Es war die bislang
größte Menschenansammlung in Benedikts Pontifikat. Er machte die längste Fahrt im
Papamobil und er hielt die längste Predigt seiner Amtszeit. Das Treffen mit den kirchlichen
Bewegungen und Neuen Gemeinschaften lag dem Papst besonders am Herzen: Benedikt XVI.
hatte Vertreter aller Bewegungen und Gemeinschaften zur Feier der Pfingstvigil auf
den Petersplatz geladen, gut 350.000 waren gekommen.
Ein Abendmahlssaal
unter freiem Himmel. Das war das weite Rund des Petersplatzes am Vorabend des Pfingstfestes.
Wie Maria und die Apostel in Jerusalem, so warteten die Männer und Frauen aller Altersklassen
und aller Kontinente auf die Ausgießung des Heiligen Geistes. Zeichen für solch ein
neues Pfingstfest wollen sie selbst sein, die Bewegungen und geistlichen Gemeinschaften,
größtenteils in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegründet. In einer zunehmend
entchristlichten und säkularisierten Gesellschaft wollen sie Zeugnis geben. Wovon
sagt das Motto des Treffens: „Die Schönheit Christ zu sein und die Freude, davon zu
erzählen“. Vorbereitet hatte das Treffen der Päpstliche Laienrat. Dessen Sekretär,
der deutsche Kurienbischof Josef Clemens, begrüßte: „Die Kirche ist jung dies
sehen wir heute hier auf dem Petersplatz! Die Kirche ist universal, sie kennt weder
Alter noch Rassen, weil sie geeint ist und weil sie wirklich katholisch ist!“ Es
war das zweite Treffen dieser Art: Johannes Paul II. hatte am Pfingstsamstag 1998
die Bewegungen und neuen Gemeinschaften erstmals auf den Petersplatz eingeladen. Wie
auch dieses Mal ging dem Treffen ein Weltkongress voraus. In Videosequenzen wurde
der Papst der Bewegungen - er war Freund und Antreiber - noch einmal lebendig. Am
30. Mai 1998 sagte Johannes Paul II: „Öffnet euch mit Lernbereitschaft den Gaben
des Geistes! Nehmt in Dankbarkeit und Gehorsam die Charismen an, die der Geist unaufhörlich
ausgießt! Vergesst nicht, dass jedes Charisma für das Wohl aller gegebn wird, d.h.
zum Wohl der ganzen Kirche! Heute tut sich vor Euch eine neue Etappe auf:
die der kirchlichen Reife. Das heißt nicht, dass alle Probleme gelöst sind. Das bedeutet
vielmehr eine neue Herausforderung, einen Weg, den es zu durchlaufen gilt. Die Kirche
erwartet von Euch ‚reife’ Früchte der Gemeinschaft und des Engagements.“ Ein
Moment der Stille, dann Jubel. Die Fokular-Bewegung, Communione e Liberazione, Sant
Egidio, die neokatechumenale Gemeinschaft, um nur wenige große zu nennen, verbinden
ihre Geschichte eng mit dem Pontifikat Johannes Pauls II.
Ab dem frühen
Nachmittag waren Hunderttausende auf dem Weg zum Petersplatz. Mehr als zwei Stunden
stimmten sie sich mit Liedern und Gebeten auf die Ankunft des Papstes ein. Um 17 Uhr
21 bog das Papamobil aus dem Glockenturm hinaus auf den Petersplatz. Benedikt drehte
nicht nur die übliche Runde über den Petersplatz sondern fuhr bis hinunter zur Engelsburg.
Die ganze Via della Conciliazione hatten die Mitglieder aus Bewegungen und Gemeinschaften
gesäumt. Sie ließen sich segnen, streckten dem lachenden Papst kleine Kinder entgegen
und jubelten. Die bunten Tücher mit dem Logo des Treffens strahlten mit ihren Gesichtern
und der Sonne um die Wette. Der Geist der Freude steckt eben an.
Die Gründer
und Verantwortlichen der großen Gemeinschaften dankten dem Papst, von Chiara Lubich,
der Gründerin der Fokularen, wurde ein Brief verlesen: ein Bekenntnis zur Eintracht
der verschiedenen Bewegungen und zum Gehorsam: „Ihnen, Heiliger Vater, wollen
wir versichern, dass die Zusammenarbeit und Einheit unter den Geistlichen Bewegungen
und Neuen Gemeinschaften weitergehen wird, damit wir in voller Gemeinschaft mit Ihnen
sowie den Hirten der Kirche und im Gehorsam ihnen gegenüber dazu beitragen, dass sich
die Ziele Jesu verwirklichen, allem voran die Einheit.“ Benedikt XVI. entlohnte
die oft mehrere tausend Kilometer lange Anreise der Menschen aus allen Kontinenten
mit der längsten Predigt seit seiner Amtseinführung. 34 Minuten. Eine fundierte theologische
Erklärung von Pfingsten, von Dreieinigkeit und vom Wehen des Geistes. „Das ist
Pfingsten: Jesus und durch ihn Gott selber kommt zu uns und zieht uns in sich hinein.
