Vatikan: Neuer Botschafter Österreichs beim Heiligen Stuhl
Papst Benedikt XVI. hat beim Antrittsbesuch des neuen Botschafters Österreichs beim
Heiligen Stuhl, Martin Bolldorf, die lange Verbundenheit zwischen Österreich und dem
Vatikan unterstrichen. Im europäischen Einigungsprozess kämen der Identität und den
geistigen Fundamenten Europas mit ihrem christliche Erbe eine besondere Bedeutung
zu, so der Papst in seinem Grußwort an den Botschafter. Österreich sei als "europaerfahrenes
Land" und auf Grund seiner Geschichte als einstiger Vielvölkerstaat geradezu "prädestiniert
zu einem überzeugten Europaengagement im Rahmen der politisch-institutionellen Vorgaben
und auch darüber hinaus". (kathpress 180906 mc)
Lesen Sie hier den ganzen
Text der Ansprache Benedikts XVI. an den neuen Botschafter:
Exzellenz! Sehr
geehrter Herr Botschafter! Mit Freude heiße ich Sie zu diesem feierlichen Anlaß
der Übergabe Ihres Beglaubigungsschreibens als außerordentlicher und bevollmächtigter
Botschafter der Republik Österreich beim Heiligen Stuhl willkommen. Für die freundlichen
Worte, die Sie an mich gerichtet haben, und für die guten Wünsche, die Sie seitens
des Herrn Bundespräsidenten Dr. Heinz Fischer überbracht haben, danke ich Ihnen vielmals.
Meinerseits entbiete ich dem Staatsoberhaupt, der Bundesregierung und dem ganzen österreichischen
Volk gerne meine besten Segensgrüße. Damit verbinde ich den Wunsch und die Zuversicht,
daß während Ihrer Amtszeit die traditionell und auch heute sehr guten Beziehungen
zwischen Österreich und dem Apostolischen Stuhl weitergeführt und vertieft werden
können. Österreich und der Heilige Stuhl stehen in der Tat in langer und fruchtbarer
Verbundenheit. Diese Verbundenheit ist mehr als ein geschichtliches Faktum; sie gründet
vor allem in der Zugehörigkeit der großen Mehrheit der österreichischen Bevölkerung
zur katholischen Kirche. Schon aus dieser Tatsache ergeben sich gemeinsame Orientierungen,
Optionen und Interessen. Diese betreffen vornehmlich den Menschen, seine Freiheit
und Würde, seine Zukunft in Zeit und Gesellschaft. Unter verschiedenen Blickwinkeln
geht es sowohl dem Staat als auch der Kirche um das Wohl des Menschen. Es dient dem
Menschen, wenn die in Österreich politisch Handelnden – in den Gemeinden und in den
Städten, auf Bezirks- und Landesebene, im Parlament und vor allem in der Bundesregierung
– sich von einem „Weltbild“ leiten lassen, in dem die durch den christlichen Glauben
vermittelten Werte bestimmend sind. Wer so wie die jüdisch-christliche Offenbarung
den von Gott geschaffenen Menschen in das Zentrum von Schöpfung und Geschichte stellt,
orientiert sein gesellschaftliches und politisches Handeln am wahren Wohl des Menschen,
dessen Interessen und Würde niemals den Parametern der „Machbarkeit“, des Nutzens
und der Produktivität unterworfen werden dürfen. Jede wahrhaft humane Politik geht
stets davon aus, daß der größte Reichtum einer Nation ihre Menschen sind. Zu den
– um es einmal so auszudrücken – „gemeinsamen Interessen“ des Heiligen Stuhls und
Österreichs gehört Europa, und hier besonders die weitere Entwicklung des europäischen
Einigungsprozesses. Wie vielleicht in keinem anderen Erdteil, sind die Geschichte
und Kultur Europas vom Christentum geprägt. Dies gilt ebenso für den Lebensraum der
rund 457 Millionen Einwohner der 25 EU-Mitgliedsstaaten, von denen sich ein Großteil
zum christlichen Glauben bekennt. Der regionale und nationale Lebensraum, die nähere
und die weitere Heimat, aus der in der Regel die meisten Menschen die wichtigsten
Elemente ihrer kulturellen Identität beziehen, wird mehr und mehr durch den europäischen
Lebensraum, die gemeinsame Heimat Europa ergänzt. Dazu tragen die grenzüberschreitende
Mobilität und die sozialen Kommunikationsmittel nicht unwesentlich bei. Als Mitgestalterin
der Geschichte und Kultur des europäischen Kontinents durch die Jahrhunderte hindurch
begrüßt die katholische Kirche diese Entwicklung grundsätzlich. Wo sich Menschen und
Völker als Glieder ein und derselben Familie betrachten, wachsen die Chancen für Frieden,
Solidarität, Austausch und gegenseitige Bereicherung. Die moderne Gesellschaft
der offenen Grenzen läßt sich also immer weniger national definieren. Daher und aus
lebendigem Geschichtsbewußtsein empfinden sich die Österreicher, ähnlich wie die Angehörigen
ihrer Nachbarvölker, zu Recht als Europäer, als Bürger und Bürgerinnen des immer stärker
an Konturen gewinnenden geeinten Europas. Österreich ist zudem ein europaerfahrenes
Land. Seine reiche Geschichte als einstiger Vielvölkerstaat prädestiniert es zu einem
