2006-07-21 16:43:39

Pater Laurentius Siemer – Widerstandskämpfer im Dritten Reich


RealAudioMP3 20. Juli 1944: Das von Claus Graf Schenk von Stauffenberg durchgeführte Attentat auf Hitler schlägt fehl. Er und andere hohe Militärs, die in den Mordversuch verstrickt waren, werden hingerichtet. Dutzenden von Widerstandskämpfern ereilt das gleiche grausame Schicksal. Doch gelingt es der Gestapo nicht, alle Mitverschwörer des 20. Juli zu finden und zu ermorden. Einige wenige schaffen es, den Häschern zu entkommen – darunter Pater Laurentius Siemer, Provinzial des Dominikanerordens und einer der geistigen Väter der deutschen Widerstandsbewegung.
„Sucht den Provinzial des Dominikanerordens, Josef Siemer, genannt Pater Laurentius, der sich führend an der Vorbereitung des Attentats auf den Führer vom 20. Juli 1944 beteiligt hat. Es gelang ihm, unmittelbar vor der Verhaftung zu entfliehen.“

Mit diesem Steckbrief wurde im gesamten deutschen Reich fieberhaft nach Pater Laurentius Siemer gefahndet. Er hatte mit der praktischen Ausführung des Attentats zwar nichts zu tun. Aber er war in die Pläne eingeweiht und an den Vorbereitungen für ein sogenanntes „Viertes Reich“ beteiligt. Und er hatte den Widerstandskämpfern die ethischen, theologischen und philosophischen Argumente für ihr Vorgehen geliefert.

In einer kinderreichen Familie wurde Pater Laurentius am 8. März 1888 in Elisabethfehn bei Cloppenburg geboren. Der Stolz auf seine uralte, bis zum Jahr 1206 dokumentierte Bauernfamilie, seine Kindheit in der freien, weiten und urwüchsigen Moorlandschaft und sein streng katholisches Elternhaus in einer evangelischen Umwelt haben ihn geprägt. Einer seiner Großneffen:

„Heute hat sich das sehr stark vermischt, heute spielt das auch keine große Rolle mehr. Aber damals war es für eine Familie, die so streng katholisch geprägt war, doch eine besondere Situation, in der Umgebung zu wohnen.“ (Josef Siemer aus Barßel)

Schon früh kristallisierten sich gewisse Charaktereigenschaften von Pater Laurentius heraus, die ihm später zugute kamen – sprachliche, literarische und rhetorische Begabung, starkes Selbstbewußtsein, geschickt eingesetzter Charme und Humor, und ein äußerst unkonventionelles Auftreten. Und so beurteilten ihn seine Mitschüler in der „Bierzeitung“ nachdem er 1908 in Vechta Abitur gemacht hatte:

„Siemer Josephus, trtt hervor und zeige,daß keck Du
immer und ewig gewesen und immer und ewig Du sein wirst.
Auch wenn einst in den Himmel Petrus nicht Dich will lassen,
findest Du eine Bemerkung doch, die Zutritt verschafft Dir.
Hast Du es auch nicht verdient – Dir wird es sicher gelingen.“
 
Viele waren sicherlich erstaunt, als sich der Jupp – so lautete sein Spitzname - entschied, in den Predigerorden einzutreten. Er studierte Philosophie und Theologie, später auch Germanistik und Geschichte, und wurde Rektor der Ordensschule in Vechta. 1932 wurde er zum Provinzial der Ordensprovinz Teutonia gewählt, und verlegte den Ordenssitz nach Köln. Schon bald nach Hitlers Machtübernahme war Pater Laurentius Siemer den Nazis ein Dorn im Auge. Ostern 1933 kritisierte er in der Berliner Zentrumszeitung „Germania“ die Rassenideologie der Nazis unter der Überschrift „Wer wird uns den Stein wegwälzen?“ In einem weiteren Leitartikel schrieb er, die Gleichsetzung von Religion und Rasse sei „Degeneration“. Er forderte die Katholiken auf, sich nicht von den derzeitigen geistigen Strömungen beeinflussen zu lassen, sondern die Prinzipien ihrer Religion zu beachten. Und er rief seine Mitbrüder zum Widerstand auf:

„Wie kann man verlangen, in seiner Stube ungestört gelassen zu werden, wenn das Haus brennt?! Aber ich bitte Sie alle noch einmal, zu sehen, daß das Haus brennt! Die Aufgabe der Dominikaner, unsterbliche Seelen zum Himmel zu führen, besteht in der jetzigen Zeit vor allem darin, unerbittlich für das Recht und die Wahrheit einzutreten. Auch wenn dies in der heutigen Zeit geradezu eine heroische Tat ersten Ranges ist – und gefährliche Konsequenzen haben könnte.“

Am 9. April 1935 wurde Pater Laurentius unter dem Vorwand eines Devisenverbrechens von der Gestapo in Köln verhaftet. Er war ein Opfer der vom SD-Chef Reinhard Heydrich inszenierten Devisenprozesse geworden. Dr. Maria Anna Zumholz vom Institut für historische Landesforschung an der Universität Vechta:

„Der Dominikanerorden, speziell als Predigerorden, war ja auch in Volksmissionen tätig, als Prediger tätig. Die beeinflußten weltanschaulich die Katholiken in einem sehr hohen Maße. Und um das Ansehen dieser Dominikaner zu zerstören, hat man ihnen einen Devisenprozeß angehängt.“

Pater Laurentius verbrachte drei Monate im Kölner Gefängnis Klingelpütz und wurde dann bis zu seiner durch einen Rechtsanwalt erzwungenen Freilassung ins Gefängnis von Oldenburg verlegt. Seine beiden dortigen Mitangeklagten und langjährigen Freunde, die Dominikaner Thomas Stuhlweißenburg und Titus Horten, überlebten die Haft nicht. Die katholische Südoldenburger Landbevöl-kerung reagierte auf diese Ereignisse mit genau jenem „gesunden Volksem-pfinden“, das die Nazis gerne für sich beanspruchten, sagt Landwirt Jochen Aka:

„Eine der wichtigsten Widerstandstaten war ja der Kreuzkampf in Cloppenburg. Das war wirklich Widerstand eines ganzen Volkes hier. Der Kreuzkampf war der Aufstand des Volkes gegen die Entfernung des Kreuzes aus den Schulen. Da hat sich hier ein Volksaufstand ereignet. Dabei ist dieser Aufstand erfolgreich gewesen. Nämlich die Kreuze blieben in der Schule.“

Eine Reise nach Rom spendete Pater Laurentius Trost in seiner Trauer um seine Mitbrüder. Er führte Gespräche mit Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli – dem späteren Papst Pius XII. Während einer Privataudienz bei Papst Pius XI. überreichte ihm dieser die Märtyrermedaille mit den Worten:

„Hier haben Sie von uns eine Medaille der heiligen Märtyrer Thomas Moore und Johannes Fisher, weil auch Sie, wie diese beiden Märtyrer, gelitten haben für den Glauben, für die Kirche und für die heilige Religion.“

Ende 1940 begann die Gestapo mit ihrem Generalangriff auf Klöster, die durchsucht, beschlagnahmt oder in Lazarette umgewandelt wurden. Unter ständige Beobachtung gerieten alle katholischen Orden, insbesondere Dominikaner und Jesuiten. Pater Dr. Rainer Maria Groothuis:

„Das findet sich in vielen Gestapoberichten, daß eben Dominikaner Sturmtruppen des Papstes seien, oder die Bataillone des Papsttums im Deutschen Reich, oder Agenten des Vatikans. Und deshalb müßte man sie einfach auslöschen. Das war also das dezidierte Ziel des Regimes. Man war also dahinter her, irgendetwas zu finden, was man insgesamt dem Orden anhängen konnte, um sie insgesamt und ein für alle mal zu erledigen. So die ständigen Durchsuchungen mit Beschlagnahme von irgendwelchen Materialien. Oder dann zum Schluß auch die Aufhebung der Konvente. Die Dominikaner haben ja einige Klöster verloren, die einfach dann von den Nationalsozialisten besetzt wurden.“

Als Leiter des sogenannten "Kölner Kreises“, der sich im Kettelerhaus in Köln traf, entwarf Pater Laurentius grobe Pläne für eine Verfassung des Vierten Reiches. Er pflegte Verbindungen zu Vertretern der Katholischen Arbeiterbewegung, anderen Widerstandskreisen um Graf von Moltke in Schlesien und Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Besonders engen Kontakt unterhielt Pater Laurentius zu seinem langjährigen Freund und Rechtsanwalt Josef Wirmer, sowie zum früheren Oberbürgermeister von Leipzig, Carl Goerdeler, den die Widerstandsbewegung als zukünftigen Kanzler des „Vierten Reiches“ vorgesehen hatte. Andere enge Weggefährten waren Nikolaus Groß und der Provinzial des Jesuitenordens, Pater Augustin Rösch. Dominikanerpater Basilius Streithofen vom Institut für Gesellschaftswissenschaften in Walberberg:

„Die Kontakte vom Laurentius Siemer zum Widerstand, sprich zur KAB, die dann hingerichtet worden sind, dann in Berlin, die hat er für sich behalten. Soweit ich weiß, hat er uns nie erzählt, daß er das verbreitet hat, sondern er hat die Kontakte höchst geheim gehalten. Er hatte Kontakt zu den Offizieren, z.B. zu dem von Böselager, der umgekommen ist, der war mit Stauffenberg liiert, und der hat Laurentius aufgesucht, um ihn zum Widerstand zu bewegen. Aber da hat der mit den Mitbrüdern nicht drüber gesprochen.“

Im Auftrag von Admiral Canaris sollte er auch Verbindungen zwischen dem deutschen Widerstand und dem Vatikan aufbauen. Doch schlugen diese Versuche eher fehl – vor allem da Pater Laurentius sich permanent versteckt halten mußte.

Nachdem das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 fehlschlug und fast alle seine Mitstreiter hingerichtet worden waren, stand auch Pater Laurentius auf der Todesliste der Gestapo. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt im Kloster Schwichteler in seiner Heimat, dem Oldenburger Land. Die Gestapo spürte ihn dort am 16. September auf – aber auf abenteuerliche Weise gelang ihm die Flucht. Während ein Mitbruder die beiden Gestapo-Beamten an der Vorderpforte aufhielt, entwich er durch die Hintertür und floh in den Stall eines Landwirts. Heinrich Kurre, damals ein Kind, erinnert sich:

„Ja, da hatten die so eine Kammer, wo meine Tante drin schlief. Dort wurde sein Bett hingestellt, das war so ein bißchen abseits. Und immer wenn es sehr brenzlig wurde, dann sollte er in die Scheune gehen, wo Stroh lag. Und da sollte er sich so langsam dahinter rutschen lassen, so daß ihn keiner fand.“

daß Von dort flüchtete er bald darauf zu einem weiteren, abseits gelegenen Hof, in dem er sich bis Kriegsende versteckt hielt. Dieser Umstand rettete nicht nur ihm das Leben, sondern auch dem gesamten Dominikaner- und Jesuitenorden, sagt Pater Groothuis:

„Hätte man ihn zu packen bekommen, wäre er ganz sicher im KZ gelandet. Da gab es einen Plan, daß man einen großen Schauprozeß veranstalten wollte, gegen Jesuiten und Dominikaner. Man hatte schon einige führende Jesuiten verhaftet. Und es fehlte jetzt nur noch der Laurentius Siemer als Provinzial der Dominikaner. Dann hätte man einen großen Schauprozeß in Berlin veranstaltet. Es waren sogar schon Plakate gedruckt worden für Litfaß-Säulen. Es waren sogar schon die Vorgespräche geführt worden, daß das ganze auf Schallplatten aufgenommen werden sollte, damit man das dann auch verbreiten konnte. Um zu zeigen, wie verlogen die Orden sind, daß die gegen den Staat arbeiten, und von daher alle im Grunde genommen verhaftet werden müßten. Hätten die den Siemer bekommen, wäre es zu diesem Prozeß gekommen. Und damit wäre dann der Dominikanerorden weggewischt geworden.“

Nach dem Krieg wurde Pater Laurentius Mitverfasser des Deutschen Grundgesetzes, Mitbegründer der CDU, Generalsekretär der Deutschen Katholischen Akademikerschaft und Gründer von Walberberg. Der Träger des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland sollte von der Aachener Karnevalsgesellschaft auch den „Orden wider den tierischen Ernst“ erhalten. Aufgrund seines unerwarteten Todes im Oktober 1956 kam es nicht mehr dazu. Seine Rolle als Widerstandskämpfer hat Pater Laurentius übrigens nie glorifiziert. Er sah sich ganz einfach als Vertreter einer überstaatlichen Macht.

Angelika Ditscheid

(rv 210706 mc)








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