Dokument: Ansprache und Gebet des Papstes an der Mariensäule
Verehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr
geehrter Herr Ministerpräsident, verehrte Herren Kardinäle, liebe Mitbrüder
im Bischofs- und Priesteramt, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern
und Brüder!
Es ist für mich sehr bewegend, wieder auf diesem wunderschönen
Platz zu Füßen der Mariensäule zu stehen – an einem Ort, der bereits zweimal Zeuge
entscheidender Wendepunkte in meinem Leben war. Hier nahmen mich vor fast dreißig
Jahren die Gläubigen mit Herzlichkeit und Freude als ihren neuen Erzbischof auf: Damals
begann ich meinen Dienst mit einem Gebet zur Muttergottes. Hier verabschiedete ich
mich von meinem Bistum, als ich fünf Jahre später vom Papst nach Rom berufen wurde,
und richtete noch einmal ein Gebet an die Patrona Bavariae, um "meine" Stadt und meine
Heimat ihrem Schutz anzuvertrauen. Heute stehe ich nun wieder hier – diesmal als Nachfolger
des heiligen Petrus.
Ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten, Dr. Edmund Stoiber,
für den freundlichen Willkommensgruß, den er im Namen der bayerischen Landesregierung
an mich gerichtet hat. Ich danke auch meinem lieben Nachfolger im Amt des Hirten der
Erzdiözese München-Freising, Herrn Kardinal Friedrich Wetter, für die herzlichen Worte,
mit denen er die Empfindungen der Erzdiözese zum Ausdruck gebracht hat. Ich grüße
Frau Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, und alle politischen, zivilen und militärischen
Persönlichkeiten, die an dieser kurzen Begegnung zur Begrüßung und zum Gebet teilnehmen.
Einen besonderen Gruß möchte ich an die Priester richten, besonders an diejenigen,
mit denen ich als Priester und als Bischof in meinem Heimatbistum München und Freising
zusammengearbeitet habe. Und schließlich grüße ich mit tiefer Zuneigung Euch alle,
liebe Landsleute und Freunde, die Ihr Euch auf diesem Platz versammelt habt, um mir
Eure Verbundenheit zu bezeugen! Ich danke Euch für Euren herzlichen Empfang, mit einem
besonderen Gedenken an all jene, die bei der Vorbereitung dieser Begegnung und meiner
ganzen Reise mitgearbeitet haben!
Vielleicht darf ich bei dieser Gelegenheit
einen Gedanken wieder aufgreifen, den ich in meinen kurzen Erinnerungen im Zusammenhang
meiner Ernennung zum Erzbischof von München und Freising dargestellt habe. Ich wurde
Nachfolger des heiligen Korbinian. An seiner Legende hat mich seit meiner Kindheit
die Geschichte fasziniert, wonach ein Bär das Reittier des Heiligen zerfleischt habe,
als dieser auf der Reise nach Rom war. Als Strafe – so erzählt die Legende – lud ihm
Korbinian das Bündel auf den Rücken, das bis dahin das Pferd getragen hatte. So mußte
der Bär es über die Alpen bis nach Rom schleppen und wurde erst dort vom Heiligen
freigelassen. Als ich 1977 vor die schwierige Entscheidung gestellt wurde, die Ernennung
zum Erzbischof von München und Freising anzunehmen oder nicht – eine Ernennung, die
mich aus meiner geliebten Tätigkeit an der Universität herausreißen würde –, erinnerte
mich dieser das Gepäck schleppende Bär an die Interpretation, die der heilige Augustinus
den Versen 22 und 23 von Psalm 73 gibt. Der Psalmist fragt sich da nach dem Warum
der Leidens derer, die auf der Seite Gottes stehen und sagt: „Ich war töricht und
ohne Verstand, war wie ein Stück Vieh vor dir. Doch ich bleibe immer bei dir.“ Augustinus,
der in dem Wort „Vieh“ vor allem die Bezeichnung für das Zugtier sah, das vom Bauern
für die Arbeit in der Landwirtschaft eingesetzt wird, erkannte in dem Bild sich selbst
unter der Last seines bischöflichen Dienstes, der „sarcina episcopalis“. Er hatte
das Leben eines Gelehrten gewählt und war von Gott zum „Zugtier“ bestimmt worden –
zum braven Ochsen, der den Pflug im Acker Gottes, in dieser Welt, zieht… Doch gerade
da schenkte ihm der Psalm die tröstende Erleuchtung: Wie das Zugtier dem Bauern am
nächsten ist und unter seiner Führung für ihn die schwere Arbeit verrichtet, die ihm
aufgetragen wird, so ist der Bischof ganz nah bei Gott, denn er verrichtet einen wichtigen
Dienst für dessen Reich.