überzeugten Europaengagement im Rahmen der politisch-institutionellen Vorgaben und
auch darüber hinaus. Schließlich gehört das Bemühen um die Pflege und Vertiefung guter
nachbarschaftlicher Beziehungen und um die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Beteiligten
für den Frieden und das Wohl der Völker im Donauraum zu den Konstanten der österreichischen
Außenpolitik. Diese Prinzipien und Erfahrungen haben auch die österreichische EU-Ratspräsidentschaft
im ersten Halbjahr 2006 inspiriert, die man als „Dienstleistung an Europa“ verstehen
wollte und in der der Schwerpunkt auf die Vertrauensarbeit unter den Mitgliedsstaaten
der EU gelegt wurde. Sehr geehrter Herr Botschafter! Der weitere Weg der europäischen
Integration, der erfolgreiche Weiterbau am großen Haus Europa, unter dessen Dach die
Völker des Kontinents in Frieden und gegenseitigem Respekt und Austausch ihre Zukunft
gemeinsam gestalten, hängt ganz wesentlich vom Vertrauen der Bürger in dieses Projekt
ab. In den Diskussionen um den Erweiterungsprozeß der Europäischen Union einerseits
und um die europäische Verfassung andererseits sind neuerlich Fragen von grundsätzlicher
Bedeutung aufgeworfen worden. Immer wieder geht es hier letztlich um die Frage nach
der Identität und nach den geistigen Fundamenten, auf denen die Staaten- und Völkergemeinschaft
der Europäer ruht. Weder eine mehr oder weniger gut funktionierende Wirtschaftsunion
noch ein bürokratisches Regelwerk des Zusammenlebens können die Erwartungen der Menschen
an Europa vollends erfüllen. Die tieferen Quellen eines tragfähigen und krisenfesten
europäischen „Miteinanders“ liegen vielmehr in den gemeinsamen Überzeugungen und Werten
der christlichen und humanistischen Geschichte und Tradition des Kontinents. Ohne
eine echte Wertegemeinschaft kann letztlich auch keine verläßliche Rechtsgemeinschaft,
die sich die Menschen erhoffen und erwarten, aufgebaut werden. Österreich gehört heute
in Europa zu den kleineren Ländern. Dennoch kann es einen großen Beitrag leisten:
einen Beitrag dazu, daß die Rechte und die unantastbare Würde des Menschen, der nach
dem Ebenbild Gottes geschaffen ist, und die Stellung der Familie als Keimzelle der
Gesellschaft im Lebensraum Europa immer und unter allen Umständen geachtet und geschützt
werden; einen Beitrag auch dazu, daß Europa im notwendigen Prozeß der Selbstvergewisserung
den Blick auf Gott, den Schöpfer allen Lebens, richtet, in dem Gerechtigkeit und Liebe
zusammenfallen. Ihre Akkreditierung, Herr Botschafter, ist auch für mich ein guter
Anlaß, um mit Zufriedenheit erneut festzustellen, daß in Ihrem geschätzten Lande eine
bewährte und fruchtbare Zusammenarbeit und Partnerschaft von Staat und Kirche zum
Wohle und Nutzen aller Einwohner fortbesteht. Bei früheren Gelegenheiten sind die
verschiedenen Bereiche dieser Kooperation eingehend betrachtet worden. Ich möchte
an dieser Stelle nur die Weiterentwicklung der pädagogischen Hochschulen im Einvernehmen
mit der Kirche nennen und auf der Grundlage des Konkordates das Engagement des Staates
für die katholische Religionslehre hervorheben, die in Österreich ein fester Bestandteil
des Pflichtunterrichts ist. Angesichts der steigenden Zahl von Schülern ohne Konfessionszugehörigkeit
ist der Staat vor die Aufgabe gestellt, auch diesen Kindern und Jugendlichen die Grundlagen
des abendländischen Denkens und der vom christlichen Geist getragenen „Zivilisation
der Liebe“ zu vermitteln. Sehr geehrter Herr Botschafter, Österreich ist bekannt
für seine große Offenheit gegenüber der weltweiten Mission des Nachfolgers Petri im
Dienst der Verbreitung des Evangeliums der Hoffnung und des befreienden Glaubens an
Jesus Christus, den Herrn und Erlöser der Menschheit, der allen Völkern Versöhnung,
Gerechtigkeit und Frieden schenken will. Ich darf Ihnen auch sagen, daß auf der ganzen
Welt viele dankbar sind für die Hilfe, die österreichische Katholiken und zahlreiche
Menschen guten Willens in Ihrer Heimat für die sozialen, humanitären und missionarischen
Projekte der Kirche bereitstellen. Auf Ihrem eigenen diplomatischen Weg haben Sie
sich bereits mit der Sendung des Heiligen Stuhls vertraut gemacht. Ich bin sicher,
daß Ihnen Ihre neue Aufgabe in Rom reiche Erfüllung und Freude schenken wird. Auf
die Fürbitte der Gottesmutter von Mariazell, des seligen Karl von Österreich und aller
heiligen Landespatrone, erteile ich Ihnen, Herr Botschafter, den Angehörigen der Botschaft
der Republik Österreich beim Heiligen Stuhl und nicht zuletzt Ihrer werten Familie
von Herzen den Apostolischen Segen.