Ralf Gührer ist Priester
im Bistum Augsburg und Kaplan im Ostallgäu, genauer in Marktoberdorf. Der 30jährige
ist mit Leidenschaft Seelsorger und…. Künstler. Am 2. August konnte Max Cappabianca
ein längeres Gespräch mit ihm führen.
Sie sind Priester, und das ist eine
Berufung. Aber offenbar haben Sie einen zweiten Beruf, eine zweite Berufung: Sie sind
Künstler! Wie kriegt man das zusammen?
Die Berufung als Priester ist mindestens
genauso alt wie die als Künstler. Ich war schon als Kind begeistert von der Kirche
und von der Kunst und war, als ich Messdiener war, oft in der Kirche, wo mich das
Ganze fasziniert hat. Genauso habe ich die Faszination der Kunst gegenüber gehabt
und habe, sobald ich irgendwo etwas bemalen konnte, auch gemalt, ob das Schreibmaschinenpapier
von Mama oder Tisch…alles Mögliche war da Malfläche.
Sie arbeiten in verschiedenen
Techniken, was machen Sie genau für Kunst?
Im Moment lote ich selber noch
aus, wohin es bei mir mit der Kunst hingeht und arbeite so mit ziemlich allem, was
es gibt, ob es Öl, Acryl, Pastell, Kreide... Das letzte Große war eine Glasskulptur,
die ich mit einem Glasermeister zusammen für die Landesgartenschau in Bayern gemacht
habe. Ich mache Projekte innerhalb der Kirche, wo ich Jugendliche anleite, Bibel und
Graffiti zusammen zu bringen und in der Firmvorbereitung kreative Sachen zu gestalten.
Es ist unheimlich breit, und im Moment mache ich eigentlich noch fast alles.
Wenn
Sie künstlerisch tätig sind, ich habe das ja einmal erlebt, ist das ja… ein Ereignis.
Was passiert da?
Für mich als Priester und Künstler kann ich da eine Parallele
ziehen zu dem, was passiert, wenn man ganz intensiv betet, wenn man intensiv in sich
versunken ist, zur Ruhe kommt, meditiert, zur Mitte kommt und da dann auch bis hin
zu einem ekstatischen Erleben vordringt. So in der mystischen Vereinigung mit Gott
und allem Geschaffenen. Und in der Kunst, in der Malerei, in der Gestaltung in der
Kreativität ist genau dasselbe der Fall. Es gibt zwar Nuancen und Unterschiede, aber
das Erlebnis, kreativ etwas zu erschaffen, schöpferisch tätig zu sein oder ganz intensiv
zu beten ist das gleiche für mich. Darum ist für mich die Kunst und die Malerei auch
etwas Spirituelles, das ich gleichsetzen möchte mit dem Gebet. Was passiert da? Es
ist eine Art von Ekstase. Du bist ganz und gar in dir, bei dir und über Dir hinaus.
Du transzendierst dich selber. Und das ist eben diese mystische Erfahrung, dass ich
sage: Das ist eine Begegnung mit Gott, mit dem größten Künstler, dem Schöpfer von
Himmel und Erde (lacht). Das ist wirklich so.
Der Betrachter, die Betrachterin
Ihrer Kunst, was können die sehen, was können die davon miterleben?
Es
ist schwer allgemein darüber zu reden, weil es Leute gibt, die sehen ein Bild und
sind begeistert und hin und weg. Das korrespondiert mit ihnen und ihrem Erlebten:
mit ihrem Leben. Die anderen gehen daran vorüber, weil es ihnen nichts sagt. Kunst
muss grundsätzlich nicht jeden ansprechen, Kunst kann es gar nicht. Ich glaube, das
geht dann eher in Richtung Kitsch, wenn jeder es schön und nett findet. Wenn es wirklich
Kunst ist, dann ist da was Geistig-Geistliches mit drin, wo die Leute selber sehen:
Dieses Gefühl, diese Erfahrung, die dort gemalt oder abgebildet ist, das spricht zu
ihnen, das ist im Endeffekt ihr Bild, das jemand anderes gemalt hat. Sie interpretieren
es natürlich auch, so wie sie ihr Leben erlebt haben, aus ihrem Horizont heraus, von
ihrem Standpunkt her interpretieren. Und das ist der schöne Schritt, den ich miterleben
darf bei Vernissagen, bei Ausstellungen, bei irgendwelchen Ereignissen, wo jemand
mit meinen Bildern konfrontiert wird: Ich merke, dieses Bild ist zwar von mir gemalt,
aber es sagt nicht nur das aus, was ich dort hinein lege oder interpretiere, oder
was ich für Gedanken und Absichten hatte, sondern es hat eine ganz eigene Dynamik,
wirklich ein selbständiges Objekt, das mit anderen in Beziehung kommt und dort zu
leben beginnt.
