Liebe Freunde! Wir
sind hier am Gnadenort Altötting in der Basilika der heiligen Anna gegenüber dem Heiligtum
ihrer Tochter, der Mutter des Herrn, versammelt - Seminaristen auf dem Weg zum Priestertum,
Priester, Ordensleute, Mitglieder des Werkes für geistliche Berufe -, um nach unserer
Berufung für den Dienst Jesu Christi zu fragen und bei der heiligen Anna, in deren
Haus die größte Berufung der Heilsgeschichte gereift ist, unsere Berufung zu erlernen.
Maria empfing ihre Berufung aus dem Mund des Engels. In unsere Stube tritt der Engel
nicht sichtbar ein, aber mit jedem von uns hat der Herr seinen Plan; ein jeder wird
von ihm bei seinem Namen gerufen. So ist unser Auftrag, hörend zu werden, fähig, seinen
Anruf zu vernehmen, mutig und treu zu werden, damit wir ihm folgen und am Schluß als
zuverlässige Knechte befunden werden, die recht mit der anvertrauten Gabe gewirkt
haben.
Wir wissen, der Herr sucht Arbeiter für seine Ernte. Er selber hat es
gesagt: „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige. Bittet daher den Herrn
der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Mt 9, 37f). Dazu haben wir
uns hier versammelt, diese Bitte zum Herrn der Ernte hinaufzuschicken. Ja, die Ernte
Gottes ist groß und wartet auf Arbeiter – in der sogenannten dritten Welt, in Lateinamerika,
in Afrika, in Asien warten die Menschen auf Boten, die ihnen das Evangelium des Friedens,
die Botschaft von dem menschgewordenen Gott bringen. Und auch im sogenannten Westen,
bei uns in Deutschland wie auch in den Weiten Rußlands gilt, daß die Ernte groß sein
könnte. Aber es fehlen die Menschen, die bereit sind, sich zu Gottes Erntearbeitern
zu machen. Es steht heute wie damals, als den Herrn das Mitleid erschütterte über
Menschen, die ihm wie Schafe ohne Hirten erschienen – Menschen, die gewiß alles Mögliche
wußten, aber nicht sehen konnten, wie ihr Leben recht zu ordnen sei. Herr, schau die
Not dieser unserer Stunde an, die Boten des Evangeliums braucht, Zeugen für dich,
Wegweiser zum „Leben in Fülle“! Sieh die Welt und laß dich auch jetzt vom Mitleid
erschüttern! Sieh die Welt an und schicke Arbeiter! Mit dieser Bitte klopfen wir an
der Tür Gottes an; aber mit dieser Bitte klopft dann der Herr auch an unser eigenes
Herz. Herr, willst du mich? Ist es nicht zu groß für mich? Bin ich nicht zu klein
dazu? Fürchte dich nicht, hat der Engel zu Maria gesagt. Fürchte dich nicht, ich habe
dich bei deinem Namen gerufen, sagt er durch den Propheten Jesaja zu uns (43, 1) -
zu einem jeden von uns.
Wohin gehen wir, wenn wir Ja sagen zum Ruf des Herrn?
Die kürzeste Beschreibung der priesterlichen Sendung, die in analoger Weise auch für
die Ordensleute gilt, hat uns der Evangelist Markus geschenkt, der bei der Erzählung
von der Berufung der Zwölf sagt: „Er machte zwölf, damit sie bei ihm seien und damit
er sie sende“ (Mk 3, 14). Bei ihm sein und als Gesandter auf dem Weg zu den
Menschen – das gehört zusammen und bildet zusammen das Wesen des geistlichen Berufs,
des Priestertums. Bei ihm sein und gesandt sein – das ist nicht voneinander zu trennen.
Nur wer bei „Ihm“ ist, lernt ihn kennen und kann ihn recht verkünden. Wer bei ihm
ist, behält es nicht für sich, sondern muß weitergeben, was er gefunden hat. Es geht
ihm wie dem Andreas, der seinem Bruder Simon sagte: „Wir haben den Messias gefunden“
(Joh 1,41). Der Evangelist fügt hinzu: „Und er führte ihn zu Jesus“ (Joh
1,42). Gregor der Große hat in einer Predigt einmal gesagt: In welche Weiten die Engel
auch mit ihren Sendungen gehen, sie bewegen sich immer innerhalb Gottes. Sie sind
immer bei ihm. Bei den Engeln dachte er auch an die Bischöfe und Priester: Wo immer
sie hingehen, sie sollten doch immer „bei ihm“ bleiben. Die Praxis zeigt es uns: Wo
Priester das Sein beim Herrn wegen der großen Aufgaben immer kürzer und geringer werden
lassen, da verlieren sie bei aller vielleicht heroischen Aktivität am Ende die innere
Kraft, die sie trägt. Was sie tun, wird zu leerem Aktivismus. Bei ihm sein, wie geht
das? Nun, das erste und Wichtigste ist für den Priester die täglich von innen her
gefeierte heilige Messe. Wenn wir sie wirklich als betende Menschen feiern, unser
Wort und unser Tun mit dem uns vorausgehenden Wort und der Gestalt der Eucharistiefeier
vereinigen, wenn wir in der Kommunion uns wirklich von ihm umfangen lassen, ihn empfangen
– dann sind wir bei ihm.
