Predigt zum Pfingstfest 2006 auf dem Petersplatz in Rom
Liebe Brüder und Schwestern,
Am Pfingsttag ist der Heilige Geist mit Macht auf die Apostel niedergekommen;
so begann die Sendung der Kirche in der Welt. Jesus selbst hatte die Elf auf diese
Mission vorbereitet, indem er ihnen mehrfach nach seiner Auferstehung erschienen war
(Vgl. Apg 1,3). Vor seiner Himmelfahrt befahl er den Jüngern, sich nicht von Jerusalem
zu entfernen, sondern zu warten, bis sich die Verheißung des Vaters erfüllt (Apg 1,4-5);
er bat sie, sie mögen zusammenbleiben, um sich auf den Empfang des Heiligen Geistes
vorzubereiten. Und sie versammelten sich im Gebet mit Maria im Abendmahlssaal in Erwartung
des verheißenen Ereignisses (Apg 1,14).
Zusammen zu bleiben, das war die von
Jesus gestellte Bedingung, um das Geschenk des Heiligen Geistes empfangen zu können;
Vorraussetzung für ihre Eintracht war eine längere Zeit des Gebets. Wir finden hier
ein hervorragendes Lehrstück für jede christliche Gemeinschaft. Zuweilen denkt man,
die missionarische Effektivität hänge vor allem von einer genauen Planung ab und der
nächsten klugen Umsetzung einer konkreten Aufgabe. Sicher, der Herr bittet um unsere
Mitarbeit, aber vor jeglicher Antwort unsererseits ist seine Initiative wichtig: Sein
Heiliger Geist ist der wahre Protagonist der Kirche. Die Wurzeln unseres Seins und
unseres Handelns liegt im Schweigen Gottes, in seiner Weisheit und Vorsehung.
Die
Bilder, die der Heilige Lukas verwendet, um das Einbrechen des Heiligen Geistes zu
bezeichnen – der Wind und das Feuer – erinnern an den Sinai, wo Gott sich dem Volk
Israel offenbart und ihm seinen Bund gewährt hatte (vgl. Ex 19,3) Das Sinai-Fest,
dass von Israel fünfzig Tage nach dem Paschafest gefeiert wurde, war das Fest des
Bundes. Wenn der Heilige Lukas von Feuerzungen spricht (vgl. Apg 2,3), will er
Pfingsten als ein neues Sinai bezeichnen, als Fest des Neuen Bundes, in dem
der Bund mit Israel auf alle Völker der Erde ausgedehnt wird. Die Kirche ist katholisch
und missionarisch von Geburt an. Die Universalität des Heils wird besonders deutlich
in der Aufzählung der zahlreichen Völker, denen die Hörer der ersten Verkündigung
der Apostel anhören (vgl. Apg 2,9-11).
Das Volk Gottes, das am Sinai zum ersten
Mal Gestalt wurde, wird am heutigen Tag ausgedehnt, so dass es nun keine Begrenzung
mehr kennt, weder in der Rasse noch in der Kultur, weder im Raum noch in der Zeit.
Im Unterschied zu den Ereignissen am Turm zu Babel (vgl. Gen 11,1-9), als die Menschen
ihre Fähigkeit, einander zu verstehen zerstört hatten, als sie mit ihren eigenen Händen
einen Weg zum Himmel bauen wollten, zeigt der Geist an Pfingsten, dass seine Gegenwart
eint und die Konfusion in Kommunion wandelt. Der Stolz und der Egoismus
des Menschen führen immer zu Spaltungen, errichten Mauern der Gleichgültigkeit, des
Hasses und der Gewalt. Der Heilige Geist hingegen befähigt die Herzen, die Sprachen
aller zu verstehen, weil er die Brücke einer authentischen Kommunikation zwischen
Erde und Himmel wieder aufbaut. Der Heilige Geist ist die Liebe.
Wie kann
man in das Mysterium des Heiligen Geistes eindringen, wie das Geheimnis seiner Liebe
verstehen? Das Evangelium führt uns heute in den Abendmahlssaal, wo nach dem Letzen
Abendmahl eine gewisse Verwirrung die Apostel traurig gemacht hatte. Der Grund dafür
sind die Worte Jesu, die beunruhigende Fragen provozieren: Er spricht vom Hass der
Welt gegen ihn und gegen die Seinen, er spricht von seinem mysteriösen Weggang und
es gäbe noch vieles zu sagen, aber in diesem Augenblick sind die Apostel nicht in
der Lage, das Gewicht (weiterer Worte) zu tragen (vgl. Joh 16,12). Um die Apostel
zu bestärken erklärt Jesus ihnen des Sinn seines Abschieds: er wird weggehen, aber
er wird auch wiederkommen; in der Zwischenzeit wird er sie nicht allein und als Waisen
zurücklassen. Er wird den Tröster, den Geist des Vaters senden, und der Geist wird
zeigen, dass das Werk Christi ein Werk der Liebe ist: Die Liebe dessen, der sich hingegeben
hat, die Liebe des Vaters, der ihn hingegeben hat.
Das ist das Geheimnis von
Pfingsten: der Heilige Geist erleuchte den menschlichen Geist und in der Offenbarung
des gekreuzigten und auferstandenen Christus zeige er den Weg, um Ihm ähnlich zu werden,
und so „Ausdruck und Instrument der Liebe zu werden, die aus Ihm hervorgeht“ (Deus
Caritas est, 33). Mit Maria versammelt - wie bei der Geburt -, bittet die Kirche heute:
„Veni Sancte Spiritus“ – Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen
und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe!“ Amen.