Papst Benedikt XVI.
hat in München zu mehr Sensibilität für andere Kulturen aufgerufen und vor glaubensleerem
Aktionismus gewarnt. Die Messe auf dem Gelände der Neuen Messe in München-Riem ist
einer der Höhepunkte der sechstägigen Reise. Birgit Pottler fasst zusammen:
„Macht
die Ohren auf für Gott!“ So kurz wie schwer ist diese Quintessenz der prägnantesten
Predigt seiner Amtszeit. Papst Benedikt, der sich sonst vielmehr als sein Vorgänger
an die Lesungen des Sonntags hält, richtete im ersten Gottesdienst klare Worte an
seine deutsche Kirche. „Die katholische Kirche in Deutschland ist großartig durch
ihre sozialen Aktivitäten, durch ihre Bereitschaft zu helfen, wo immer es Not tut“,
so der Papst. Aber er warnte vor blindem Aktionismus: „Offenbar herrscht da doch bei
manchen die Meinung, … die Dinge mit Gott oder gar mit dem katholischen Glauben, die
seien doch eher partikulär und nicht gar so wichtig.“ Benedikt berichtete von den
Gesprächen und Erfahrungen der Bischöfe aus Afrika und Asien, die ihm auch den Dank
für alle Hilfe der deutschen Kirche aufgetragen hätten. Jede Silbe, jedes Komma saß.
Aber der erhobene Zeigefinger des Glaubenshüters, der in seinem Heimatland so kritisiert
war, der fehlte. Es schien, als wolle er Gläubige wie Würdenträger beim Ohr packen
und sagen, kommt mit, ich habe euch etwas zu sagen. „Das Evangelium lädt uns ein,
wieder zu erkennen, dass es bei uns ein Defizit in unserer Wahrnehmungsfähigkeit
gibt – einen Mangel, den wir zunächst gar nicht als solchen spüren, weil ja alles
andere sich durch seine Dringlichkeit und Einsichtigkeit empfiehlt; weil ja scheinbar
alles normal weitergeht, auch wenn wir keine Ohren und Augen mehr für Gott haben
und ohne ihn leben.“ Doch da saß nicht der Professor am Katheder; da erzählte ein
lebensweißer Mann auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen: „Das Soziale und das
Evangelium sind nicht zu trennen. Wo wir den Menschen nur Kenntnisse bringen, Fertigkeiten,
technisches Können und Gerät, bringen wir zu wenig. Dann treten die Techniken der
Gewalt ganz schnell in den Vordergrund und die Fähigkeit zum Zerstören, zum Töten
wird zur obersten Fähigkeit, um Macht zu erlangen, die dann irgendwann einmal das
Recht bringen soll und es doch nicht bringen kann: Man geht so nur immer weiter fort
von der Versöhnung, vom gemeinsamen Einsatz für Gerechtigkeit und Liebe. Die Maßstäbe,
nach denen Technik in den Dienst des Rechts und der Liebe tritt, gehen verloren, aber
auf diese Maßstäbe kommt alles an.“ Diese Maßstäbe seien nicht nur Theorien, sondern
brächten Verstand und Tun auf den rechten Weg, so der Papst, bevor er fortfuhr mit
seinem Verweis auf andere Länder:
„Die Völker Afrikas und Asiens bewundern
zwar unsere technischen Leistungen und unsere Wissenschaft, aber sie erschrecken zugleich
vor einer Art von Vernünftigkeit, die Gott total aus dem Blickfeld des Menschen ausgrenzt
und dies für die höchste Art von Vernunft ansieht, die man auch ihren Kulturen aufdrängen
will. Nicht im christlichen Glauben sehen sie die eigentliche Bedrohung ihrer Identität,
sondern in der Verachtung Gottes und in dem Zynismus, der die Verspottung des Heiligen
als Freiheitsrecht ansieht und Nutzen für zukünftige Erfolge der Forschung zum letzten
ethischen Maßstab erhebt. Liebe Freunde! Dieser Zynismus ist nicht die Art von Toleranz
und kultureller Offenheit, auf die die Völker warten und die wir alle wünschen.“ Zuallererst
brauche es Ehrfurcht vor Gott. Doch in der westlichen Welt, das betonte Benedikt ausdrücklich,
müsse dafür zunächst der Glaube wieder erwachen, müsse Gott in der Gesellschaft wieder
präsent werden. „Wir drängen diesen Glauben niemandem auf: Diese Art von Proselytismus
ist dem Christlichen zuwider. Der Glaube kann nur in Freiheit geschehen. Aber die
Freiheit der Menschen rufen wir an, sich für Gott aufzutun; ihn zu suchen; ihm
Gehör zu schenken. Wir, die wir hier sind, bitten den Herrn von ganzem Herzen, dass
er wieder sein Ephata zu uns sagt; dass er unsere Schwerhörigkeit für Gott, für sein
Wirken und sein Wort heilt, uns sehend und hörend macht. Wir bitten ihn, dass er uns
hilft, wieder das Wort des Gebetes zu finden, zu dem er uns in der Liturgie einlädt;
dessen ABC er uns im Vaterunser geschenkt hat.“ Es gab Applaus, nicht jubelnd,
nicht lang anhaltend, weder von Bischöfen noch von Gläubigen. Es war dieses bedächtige,
überlegende, zustimmende Kopfnicken das über das Messegelände ging. Überhaupt blieben
Jubelchöre während des Gottesdienstes aus. Vielleicht auch eine Mentalitätsfrage.