Er sendet den Heiligen Geist.“ Wir können in das Innere Gottes schauen, so
der Papst. „Da sehen wir etwas ganz Unerwartetes: In Gott gibt es ein Ich und
ein Du. Der geheimnisvoll ferne Gott ist nicht unendliche Einsamkeit, er ist ein Ereignis
der Liebe. … Es gibt den Sohn, der mit dem Vater redet. Und beide sind eins in dem
Geist, der sozusagen die Atmosphäre des Schenkens und des Liebens ist, die sie zu
einem einzigen Gott macht. Diese Einheit der Liebe, die Gott ist, ist eine viel höhere
Einheit, als die Einheit eines letzten unteilbaren Teilchens es sein könnte. Gerade
der dreifaltige Gott ist der eine, einzige Gott.“ Der Heilige Geist bringe,
durch den Gott zu den Menschen kommt, bringe Leben und Freiheit. Leben sei Geschenk,
warnte der Papst vor Egoismus und dem Machbarkeitswahn heutiger Zeit, das Leben kontrollieren
zu können. "Leben findet man nur, wenn man es gibt, nicht wenn man es sich nimmt.
Je mehr einer sein Leben gibt für andere, für das Gute selbst, desto reicher fleißt
der Strom des Lebens. ... Die Bewegungen sind gerade aus dem Durst nach dem wirklichen
Leben erwachsen; sie sind Bewegungen für das Leben in jeder Hinsicht. ... Wenn wir
das Leben schützen wollen, dann müssen wir vor allem zum Quell des Lebens zurückfinden;
dann muss das Leben selbst in seiner Schönheit und Hoheit wieder aufgehen; dann müssen
wir uns beleben lassen vom Heiligen Geist, dem schöpferischen Quell des Lebens." Der
Heilige Geist mache den Menschen zu Söhnen und Töchtern Gottes, so der Papst weiter.
Er schenke uns damit Freiheit und Verantwortung: „Freiheit und Verantwortung
gehören zusammen. Wirkliche Freiheit zeigt sich in der Verantwortung, in einer Weise
des Handelns, das die Mitverantwortung für die Welt, für sich selbst und für die anderen
auf sich nimmt.“ Die Bewegungen und Gemeinschaften sollen „Schulen“ dieser
Freiheit sein. Die Predigt erklärte auch den kirchlichen Standort der Gemeinschaften.
Grundprinzip für das Johannesevangelium wie für Benedikt: Der Geist weht wo er will. „Er
tut es auf unerwartete Weise, an unerwarteten Orten und in vorher undenkbaren Formen.
Gerade auch hier sind Vielfalt und Einheit untrennbar. Er will eure Vielfalt, und
er will Euch für den einen Leib, in der Einheit mit den bleibenden Ordnungen - den
Gliedern - der Kirche, mit den Nachfolgern der Apostel und mit dem Nachfolger des
heiligen Petrus. Er nimmt uns die Mühsal nicht ab, das Miteinander zu erlernen; aber
er zeigt uns auch, dass er auf den einen Leib hin und in der Einheit des einen Leibes
wirkt.“ Am Ende der Zuspruch an die Bewegungen - in ihrem weltweiten Dienst
wirkt der Geist: „Liebe Freunde, ich bitte Euch, noch mehr, noch viel mehr Mitarbeiter
im weltweiten apostolischen Dienst des Papstes zu sein und Christus die Türen zu öffnen.
Das ist der beste Dienst der Kirche für die Menschen, und ganz besonders für die Armen.
Damit das menschliche Leben, eine gerechtere Gesellschaftsordnung und das friedlich
Miteinander der Nationen in Christus den Eckstein finden, auf dem sie eine echte Zivilisation,
die Zivilisation der Liebe, errichten können.“
Die Pfingstsequenz „Veni,
sancte spiritus“ ist einer der letzten mittelalterlichen lateinischen Gesänge, der
nach der Liturgiereform noch erhalten blieb - der Gesang zur Herabrufung des Heiligen
Geistes. Sieben Fackeln wurden währenddessen am Licht der Osterkerze entzündet, sieben
Flammen für die sieben Gaben, die sieben Charismen des Heiligen Geistes: den Geist
der Weisheit und der Einsicht, des Rates, der Erkenntnis und der Stärke, den Geist
der Frömmigkeit und der Gottesfurcht.