Das Stundengebet ist eine grundlegende Weise des
Seins bei ihm: Da beten wir als des Gesprächs mit Gott bedürftige Menschen, aber da
nehmen wir auch die anderen Menschen mit, die nicht Zeit und Möglichkeit zu solchem
Beten haben. Damit unsere Eucharistiefeier und das Stundengebet von innen gefüllt
bleiben, müssen wir auch immer wieder die Heilige Schrift geistlich lesen; nicht nur
Worte aus der Vergangenheit enträtseln, sondern nach dem gegenwärtigen Zuspruch des
Herrn an mich suchen. Nur so können wir das heilige Wort als gegenwärtiges Wort Gottes
zu den anderen bringen.
Eine wesentliche Weise des Mitseins mit dem Herrn ist
die eucharistische Anbetung. Altötting hat dank Bischof Schraml eine neue Schatzkammer
erhalten. Wo einst die Schätze der Vergangenheit, Kostbarkeiten der Geschichte und
der Frömmigkeit aufbewahrt wurden, ist jetzt der Ort für den eigentlichen Schatz der
Kirche: die ständige Gegenwart des Herrn im Sakrament. Der Herr erzählt uns in einem
seiner Gleichnisse von dem im Acker verborgenen Schatz; wer ihn gefunden hat, verkauft
alles, um den Acker erwerben zu können, weil der versteckte Schatz alle anderen Werte
übertrifft. Der verborgene Schatz, das Gut über alle Güter, ist das Reich Gottes –
ist er selbst, das Reich in Person. In der heiligen Hostie ist er da, der wahre Schatz,
für uns immer zugänglich. Im Anbeten dieser seiner Gegenwart lernen wir erst, ihn
recht zu empfangen – lernen wir das Kommunizieren, lernen wir die Feier der Eucharistie
von innen her. Ich darf dazu ein schönes Wort von Edith Stein, der heiligen Mitpatronin
Europas, zitieren: „Der Herr ist im Tabernakel gegenwärtig mit Gottheit und Menschheit.
Er ist da, nicht Seinetwegen, sondern unseretwegen: weil es Seine Freude ist, bei
den Menschen zu sein. Und weil er weiß, daß wir, wie wir nun einmal sind, Seine persönliche
Nähe brauchen. Die Konsequenz ist für jeden natürlich Denkenden und Fühlenden, daß
er sich hingezogen fühlt und dort ist, sooft und solange er darf“ (Gesammelte Werke
VII, 136f). Lieben wir es, beim Herrn zu sein. Da können wir alles mit ihm bereden.
Unsere Fragen, unsere Sorgen, unsere Ängste. Unsere Freuden. Unsere Dankbarkeit, unsere
Enttäuschungen, unsere Bitten und Hoffnungen. Da können wir es ihm auch immer wieder
sagen: Herr, sende Arbeiter in deine Ernte. Hilf mir, ein guter Arbeiter in deinem
Weinberg zu sein.
Hier in dieser Basilika denken wir dabei an Maria, die ganz
im Mitsein mit Jesus lebte und deshalb auch ganz für die Menschen da war und es bis
heute ist: Die Votivtafeln zeigen es uns ganz praktisch. Und wir denken an die heilige
Mutter Anna. So denken wir auch an die Bedeutung der Mütter und der Väter, der Großmütter
und der Großväter, an die Bedeutung der Familie als Raum des Lebens und des Betens,
in dem Beten gelernt wird und Berufungen reifen können.
Hier in Altötting denken
wir natürlich auch ganz besonders an den guten Bruder Konrad. Er hat auf ein großes
Erbe verzichtet, weil er ganz Jesus Christus nachfolgen, ganz mit ihm sein wollte.
Er hat sich, wie es der Herr im Gleichnis empfiehlt, wirklich auf den letzten Platz
gesetzt, als demütiger Pfortenbruder. In seiner Pfortenstube hat er genau das verwirklicht,
was uns Markus über die Apostel sagt: Mit ihm sein und gesandt sein zu den Menschen.
Er konnte von seiner Zelle aus immer auf den Tabernakel hinschauen, immer „mit ihm
sein“. Von diesem Blick her hat er die nicht zu zerstörende Güte gelernt, mit der
er den Menschen begegnete, die fast ohne Unterbrechung an seiner Pforte anläuteten
– auch manchmal eher bösartig, um ihn bloßzustellen; auch manchmal ungeduldig und
laut: Ihnen allen hat er ohne große Worte durch seine Güte und Menschlichkeit eine
Botschaft geschenkt, die mehr wert war als bloße Worte. Bitten wir den heiligen Bruder
Konrad, daß er uns hilft, den Blick auf den Herrn gerichtet zu halten und daß er uns
so hilft, Gottes Liebe zu den Menschen zu bringen. Amen.