (ursprünglich in der Festschrift für Karl Rahner „Gott in Welt“). Dies gilt aber ohne Abstriche auch für die spätere Zeit, vgl. dazu J. Kardinal Ratzinger, Die Vielfalt der Religionen und der Eine Bund = Urfelder Reihe 1, Bad Tölz 2005 (4. Aufl.).
[16] Dazu Chr. Bultmann/B. Kranemann/J. Rüpke (Hg.), Religion / Gewalt / Gewaltlosigkeit. Probleme – Positionen – Perspektiven, Münster 2004; G. Baudler, Gewalt in den Weltreligionen, Darmstadt 2005; B. Lermen/G. Rüther (Hg.), In Gottes Namen? Zur kulturellen und politischen Debatte um Religion und Gewalt, Sankt Augustin 2004 (Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.); B. Lewis, Der Atem Allahs. Die islamische Welt und der Westen – Kampf der Kulturen?, München 1998, 3. Aufl. 2001 (Oxford 1994); Ders., Der Untergang des Morgenlandes. Warum die islamische Welt ihre Vormacht verlor?, Bergisch Gladbach 2002; Ders., Die Wut der arabischen Welt. Warum der jahrhundertelange Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen weiter eskaliert?, Frankfurt/Main 2003, 2. Aufl. 2004 (Amerikanische Originalausgabe 2003); A. Al-Azmeh, Die Islamisierung des Islam. Imaginäre Welten einer politischen Theologie = Edition Pandora 32, Frankfurt/Main 1996 (London 1993); A. Th. Khoury, Mit Muslimen in Frieden leben. Friedenspotentiale des Islam, Würzburg 2002, U. Spuler-Stegemann, Feindbild Christentum im Islam. Eine Bestandsaufnahme, Freiburg i. Br. 2004. Zum Ganzen vgl. immer noch R. Leuze, Christentum und Islam, Tübingen 1994.








All the contents on this site are copyrighted ©.