Die Auschwitz-Rede
von Papst Benedikt XVI. findet geteiltes Echo. Zeitungen und Fernsehsender in Frankreich,
Spanien und Polen sowie Vertreter der italienischen Juden monierten die Worte des
deutschen Papstes, sein eigenes Volk sei damals von einer "Schar von Verbrechern ...missbraucht"
worden. "Benedikt XVI. befreit das deutsche Volk von seiner Verantwortung für
die Nazi-Verbrechen", titelte die spanische Zeitung "El Mundo". Er habe den Deutschen
"eine Art Absolution von ihrer kollektiven Verantwortung für die Nazi-Verbrechen".
Die Worte des Papstes lösten "ein gewisses Unwohlsein" aus, da sie Deutschland zu
rehabilitieren schienen, kommentierte die linke Pariser "Libération". Das katholische
Pariser Blatt "La Croix" schrieb, Benedikt XVI. habe die Deutschen nicht "kollektiv
verurteilen" wollen und anders als sein Vorgänger auch den geschichtlichen Antisemitismus
in christlichen Kreisen nicht ansprechen wollen. Die Zeitung fuhr fort: "Manche werden
diese Zurückhaltung kritisieren, andere werden sie bedauern. Und dabei könnten sie
sehr gut die tiefe Bedeutung dessen, was der Papst gesagt hat, übersehen. Spitzenvertreter
der italienischen Juden zeigten sich "perplex". Der Vorsitzende des Dachverbandes
der jüdischen Gemeinschaft, Claudio Morpugo, sprach von "Ratlosigkeit" angesichts
einer Rede, die in Bezug auf die NS-Zeit und den Holocaust "ein wenig vereinfachend"
gewesen sei. Der Großrabbiner von Rom, Riccardo di Segni, nannte die Ansprache "problematisch".
Er sei "kaum überzeugt" von der Interpretation, die der Papst vorschlage - als wäre
das deutsche Volk "selbst Opfer gewesen und hätte nicht zu den Verfolgern gehört".
Positiv
äußerste sich bei Radio Vatikan jedoch der Präsident des Italienischen Rabbinerverbandes,
Giuseppe Laras:
"Der Besuch will eine Mahnung an die Menschheit sein, aber
auch ein Wort der Hoffnung und des Trostes für alle, die gelitten haben. Ich habe
in den Worten Benedikts XVI. dieses Leid über das Geschehene gespürt, für die Verantwortung
des Nazionalsozialismus, und in einem gewissen Teil auch des deutschen Volkes."
Italienische
Zeitungskommentatoren kritisierten, in der Papstrede hätten die Worte "Schuld" und
"Antisemitismus" gefehlt. Ratzinger habe die Deutschen praktisch als Verführte dargestellt.
Die römische Zeitung "La Repubblica" sprach dabei vom "Schweigen Ratzingers". Ähnliche
Reaktionen gab es auch aus Polen. "Der Papst hat der Asche der Ermordeten auf schöne
Weise Ehre erwiesen, aber er hat nicht darüber gesprochen, was heute auf der Welt
geschieht und er hat nicht über die Zukunft gesprochen", meinte Marek Edelman, letzter
überlebender Kommandant des Warschauer Ghetto-Aufstands, in der Zeitung "Gazeta Wyborcza".
Der Papst habe vom "Schweigen Gottes" gesprochen, aber nicht die Frage gestellt, warum
die Menschen so gleichgültig waren angesichts der Verbrechen, die vor ihren Augen
geschahen. Der aus Polen stammende israelische Historiker Israel Gutman bemängelte,
dass der Papst die Rolle der Kirche während der Judenvernichtung völlig ausgespart
habe. "Nicht nur Gott hörte die Schreie der Ermordeten nicht - der Vatikan, Pius XII.
hörte sie ebenfalls nicht. Ich bedauere, dass der Papst nichts über die zerstörende
Kraft des Antisemitismus gesagt hat." Positiv äußerte sich dagegen die britische
Tageszeitung "Daily Telegraph": Der Besuch sei "die Krönung im langen Aussöhnungsprozess
zwischen seinem Heimatland Deutschland und dessen östlichen Nachbarn. Es war ein Moment
von tiefer historischer Bedeutung". Die Londoner "Times" schrieb: "Mit dem Gebet für
Vergebung und Aussöhnung hat ein düster blickender Papst Benedikt XVI. ein Tabu zwischen
Christen und Juden gebrochen." (agenturen/spiegel-online/rv 30.05.06 bp)