Auf dem Hintergrund dieses Gedankens des Bischofs
von Hippo ermutigt mich der Bär immer neu, meinen Dienst mit Freude und Zuversicht
zu tun – vor dreißig Jahren wie auch nun in meiner neuen Aufgabe – und Tag für Tag
mein Ja zu Gott zu sagen: Ein Lasttier bin ich für dich geworden, doch gerade so bin
ich „immer bei dir“ (Ps 73,23). Der Bär des heiligen Korbinian wurde in Rom wieder
freigelassen. In meinem Fall hat der Herr anders entschieden. Und so stehe ich also
wieder zu Füßen der Mariensäule, um die Fürsprache und den Segen der Muttergottes
zu erflehen, diesmal aber nicht nur für die Stadt München und für Bayern, sondern
für die Kirche der ganzen Welt und für alle Menschen guten Willens.
Das
Gebet des Papstes an der Mariensäule
Heilige Mutter des Herrn,
unsere
Vorfahren haben in bedrängter Zeit dein Bild hier im Herzen der Stadt München aufgestellt,
um dir Stadt und Land anzuvertrauen. Dir wollten sie auf den Wegen des Alltags immer
wieder begegnen und von dir das rechte Menschsein lernen; von dir lernen, wie wir
Gott finden und wie wir so zueinander kommen können. Sie haben dir Krone und Zepter,
die damaligen Symbole der Herrschaft über das Land gegeben, weil sie wußten, daß dann
die Macht und die Herrschaft in den rechten Händen sind – in den Händen der Mutter.
Dein Sohn hat seinen Jüngern kurz vor der Stunde des Abschieds gesagt:
Wer unter euch groß sein will, der sei euer Bedienter, und wer unter euch der erste
sein möchte, der sei aller Knecht (Mk 10, 43f). Du hast in der entscheidenden Stunde
deines Lebens gesagt: Siehe, ich bin die Magd des Herrn (Lk 1, 38) und hast dein ganzes
Leben als Dienst gelebt. Du tust es weiter die Jahrhunderte der Geschichte hindurch:
Wie du einst für die Brautleute in Kana leise und diskret eingetreten bist, so tust
du es immer: Alle Sorgen der Menschen nimmst du auf dich und trägst sie vor den Herrn,
vor deinen Sohn. Deine Macht ist die Güte. Deine Macht ist das Dienen. Lehre uns,
die Großen und die Kleinen, die Herrschenden und die Dienenden, auf solche Weise unsere
Verantwortung zu leben. Hilf uns, die Kraft des Versöhnens und das Vergeben zu finden.
Hilf uns, geduldig und demütig zu werden, aber auch frei und mutig, wie du es in der
Stunde des Kreuzes gewesen bist. Du trägst Jesus auf deinen Armen, das segnende Kind,
das doch der Herr der Welt ist. So bist du, den Segnenden tragend, selbst zum Segen
geworden. Segne uns und diese Stadt und dieses Land. Zeige uns Jesus, die gebenedeite
Frucht deines Leibes. Bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.
Amen.