Deutschland: Wir müssen energiepolitisch Umdenken (Franz Alt)
Im politischen Tagesgeschäft geraten oft die längerfristigen Probleme in Vergessenheit.
Eine dieser Herausforderungen: Der globale Klimawandel. Nach dem heißen Juli in diesem
Jahr fragt sich mancher mit mulmigen Gefühl, ob das vielleicht schon Vorboten dieses
sogenannten Klimawandels sein könnten. Hören Sie hierzu einen Gast-Beitrag des ARD-Journalisten
Franz Alt. Audio:
Dürren und
Hungersnöte, Fluten und Flüchtlingsströme. Die Zeichen mehren sich, dass es bald zu
Umweltkatastrophen biblischen Ausmaßes kommen könnte. Soeben erlebt China an seiner
Ostküste den schwersten Taifun der letzten 50 Jahre, 255 Tote sind zu beklagen, über
100.000 Menschen wurden obdachlos. Schon zwei Tage später verursachen stürmische
Monsunregen an der Küste des indischen Bundesstaates Andra Pradesh ein schreckliches
Chaos, über 300 Menschen verlieren ihr Leben, eine halbe Millionen Menschen sind auf
der Flucht in höher gelegene Gebiete. Augenzeugen berichten, dass sieben Dörfer komplett
weggespült wurden. Die Sintfluten in Südindien treffen wieder einmal die Ärmsten.
Vor zwanzig Monaten waren sie Opfer des Tsunami. In Afrika irren zur Zeit 15 Millionen
Umweltflüchtlinge umher auf der Suche nach der nächsten Wasserstelle. Ursache ist
der von den Industriestaaten verursachte Treibhauseffekt, der weltweit die Wasserkreisläufe
verändert. Die letzten Schreckensmeldungen aus den USA: Hitzenotstand in New York,
Hitzeevakuierungen in Chicago, mehrere hundert Hitzetote in Kalifornien. 2500 gab
es in der Karibik und im Süden der USA die häufigsten und heftigsten Hurricans seit
über 100 Jahren. Allein in New Orleans starben über 1000 Menschen, und die Folgeschäden
betragen unvorstellbare 200 Milliarden Dollar. Und nun sagen die Hurricanforscher
2006 könnte es noch schlimmer kommen . Wie viele Hitzetode der heiße Juli 2006
in Westeuropa forderte, wissen wir noch nicht. Aber wir wissen, dass es im Hitzesommer
2003 über 35.000 waren. Und wir wissen inzwischen auch, dass sich solche Hitzesommer
häufen, ja sogar zum Normalfall werden können. In seinem neuen Buch schreibt der
frühere US-Vizepräsident Al Gore, dass wir noch 10 Jahre Zeit zur Umkehr haben, danach
stünde die Existenz der Menschheit auf dem Spiel. Der Klimawandel lässt keinen mehr
kalt. Selbst das US-Pentagon sieht darin das größte Problem des 21. Jahrhunderts.
Diese Gefahr sei größer als der Terrorismus. Eine neue noch nicht veröffentlichte
Studie der UNO, an der 1800 Klimaforscher mitgearbeitet haben, zeigt auf, dass wir
bis zum Ende des 21. Jahrhunderts mit einer globalen Erwärmung um bis zu 8 Grad rechnen
müssen. Im 20 Jahrhundert betrug die globale Erwärmung 0,8 Grad. Sind wir eigentlich
noch zu retten? Die Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt, die Permafrostböden
Sibiriens tauen auf und setzen riesige Mengen Methangas frei: Dieses Treibhausgas
wirkt 20 mal so klimazerstörend, wie das bisher heftig diskutierte CO2, das
beim Verbrennen von Kohle, Gas und Benzin entsteht. Allmählich kommt unser Planet
ins Schwitzen, die Fieberkurve steigt und die Angst vor den Folgen wächst weltweit.
Schon heute ist ein Drittel mehr Kohlendioxid in der Luft als in der vorindustriellen
Zeit. 80 Prozent aller Umweltprobleme sind Klimaprobleme. Doch die zunehmenden
Katastrophen sind unsere besten Lernhelfer. Deshalb haben wir zumindest noch eine
Chance, das Schlimmste zu verhindern. Albert Einstein meinte zwar, zwei Dinge seien
grenzenlos, die Weite des Universums und die Dummheit der Menschen. Wobei er sich
bei der Weite des Universums nicht ganz sicher war. Aber dennoch gibt es Grund
zur Hoffnung. George W. Bush hat soeben das größte Programm der Menschheitsgeschichte
für erneuerbare Energien angekündigt. Und Angela Merkel hat eine Energieeffizienzoffensive
gestartet. Deutschland ist Windenenergieweltmeister, und Österreich und Schweden zeigen,
dass mit Energie vom Acker und vom Wald viele fossile Energie ersetzt werden können.
In Brasilien fliegen die ersten Flugzeuge mit Bioethanol. Und 40 Prozent der Autos
fahren bereits mit Biosprit. Japan produziert massenhaft Solarstromanlagen und China
Anlagen zur solaren Wärmegewinnung. In Freiburg hat der Solararchitekt Rolf Disch
50 Solarhäuser gebaut und verkauft, die mehr Energie produzieren als in ihnen verbraucht
wird. Die Rettung des Planeten ist heute ebenso möglich wie seine Zerstörung. Die
Sonne jedenfalls schickt uns täglich 15.000 Mal mehr Energie als alle Menschen zurzeit
verbrauchen. Das macht sie kostenlos, umweltfreundlich. Worauf warten wir eigentlich?
Energie ist der Motor jeder Zivilisation. Die Lösung des Energieproblems liegt nicht
unter der Erde, sie steht am Himmel. In allen Religionen ist die Sonne immer ein göttliches
Symbol. Freilich gilt auch hier die Erkenntnis von Karl Kraus: Es gibt nichts Gutes,
außer man tut es. (rv 180806 mc)