Papst ehrt Maria auf dem Kapellplatz - die Predigt
Liebe Schwestern
und Brüder!
In Lesung, Antwortgesang und Evangelium dieses Tages treffen wir
dreimal Maria, die Mutter des Herrn, in je verschiedener Weise als Betende an. In
der Apostelgeschichte finden wir sie in der Mitte der Gemeinschaft der Jünger, die
sich im Abendmahlssaal versammelt haben und nun den zum Vater aufgestiegenen Herrn
anrufen, daß er seine Verheißung erfülle: In wenigen Tagen werdet ihr mit dem Heiligen
Geist getauft werden (Apg 1, 5). Maria führt die werdende Kirche im Gebet an, sie
ist gleichsam die betende Kirche in Person. Und so steht sie mit der großen Gemeinschaft
der Heiligen als deren Mitte noch immer vor Gott und bittet für uns, bittet ihren
Sohn darum, daß er der Kirche und der Welt neu seinen Geist sende und das Angesicht
der Erde erneuere.
Wir antworten auf die Lesung, indem wir mit Maria den großen
Lobgesang singen, den sie angestimmt hat, als Elisabeth sie ihres Glaubens wegen seliggepriesen
hatte. Dies ist ein Gebet des Dankes, der Freude an Gott, der Lobpreisung für seine
großen Taten. Der Grundton dieses Hymnus ist gleich im ersten Wort angegeben: Meine
Seele macht Gott groß. Gott groß machen, das heißt ihm Raum geben in der Welt, im
eigenen Leben, ihn einlassen in unsere Zeit und unser Tun – das ist das tiefste Wesen
rechten Betens. Wo Gott groß wird, da wird der Mensch nicht klein: Da wird auch der
Mensch groß, und da wird die Welt hell.
Im Evangelium richtet Maria zugunsten
von Freunden, die in Verlegenheit sind, eine Bitte an ihren Sohn. Auf den ersten Blick
kann dies als ein ganz menschliches Gespräch zwischen Mutter und Sohn erscheinen,
und ein Gespräch von tiefster Menschlichkeit ist es ja auch. Aber Maria redet Jesus
doch nicht einfach als einen Menschen an, auf dessen Phantasie und Hilfsbereitschaft
sie etwa bauen würde. Sie vertraut menschliche Not seiner Macht an – einer Macht,
die über menschliches Können und Vermögen hinausgeht. Und so sehen wir sie im Gespräch
mit Jesus doch als bittende, als fürbittende Mutter. Es lohnt sich, in dieses Evangelium
tiefer hineinzuhören: Um Jesus und Maria besser zu verstehen, aber gerade auch, um
von Maria das rechte Beten zu erlernen. Maria richtet keine eigentliche Bitte an Jesus;
sie sagt ihm nur: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Hochzeiten im Heiligen Land dauerten
eine ganze Woche lang; das ganze Dorf war beteiligt, und so wurden große Mengen Weines
gebraucht. Nun sind die Brautleute in Verlegenheit, und Maria sagt es Jesus ganz einfach.
Sie sagt Jesus nicht, was er tun soll. Sie bittet nicht um etwas Bestimmtes, schon
gar nicht darum, daß er ein Wunder tue, durch das er Wein produzieren würde. Sie vertraut
Jesus nur einfach die Sache an und überläßt es ihm, was er daraufhin tut. So sehen
wir in dem einfachen Wort der Mutter Jesu zweierlei: Einerseits ihre liebevolle Fürsorge
für die Menschen, ihre mütterliche Wachheit, mit der sie die Bedrängnis der anderen
wahrnimmt; wir sehen ihre herzliche Güte und Hilfsbereitschaft. Zu dieser Mutter pilgern
die Menschen seit Generationen hier nach Altötting. Ihr vertrauen wir unsere Sorgen,
Nöte und Bedrängnisse an. Die helfende Güte der Mutter, der wir uns anvertrauen –
hier sehen wir sie zum ersten Mal in der Heiligen Schrift. Aber zu diesem ersten und
uns allen vertrauten Aspekt kommt noch ein zweiter, den wir leicht übersehen: Maria
überläßt alles dem Herrn. Sie hat in Nazareth ihren Willen in Gottes Willen hineingegeben:
„Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1, 38). Das
ist ihre bleibende Grundhaltung. So lehrt sie uns beten: Nicht unseren Willen und
unsere Wünsche Gott gegenüber durchsetzen wollen, sondern ihm überlassen, was er tun
wird. Von Maria lernen wir die helfende Güte, aber auch die Demut und die Großzügigkeit,
Gottes Willen anzunehmen und ihm zu glauben, daß seine Antwort das Gute für uns ist.
Wenn
wir so das Verhalten und die Worte Marias sehr gut begreifen können, fällt es uns
um so schwerer, die Antwort Jesu zu verstehen. Schon die Anrede gefällt uns nicht:
„Frau“ – warum sagt er nicht: Mutter? Nun, diese Anrede drückt die Stellung Marias
in der Heilsgeschichte aus. Sie weist voraus auf die Stunde der Kreuzigung, in der
Jesus zu ihr sagen wird: Frau, siehe deinen Sohn – Sohn, siehe deine Mutter. Sie weist
so voraus auf die Stunde, in der er die Frau, seine Mutter, zur Mutter aller Jünger
machen wird. Und sie weist zurück auf den Bericht von der Erschaffung Evas: Adam sah
sich als Mensch allein in der Schöpfung bei all ihrem Reichtum. Da wird Eva geschaffen,
und nun hat er die Gefährtin gefunden, auf die er wartete und die mit dem Wort „Frau“
benannte. So steht Maria als die neue, die endgültige Frau im Johannes-Evangelium,
als die Gefährtin des Erlösers, als unsere Mutter: Die scheinbar abweisende Anrede
drückt die Größe ihrer Sendung aus.