Wollen Sie etwas mit Ihrer Kunst sagen? Oder ist das die
falsche Frage?
Es gibt sicher Bilder, in denen ich etwas sagen will, mit
denen ich ein Statement mache und in denen ich selber ein Erlebnis, ein Gefühl, irgendetwas
verarbeite und abbilden möchte. Einen perfekten Moment, den du erlebt hast, das der
festgehalten wird. Dass er ja ein bisschen Ewigkeit dadurch bekommt, wenn er abgebildet
ist, denn der Moment vergeht ja. Aber ich könnte jetzt nicht sagen, dass mein gesamtes
Schaffen ein konkretes Ziel hat oder eine konkrete Aussage, das können vielleicht
andere nach meinem Tod machen, ich selber sicher nicht.
Das heißt, Ihre
Kunst ist der Versuch, die Ewigkeit im Jetzt zu bannen?
Die Ewigkeit nicht,
dazu bin ich zu klein, aber einen kleinen Ausschnitt der Ewigkeit … ja!
Was
ist für Sie Kunst in diesem Sinne?
Was ist Kunst? Der erste Schritt ist
wahrzunehmen und zu sehen. Aber bevor noch irgendetwas abgebildet wird, bevor noch
irgendetwas da ist, was nach außen hin sichtbar ist, ist es zuerst einmal die Wahrnehmung
des Künstlers. Der Punkt ist mir wichtig, weil Du musst nicht kreativ etwas umsetzen
können, um auf diesem Niveau, in diesem Punkt Künstler zu sein. Wahrnehmen der Schönheit
der Natur, Schönheit des Lebens. Alles was du erleben kannst, dass du das umsetzt
und dass das in dir ankommt und Frucht bringt. Der nächste Schritt ist, das umzusetzen
in eine Kunst. Oob das Literatur ist, die Musik oder die Malerei ist egal. Aber es
umzusetzen und zu transformieren und – wie wir vorhin gesagt haben – zu bannen auf
ein Medium, auf einen Moment wieder etwas festzuhalten, um es dauerhaft zu machen.
Und dieser kreative Akt ist die sichtbare Kunst, die dabei entsteht – ganz gleich
welcher Art das ist. Insofern muss die Kunst nicht gefallen, schon gar nicht jedem.
Sie kann auch ganz abstrakt und wirr sein, was man heute so unter moderner Kunst versteht.
Ich seh’ das durchaus auch als Kunst, als Ernsthaftigkeit an, weil es die Umsetzung
des Erlebten, eines jeweiligen Künstlers in seiner Zeit ist. Man muss es verstehen:
Und es ist wahrscheinlich nicht leicht einen Mensch heute zu verstehen - heute
zu verstehen in der heutigen Zeit als ein abstraktes Bild. Leider haben viele
gerade auch in der Kirche ihre Probleme damit. Wenn man also moderne Kirchenbauten
und Kirchenkunst sieht, gibt’s ja oft nicht wenig Streit, weil es nicht verstanden
wird. Ich geb’ zu, es ist unheimlich schwierig zu verstehen, aber ich glaube, es ist
schwieriger, die Menschen von heute so zu verstehen in ihrem Leben, in dieser ganzen
Umgebung, als man diese Kunst versteht. Die Kunst ist immer ein Ausdruck der Lebenswirklichkeit
der Menschen, in der sie sich wieder finden.
Woran arbeiten Sie gerade?
Im
Moment habe ich vor meiner letzen Vernissage vor ein paar Wochen, die ich in Augsburg
im Hotel „Drei Mooren“ gehalten habe, ein Malstopp eingelegt, weil ich dringend mein
Primizimessgewand fertig machen muss. Und ich habe mir geschworen, dass ich das in
diesem Herbst mindestens schaffe. Meine Primiz ist schon einige Zeit her, aber es
ist unheimlich schwierig, eine perfekte Skizze zu machen, die dann diesem Projekt
standhält. Und da bin ich zur Zeit intensiv dran, nachdem ich schon an die zehn Versuche
gemacht habe. Also zehn Skizzen eins zu eins auf Millimeterpapier umzusetzen… Da muss
ich jetzt wirklich den letzten Schliff machen, sonst hat mein Heimatpfarrer recht,
der gesagt hat, dass ich sonst erst zum silbernen Priesterjubiläum mein Gewand kriege.
Wie
reagieren, die Gläubigen, die Mitbrüder, der Bischof, was sagen die? Finden die das
nicht komisch?
