Nach zwei Tagen in seiner Studien- und Bischofsstadt München ist
Papst Benedikt XVI. heute in das „Traumland seiner Kindheit“ gereist. 60.000 Menschen
erwarteten ihn im oberbayerischen Altötting, das bereits zum Bistum Passau gehört.
In seiner Predigt erinnerte der Papst daran, dass Maria die Menschen zu Christus führe.
Ein Beitrag von Birgit Pottler:
Altötting ist an Pilgerströme gewohnt. 90 Kilometer
südöstlich von München liegt es und nimmt pro Jahr mehr als eine Million Menschen
auf. Päpste waren auch schon hier: Einer im 15. Jahrhundert und Johannes Paul II.
1980. Doch der 11. September 2006 wird in die Geschichte eingehen – schließlich kommt
der Ehrenbürger dieser Stadt nach Hause. Um zwei Uhr nachts waren die ersten Menschen
gekommen, kurz nach acht sind bereits knapp 40.000 auf dem Kapellplatz. 20.000 weitere
säumen die umliegenden Straßen. Der kleine Ort hatte sich verfünffacht. Der Weg
des Papstes geht direkt in die Gnadenkapelle. Wie die Pilger seit 500 Jahren zieht
auch er zur Schwarzen Madonna, der Mutter Gottes mit Kind aus Lindenholz, die vom
Ruß der Kerzen dunkel geworden ist. Altötting ist einer der fünf großen Marienwallfahrtsorte
Europas, neben Lourdes, Fatima, Loreto und Tschenstochau. Berichte von zwei Heilungswundern
aus dem Jahr 1489 begründeten die Wallfahrt. Die Herrscher des Hauses Wittelsbach
ließen hier ihre Herzen beisetzen, auch deshalb trägt Altötting den Beinamen „Herz
Bayerns“. Der Papst selbst nennt es gar „eines der Herzen Europas“. Alleine betet
er vor dem Gnadenbild, bevor es zur Altarinsel draußen auf dem Platz getragen wird. Dann
beginnt der Gottesdienst. Die Predigt des Papstes ist eine Katechese über Marienverehrung.
Der Glaube muss wieder erwachen, sagte er am Sonntag. Am Montag unterwies der Hirte
seine Schäfchen im Glauben. Maria und Jesus gehörten untrennbar zusammen, so der Papst,
und erinnerte an das Magnifacat: „Meine Seele macht Gott groß. Gott groß machen,
das heißt ihm Raum gebenin der Welt, im eigenen Leben, ihn einlassen in unsere Zeit
und unser Tun – das ist das tiefste Wesen rechten Betens. Wo Gott groß wird, da wird
der Mensch nicht klein: Da wird auch der Mensch groß, und da wird die Welt hell.“ Benedikt
XVI. pilgerte von Kindheit an nach Altötting. Wohl auch deshalb war eines der zahlreichen
Geschenke für ihn später ein Pilgerstab. Der Papst wurde mit bayerischer Marienfrömmigkeit
groß, sie prägte auch seine Predigt: „Zu dieser Mutter pilgern die Menschen seit
Generationen hier nach Altötting. Ihr vertrauen wir unsere Sorgen, Nöte und Bedrängnisse
an. … So lehrt sie uns beten: Nicht unseren Willen und unsere Wünsche Gott gegenüber
durchsetzen wollen, sondern ihm überlassen, was er tun wird. Von Maria lernen wir
die helfende Güte, aber auch die Demut und die Großzügigkeit, Gottes Willen anzunehmen
und ihm zu glauben, dass seine Antwort das Gute für uns ist.“ Maria sei die betende
Kirche in Person. Und: „Maria und Jesus gehören zusammen. Mit ihr wollen wir im
Gespräch mit dem Herrn bleiben und so ihn besser empfangen lernen. Heilige Mutter
Gottes, bitte für uns, wie du in Kana für die Brautleute gebeten hast. Führe uns zu
Jesus – immer von neuem. Amen.“ Vor allem die internationale Presse hatte sich
ein Wort zu den Anschlägen vom 11. September erwartet, einen neuerlichen Appell des
Papstes für Frieden und gegen Terror. Er selbst fügte seinen Worten der vergangenen
Wochen und Monate nichts hinzu. Es waren die Gläubigen auf dem Platz, die in den Fürbitten
stellvertretend für die ganze Kirche an das Drama erinnerten. Der Papst feierte
Eucharistie. Nicht mehr und nicht weniger. Der Gottesdienst entsprach seiner Vorstellung
von Liturgie. Nicht schnörkellos, aber pur. Nach dem Segen die die Prozession zur
neuen Anbetungskapelle in der ehemaligen Schatzkammer der Stifts- und Pfarrkirche.
Der Papst selbst trug das Allerheiligste einmal über den ganzen Platz und setzte es
auf einem Originalstein der Münchner Mariensäule, die im II. Weltkrieg zerstört worden
war, aus. Die Schwarze Madonna fand seitlich einen Platz. Die Freude des Papstes,
wieder zu Hause zu sein, zieht sich durch diese Tage wie ein roter Faden, ohne jedoch
die Gottesdienste zu überlasten. Nur und erst als die gotischen Mauern der Anbetungskapelle
den Papst am Morgen in Altötting von der Menge draußen kurz trennten, war sie wirklich
hörbar. Als erster Beter in der Anbetungskapelle kniete er still nieder, allein
mit sich und seinem Gott; dass er über Fernsehbilder weltweit beobachtet wurde, schien
ihm kaum bewusst. Und während die Menge draußen schon das abschließende Marienlied
sang, kniete der Papst noch immer. Zweimal forderte Erzbischof Marini ihn zum Gehen
auf, der Papst sagte „Nein“, verharrte im Gebet, wischte Tränen vom Gesicht. Minutenlang
dauerte dann der Benedetto-Chor, er hallte wieder auf dem halbrunden Platz mit den
fünf Kirchen und klang wirklich wie aus einem Mund. Der eigens für die Messe zusammengestellte
Chor mit Sängern aus dem ganzen Bistum Passau darf sich wohl rühmen, Komponist einer
neuen Überstimme zu sein. (rv 11.09.06 bp)