Aber noch weniger gefällt uns, was Jesus
dann in Kana zu Maria sagt: Was willst du von mir, Frau? Wörtlich heißt es: Was habe
ich mit dir zu tun, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Wir möchten einwenden:
Viel hast du zu tun mit ihr. Sie hat dir Fleisch und Blut gegeben, deinen Leib. Und
nicht nur den Leib; sie hat dich mit ihrem aus dem Herzen kommenden Ja getragen und
dich mit mütterlicher Liebe ins Leben, in die Gemeinschaft des Volkes Israel eingeführt
und eingelebt. Wenn wir so mit Jesus reden, sind wir schon auf dem Weg, seine Antwort
zu verstehen. Denn all das muß uns daran erinnern, daß es in der Heiligen Schrift
eine Parallele zu dem Dialog gibt, den Maria mit dem Erzengel Gabriel führt und in
dem sie sagt: Mir geschehe nach deinem Wort. Diese Parallele findet sich im Hebräer-Brief,
der uns mit Worten des Psalms 40 von dem Dialog zwischen Vater und Sohn erzählt, in
dem sich die Menschwerdung anbahnt. Der ewige Sohn sagt zum Vater: „Opfer und Gaben
hast du nicht gewollt, einen Leib hast du mir bereitet… Siehe, ich komme…, o Gott,
deinen Willen zu tun“ (Hebr 10, 5 – 7; Ps 40, 6 – 8). Das Ja des Sohnes „Ich komme,
deinen Willen zu tun“ und das Ja Marias „Mir geschehe nach deinem Wort“ – dieses doppelte
Ja wird zu einem einzigen Ja, und so wird das Wort Fleisch in Maria. In diesem doppelten
Ja nimmt der Sohnesgehorsam Leib an; schenkt Maria ihm den Leib. „Frau, was habe ich
mit dir zu tun?“ Was sie im tiefsten miteinander zu tun haben, ist dieses zweifache
Ja, in dessen Zusammenfallen die Menschwerdung geschah. Auf diesen Punkt ihrer tiefsten
Einheit miteinander führt der Herr mit seinem Wort hin. Dort, in dem gemeinsamen Ja
zum Willen des Vaters findet sich die Lösung. Zu diesem Punkt sollen auch wir hingehen;
dort wird Antwort auf unsere Fragen.
Von da aus verstehen wir auch den zweiten
Satz der Antwort Jesu: Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Jesus handelt nie einfach
aus Eigenem; nie um nach außen zu gefallen. Er handelt immer vom Vater her, und gerade
das eint ihn mit Maria, denn dorthin, in diese Willenseinheit mit dem Vater, wollte
sie auch ihre Bitte legen. Deswegen kann sie erstaunlicherweise nach der scheinbar
abweisenden Antwort Jesu ganz einfach zu den Dienern sagen: „Was er euch sagt, das
tut.“ Jesus wirkt kein Mirakel, spielt nicht mit seiner Macht in einer eigentlich
ganz privaten Angelegenheit. Er wirkt ein Zeichen, mit dem er seine Stunde ankündigt,
die Stunde der Hochzeit, der Vereinigung zwischen Gott und Mensch. Er „macht“ nicht
einfach Wein, sondern er verwandelt die menschliche Hochzeit in ein Bild des göttlichen
Hochzeitsfestes, zu dem der Vater durch den Sohn einlädt und in dem er die Fülle des
Guten schenkt. Die Hochzeit wird zum Bild des Kreuzes, in dem Gott seine Liebe bis
zum Äußersten führt; sich selber im Sohn mit Fleisch und Blut gibt – im Sohn, der
das Sakrament einsetzt, in dem er sich uns für alle Zeiten schenkt. So wird auf wahrhaft
göttliche Weise die Not gelöst und die anfängliche Frage weit überschritten. Jesu
Stunde ist noch nicht da, aber im Zeichen der Verwandlung von Wasser in Wein, im Zeichen
der festlichen Gabe nimmt er seine Stunde jetzt schon vorweg.
Seine endgültige
„Stunde“ ist seine Wiederkunft. Aber immerfort nimmt er diese Stunde vorweg in der
heiligen Eucharistie, in der er immer jetzt schon kommt. Und immer neu tut er es auf
die Fürbitte seiner Mutter, auf die Fürbitte der Kirche hin, die in den eucharistischen
Gebeten ihn anruft: Komm, Herr Jesus! Im Hochgebet bittet die Kirche immer von neuem
um diese Vorwegnahme der Stunde – darum, daß er jetzt schon komme und sich uns schenke.
So wollen wir uns von Maria, von der Gnadenmutter von Altötting, von der Mutter aller
Glaubenden auf die Stunde Jesu zuführen lassen. Bitten wir ihn, daß er uns schenkt,
ihn immer mehr zu erkennen und zu verstehen. Und lassen wir das Empfangen nicht auf
den Augenblick der Kommunion beschränkt sein. Er bleibt da in der heiligen Hostie
und wartet immerfort auf uns. Die Anbetung des Herrn in der Eucharistie hat in Altötting
in der alten Schatzkammer einen neuen Ort gefunden. Maria und Jesus gehören zusammen.
Mit ihr wollen wir im Gespräch mit dem Herrn bleiben und so ihn besser empfangen lernen.
Heilige Mutter Gottes, bitte für uns, wie du in Kana für die Brautleute gebeten hast.
Führe uns zu Jesus – immer von neuem. Amen.