Die Menschen feierten – trotz Bannerabordnungen, Trachtengruppen und Gebirgsschützen
– kein Volksfest, sondern Gottesdienst; die Konzentration war mit Händen zu greifen. Und
alles stand ganz im Zeichen des ältesten lebensgroßen Holzkreuzes der Welt aus dem
50-Seelen-Dorf Enghausen. Ende des 9. Jahrhunderts soll es entstanden sein, das brachten
erst jüngste Restaurierungsarbeiten zum Vorschein. Mehr als 250.000 Gläubige waren
versammelt und zwar aus 12 europäischen Ländern, 300 Ehrengäste aus Kirche und Politik,
darunter Bundespräsident Horst Köhler und Ministerpräsident Edmund Stoiber, rund 70
Bischöfe und Kardinäle. Keinen anderen Gottesdienst gab es in München zeitgleich zur
Papstmesse, auf Großleinwänden wurde sie in die ganze Region übertragen. Um vier Uhr
morgens waren die ersten Pilger gekommen, vor allem Jugendliche, die die ganze Nacht
durch gewacht hatten. Mit dem Angelus um sechs Uhr begann das Vorprogramm zur Messe,
gestaltet von Pfarreien Münchens, mit Rosenkranzgebet und Morgenlob. Eingeläutet von
der Benedikt-Glocke aus Traunstein, ein Geschenk der Bürger an den Papst, der sie
wiederum dem Studienseminar Traunstein, seinem Studienseminar, anvertraut hat. Dort
wird sie zum Abflug des Papstes am Donnerstag das erste Mal erklingen. Es war buchstäblich
eine Volksmesse, kein eigens für den Papst komponiertes Werk, sondern Liedgut, das
die Menschen hier von Kindheit an auswendig können. Tribut an die Weltkirche: das
Credo in Latein. Nur passend also zum Abschluss der Wettersegen, das uralte Gebet
für die Menschen, ihre Arbeit, die Ernte und das ganze Land. Aus dem bayerischen Mund
des Papstes fast ein Segen Urbi et Orbi. (rv 10.09.06 bp)
Papstgottesdienst
verläuft friedlich und reibungslos Heiliger Vater bedankt sich für den
„schönen und würdigen Gottesdienst“
München, 10. September 2006 (ok) Nach
dem feierlichen Papstgottesdienst auf dem Freigelände der Neuen Messe in München haben
die Verantwortlichen eine positive Bilanz gezogen. Die Sprecher des Erzbischöflichen
Ordinariates sowie von Polizei, Rettungskräften und Verkehrsbetrieben erklärten auf
einer Pressekonferenz, die 250 000 Teilnehmer hätten die Eucharistiefeier „friedlich
und freundlich“ mitgefeiert. Das anfangs befürchtete Verkehrschaos blieb aus, da sich
viele Pilger wegen des schönen Wetters zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf den Weg zum
Gottesdienst gemacht hatten.
Der Papst habe sich im Gespräch mit dem gastgebenden
Münchner Erzbischof, Kardinal Friedrich Wetter, tief beeindruckt von diesem „schönen
und würdigen Gottesdienst“ gezeigt, sagte der Pressesprecher des Erzbischöflichen
Ordinariates, Winfried Röhmel. Auch alle Bischöfe und Kardinäle hätten ihm zu dieser
Eucharistiefeier gratuliert. Vor seiner Abfahrt in die Münchner Innenstadt habe sich
der Papst persönlich bei den Führungskräften der Polizei und der Hilfsdienste für
ihre Arbeit bedankt.
Erleichterung und Zufriedenheit über den festlichen und
ungestörten Ablauf des Gottesdienstes äußerte der Koordinator des Erzbistums München
und Freising für den Gottesdienst, Pfarrer Siegfried Kneißl: Seit Januar seien die
Planungen mit einem großen Aufwand betrieben worden. „Aber der Aufwand hat sich gelohnt“,
resümierte Kneißl.
Insgesamt waren am Samstag und am Sonntag 5000 Polizisten
in ganz München im Einsatz, davon allein 1500 Ordnungskräfte auf dem Gelände des Papstgottesdienstes.
Ausdrückliches Lob zollte der Sprecher des Münchner Polizeipräsidiums, Wolfgang Wenger,
den Gottesdienstteilnehmern, mit denen es „überhaupt keine Probleme“ gegeben habe.
Bei diesem Einsatz habe eine ganz besondere Atmosphäre geherrscht, erklärte Wenger.
Auch
die An- und Abreise verlief nach Auskunft der Deutschen Bahn und der Münchner Verkehrsbetriebe
MVG reibungslos. Klaus-Dieter Josel, Konzern-bevollmächtigter der Deutschen Bahn für
Süddeutschland, sagte, insgesamt seien mit den S-Bahnen seit 3.00 Uhr morgens rund
100 000 Pilger „sicher und pünktlich“ zur Papstmesse gebracht worden. Verspätungen
oder Gedränge habe es nicht gegeben. Die Stimmung in den S-Bahn-Zügen beschrieb Josel
als „vergnügt und in freudiger Erwartung des Gottesdienstes“. Mit der U-Bahn der MVG
waren nach deren Schätzungen etwa 50 000 Pilger angereist.
Wenig Arbeit hatten
auch die Sanitäter während des Gottesdienstes. Sie hätten vor allem Menschen mit Kreislaufproblemen
behandeln oder Blasen und wunde Fersen verarzten müssen, sagte der Einsatzleiter des
Malteser Hilfsdienstes, Benedikt Liefländer.