Ganz im Gegenteil! Nachdem ein Teil meiner Bilder auch die
Leute sehr direkt ansprechen und ihre religiösen Gefühle wahrnehmen und umspiegeln,
gibt es da fast eine Euphorie. Die Gemeinden, in denen ich bin, die wollen am liebsten,
dass ich dort ständig ausstelle. Die Gemeinde wollen, dass ich mehr als Künstler präsent
bin, als ich es bin. Ich versuche das aber etwas zu trennen, weil der Künstler und
der Priester doch noch Facetten haben, die einander nicht unbedingt gut tun. Also
konkret: Es ist nicht gut, wenn ich eine Ausstellung hab, verkauf’ ich meine Bilder
ja auch. Die Leute, die nicht wissen, was es eigentlich kostet zu produzieren, und
was Kunst eigentlich für ein teures Hobby ist, die möchte ich davor verschonen, in
eine Welt einzutauchen, die sie in einen Konflikt bringt. Darum mach’ ich kleinere
Vernissagen, kleinere Ausstellungen speziell für die Pfarrei und lade natürlich alle
ein in die großen Ausstellungen woandershin, wo ich dann nicht mehr als Seelsorger
wahrgenommen werde, sondern mehr als Künstler. Oder sagen wir es so: Den Priester
und den Künstler, den versuche ich in der Öffentlichkeit zu trennen, das gehört natürlich
zusammen. Aber ich bin in meiner Gemeinde Seelsorger und Priester. Und diese Rolle,
diese Aufgabe möchte ich hundert Prozent ausfüllen und das könnte doch zum Konflikt
kommen, wenn man dort den Künstler zu sehr rauskehrt.
Und der Bischof hat
nichts dagegen?
Der Bischof, soweit ich das sehe, sieht das sehr gern.
Vielleicht auch deshalb, weil ich meine Dienste, meine Pflichten als Kaplan und Seelsorger
in keiner Weise vernachlässige. Würde ich mal einfach so eine Woche zum Malen frei
nehmen, wäre das was anderes. Aber das geht wirklich nebenher beziehungsweise in der
wenigen freien Zeit, die wir haben. Ich stelle meine Kreativität ja auch in den Dienst
der Kirche, also nicht dann, wenn ich mich als Künstler produziere, sondern wenn ich
etwas für die Pfarrgemeinde mache. Ich habe für den vorigen Bischof ein Altarblatt
für eine Veranstaltung gemalt, ich habe mehrere Cover für Pfarrbriefe und auch schon
größere Sachen schon für die Diözese gemacht. Im Priesterseminar hängen einige Bilder
von mir, in der Cafeteria zum Beispiel, so dass die Diözese durchaus ihren Nutzen
davon hat. Und die Äbtissin von Waldsassen, wo jetzt die Landesgartenschau in ihrem
Klostergarten steht, die brachte das auf den Punkt, dass für sie – dort steht eine
Heilige Hildegard und ein Kreuz von mir – für sie ist das eine Predigt, die dort sichtbar
geworden ist. Es ist Seelsorge, die ich durch die Kunst auch tu. Und die Diözese…
sie nimmt es auf jeden Fall wahr und ich glaube, sie sieht’s nicht ungern.
Wie
sehen Sie das Verhältnis von Kunst und Kirche?
Die Kirche ist seit Jahrhunderten
die größte Förderin der Kunst und hat durch die Kunst auch viel gepredigt, auch viel
Gutes gewirkt, von den Armenbibeln, die an den mittelalterlichen Kirchenwänden gemalt
worden sind bis in die heutige Zeit, wenn man den Sektor mit moderner Kunst im vatikanischen
Museum betrachtet. Sie hatte immer einen besonderen Zugang zur Kunst. Das ist mir
sehr wichtig, dass diese Beziehung, diese traditionelle Beziehung Kunst und Kirche,
Priester und Künstler hervorgehoben wird – insbesondere in der Verbindung in einer
Person. Nicht das irgendein Priester oder irgendein Künstler miteinander etwas machen,
sondern dass das durchaus möglich ist, dass man das in einem macht. Der Priester und
der Künstler in einer Person, der sowohl die spirituelle Ebene, als auch die kreative
Umsetzung in sich verbindet.
Sie sind also als Priester Künstler und als
Künstler Priester?
Ja, es ist etwas Unterschiedliches, ob ich Künstlerpriester
oder Priesterkünstler bin. Aber ich versuche es, und ich glaube, dass es mir gelingt,
beides in einem zusammen zu bringen. Es ist ein Versuch, ein mystischer Mensch zu
werden. Es ist der Versuch, die Mystik, wie sie die Mystiker durch die Jahrhunderte
praktiziert haben fortzusetzen in einer künstlerischen Persönlichkeit, in einem Priesterkünstler
oder Künstlerpriester…
Das Gespräch führte Max. I. Cappabianca, Radio Vatikan. Mehr
Informationen unter www.arssacra.de