„Schläge im Namen
des Herrn“ – so lautet der provokante Titel eines Buchs des Spiegelredakteurs Peter
Wenierwski. Es geht um kirchliche Kinderheime in den 50ern und 60er Jahren – zahlreiche
Kinder sollen dort mißhandelt, gequält und ausgebeutet worden sein. Wir gehen davon
aus, dass die allermeisten Heime gut gearbeitet und daher große Verdienste haben dass
es aber leider eben auch Mißstände gab, die wir nicht verschwiegen wollen.
Auch
in katholischen Heimen für Kinder und Jugendliche hat es das gegeben: Demütigung,
Misshandlung, drakonische Strafen. Offenbar haben selbst Menschen, die als Ordensleute
ihr Leben unter einen ganz besonderen Anspruch von Christentum gestellt haben, versagt
und Dinge getan, die jeder Pädagogik Hohn sprechen. Eher zufällig ist Peter Wesnierswki
auf das Thema gestoßen: Beim Kinostarts des irischen Films „Die unbarmherzigen Schwestern“
habe eine Frau sich bei ihm gemeldet. Was in dem Film gezeigt wird, das habe die Frau
selber erlebt, als sie in den fünfziger Jahren in einem von Schwestern geführten Kinderheim
war. Wesnierwski: „Sie erzählte, wie sie bügeln musste 40 Stunden die Woche für
die halbe Stadt Dortmund. Dabei durfte nicht gesprochen werden, sondern es mussten
Marienlieder gesungen werden. Sie war als 14jährige einfach in das Heim gesteckt worden
und sie wusste nicht warum; sie wusste bis heute noch nicht wirklich warum: Sie war
die Tochter einer alleinerziehenden Mutter, hatte einen Vormund, eine Fürsorgerin,
die war schon seit Jahren gekommen, hatte nach dem rechten gesehen, ihre Mutter war
berufstätig. Ihre Akte ist immer dicker geworden: das war letztlich der Anlass, weswegen
sie ins Heim gekommen ist und dort blieb sie für mehrere Jahre und war wirklich hinter
verschlossenen Mauern eingesperrt und die besten Jahre ihrer Jugend waren ihr geraubt
worden.
Peter Wesnierwski hat weiter recherchiert und ist auf zahlreiche
Fälle gestoßen, bei denen Kindern in kirchlichen Heimen ausgebeutet und mißhandelt
wurden. Noch heute leiden viele der Opfer seelisch an den Folgen dieser Zeit. Theo
Breul ist Diakon, Mitarbeiter der Caritas Paderborn und zuständig für die kirchlichen
Kinderheime in seinem Bistum. Zu den Vorwürfen sagt er: Mit dem Buch und den darin
enthaltenden Aussagen hat Peter Wesnierwski leider recht und das, was er beschreibt,
hat es leider auch in katholischen Häusern und Einrichtungen gegeben. Ich selbst
habe etwa mit 30 Menschen gesprochen, die von sich sagen, als ehemaliges Heimkind
Misshandlungen und Demütigungen ausgesetzt gewesen zu sein. Da fehlte es am Korrektiv
und da haben die Menschen versagt.
P. Alfons Minas ist Provinzial der deutschen
Salvatorianer. Er war in den 70er Jahren Leiter eines ordenseigenen Kinderheims. Auch
in der Einrichtung, die der Salvatorianerpater leitete, war es zu Übergriffen gekommen.
Zu den Ursachen der Misshandlungen sagt Pater Minas: Es kam aber auch dazu
dass die Einrichtungen finanziell ganz schlecht ausgestattet waren, von einig Personal
anstellen konnten. Und es war so, dass die Gruppen sehr groß waren. Zum Beispiel dreißig
oder vierzig Menschen von einer pädagogischen Fachkraft betreut, die war oft überfordert
von der Arbeitszeit überlastet, nervlich überlastet und dann passierte es eben, dass
ihnen die Nerven durchgingen und dann Dinge passierten, die nicht in Ordnung waren.“
Aber
auch andere Gründe hätten eine Rolle gespielt: So war die Prügelpädagogik damals auch
in Schulen weit verbreitet. Auch wurden schwierige oder uneheliche Kinder von den
Sozialämtern einfach in Heime abgeschoben. Für Pater Minas rechtfertigen diese Gründe
allerdings niemals die geschehenen Misshandlungen. Sein Orden hat beschlossen, offensiv
die Vergangenheit aufzuarbeiten. Das Gespräch mit den Opfern wird gesucht: „Wir
stellen uns auch solchen Gesprächen und versuchen dann auch bei solchen Gesprächen,
das was an Leid passiert ist, so weit es irgendwie geht zu mildern, sich zu entschuldigen
und auch, wenn es irgendwie geht, die Sache in Ordnung zu bringen, soweit man sie
in Ordnung bringen kann.“
Theo Breul von der Caritas hält solche Gespräche
für sehr wichtig: „Alle Menschen sagen, es tut gut, dass sich mal ein Vertreter
der Kirche das einmal anhört und dass ich auf diese Weise ernst genommen bin. In dem
einen oder anderen Fall haben wir auch materielle Unterstützung geleistet, wir haben
auch schon mal Therapien vermittelt. Das wesentliche aber ist das Gespräch, also einen
Ort zu haben, diesen Menschen zuzuhören und auch ihr leid zu Teilen und das Leid ist
teilweise wirklich schlimm“
Mittlerweile wird auch auf Fachtagungen nach
den Hintergründen des Phänomens geforscht. Den Opfern sei – seiner Meinung nach –
am besten geholfen, wenn der Einzelne den Blick genommen werde. Die Caritas hilft
dabei, aber man kann sich auch direkt an Theo Breul bei der Caritas in Paderborn wenden.
Er unterstützt dann die Opfer bei ihrer Suche nach den richtigen Ansprechpartnern.
„Was wir allerdings nicht machen wollen, und bei dieser Grundlinien wollen wir
bleiben, ist den Skandal aufleben lassen, sondern den Skandal bearbeiten und das,
was damals durch diese skandalösen Umstände entstanden ist, heute im Sinne von Gespräch
von Therapie von Heilung, auch von Wiedergutmachung, aufgreifen!“
Theo
Breul befürchtet, dass der Eindruck entstehen könnte, als seien alle Erzieherinnen
und Erzieher aus jener Zeit prügelnde Kinderschrecken gewesen und die Quälerei der
Kinder hätte System gehabt. Wenn dann sogar behauptet wird, Heimerziehung erlebt zu
haben sei prinzipiell gleichbedeutend mit Missbrauchserfahrung, dann spätestens
werde es unseriös, so Breul. Dann würde neues Unrecht geschaffen und allen denen ihre
eigenen Erfahrungen strittig gemacht, die von ihren Zeiten im Heim nur Gutes berichten.
Theo Breul sieht heute aber eine neue Gefahr aufziehen: „Wir haben drauf zu achten,
dass sich derartige Dinge nicht wiederholen, nicht nur nicht in der Heimerziehung
wiederholen, sondern dass sie sich zum Beispiel bei der Pflege von kranken Menschen
oder von behinderten Menschen nicht auch noch wiederholt. Es wird an allen möglichen
Ecken und Enden gespart. Es wird versucht, mit einer Minimalausstattung von Personal
auszukommen. wir müssen mächtig darauf achten, dass wir durch eine neue Sparwelle
die alten Zustände, über die wir sagen die seien in den 50 er 60er Jahren gewesen
nicht in das beginnende 21. Jahrhundert hinübertragen. (rv 080606 mc)