Der Vorsitzende der
Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, feiert an diesem Dienstag seinen
70. Geburtstag. Zu diesem Anlaß dokumentieren wir hier den Text eines ausführlichen
Interviews, das unser Redakteur Aldo Parmeggiani mit Lehmann geführt hat. Karl
Lehmann wurde am 16. Mai 1936 in Sigmaringen als Sohn des Volksschullehrers Karl Lehmann
und seiner Frau Margarete geboren. Nach seiner Schulzeit studierte Lehmann zwischen
1956 und 1964 Philosophie und Theologie in Freiburg und Rom. 1963 wurde er in der
Ewigen Stadt von Julius Kardinal Döpfner zum Priester geweiht. Karl Lehmann erwarb
sich Doktorentitel in Philosophie und Theologie. Als Assistent von Karl Rahner arbeitete
er an den Universitäten München und Münster, erlebte aber auch das Zweite Vatikanische
Konzil in Rom aus nächster Nähe mit. 1983 wurde Prof. Dr.Dr. Karl Lehmann zum Bischof
von Mainz geweiht und vier Jahre später zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz
gewählt. Ein Amt, das er ununterbrochen bis heute wahrnimmt. 2001 wurde Bischof Karl
Lehmann von Papst Johannes Paul II. zum Kardinal ernannt.
*Was ist
geschehen? Es wird allgemein wieder von einer Zunahme der Zahl der Katholiken, der
Kircheneintritte gesprochen. Handelt es sich um eine Momentaufnahme oder um einen
richtigen und wahren Trend?
ŒEs ist schon bei der schnelllebigen Zeit
ein Stück weit die Gefahr, dass es eine Momentaufnahme sein könnte, zumal eine Erneuerung
dieses religiösen Interesses nicht automatisch in die Kirche führt. Aber wir haben
viele Anknüpfungspunkte: - das Leiden und vorbildliche Sterben von Johannes Paul II.,
die Art und Weise, wie der jetzige Papst das Amt fortführt, der Weltjugendtag, auch
die große Gestalt von Roger Schütz ist noch immer am Horizont und auch die Nachdenklichkeit
von Intellektuellen wie Habermas, Pera oder wer immer, weisen in diese Richtung.-
Die Frage geht ja bis in die Politik hinein; woher nehmen eigentlich die Menschen
die Motive, um größere Änderungen ihres individuellen und ihres kollektiven Lebens
bewerkstelligen zu können? Das alles sind so Hinweise, auch vielleicht einzelne Faktoren,
wenn man die bündeln kann, dann könnte schon sein, dass dieser Trend nachhaltiger
erfolgen wird.¹
*Sie kennen die Zeichen der Zeit besser als viele andere
Menschen. Was brauchen die Menschen heute, um sich von der Kirche angezogen zu fühlen,
sich in ihr womöglich geborgen zu fühlen? Wie stehen die Chancen, dass die Kirche
heute wieder zur ersten Adresse wird?
ŒDie Menschen spüren, dass wir
mit vielen Wandlungen unseres gesellschaftlichen und individuellen Lebens rechnen
müssen. Vieles wird anders, vieles wird vielleicht auch etwas enger. Es wird uns auch
mancher Verzicht abverlangt, und deswegen kommt die Frage schon etwas dringlicher:
was macht eigentlich unser Leben überhaupt aus? Was ist der Sinn des Lebens? Man sucht
deswegen inmitten dieser Wandlungen auch nach einer verlässlichen Orientierung und
da, glaube ich, hat Religion eine neue Chance, zumal man auch sieht, dass es eben
Lebensrätsel des Menschen gibt, wie Leid und Tod, aber auch das Glück, - die in einem
größeren Zusammenhang gesehen werden müssen¹.
*Kommen wir zur Jugend:
Da gibt es einerseits ein offenkundiges Desinteresse an kirchlichen Angeboten, eine
steigende Zahl junger Menschen, die ohne Bezug zu Glaube und Religion aufwachsen,
andererseits eine offene Sinnsuche, eine wachsende Neugierde bei vielen Jugendlichen
auf Religion, wie nicht zuletzt der Weltjugendtag in Köln gezeigt hat. Auf den Punkt
gebracht: hat die Kirche der Jugend etwas zu sagen und umgekehrt, sagt die Jugend
auch etwas der Kirche?
ŒBeides ist wichtig und richtig. Die Jugend
hat der Kirche etwas zu sagen, das würde ich sogar an die erste Stelle setzen. Und
die Kirche hat der Jugend etwas zu sagen. Die Jugend hat ja oft heute das Gefühl,
sie geht in eine dunkle Zukunft hinein. Umso wichtiger ist es, dass sie einen verlässlichen
Sinn in ihrem Leben hat, sodass sie auch weiß: Œes gibt eine Begleitung in meinem
Leben. Komme was da wolle¹. Auf der anderen Seite: die Kirche muss immer das Evangelium
den einzelnen Generationen verkünden. Das hat nichts zu tun mit einem modischen Sichanpassen,
sondern das hat damit zu tun, dass man die Botschaft immer ausrichten muss am konkreten
Menschen. Da lernt man eben von dem, was junge Menschen heute als wichtige Dinge in
ihrem Leben empfinden. Da kann man von ihnen durchaus lernen, weil sie auch nicht
nur alte Werte unter Umständen etwas kritisch beiseite legen, sondern die Jugend entdeckt
auch neue Werte. Ich denke, dass die Verantwortung für die Welt und die Schöpfung,
die Armut und ihre Not in der Welt, die Ethik auch für die fernen Völker, die Dinge
sind, für die junge Leute heute besonderes Interesse empfinden¹.
*Solidarität,
Gerechtigkeit, Frieden, Menschenwürde: ethische Grundbegriffe, die zu Schlagwörtern
geworden sind. Kann man sagen, dass die Soziallehre der katholischen Kirche zu einem
neuen Nachdenken über diese etwas strapazierten Grundbegriffe führen kann?
ŒGanz
sicher. Ich glaube auch, dass das in mehreren Sprachen jetzt neu erschienene Kompendium
der Soziallehre der Kirche mit sehr gut ausgewählten Zeugnissen und Kernstellen aus
der Soziallehre eine Hilfe an die Hand gibt. Aber wir spüren auch, dass wir in unserem
Zusammenleben viel stärker noch auf diese Grundkräfte angewiesen sind: Zusammenhalt
der Generationen, aber auch der Zusammenhalt unter sehr unterschiedlichen Menschen
und ihren sehr unterschiedlichen Lebenschancen. Wir haben ja manchmal ein starkes
Auseinandergehen von unten und von oben und von verschiedener Schichten und Klassen.
Wenn man an die Langzeit-Arbeitslosen denkt, auch unter den Jugendlichen, und auf
der anderen Seite auf die immensen Gewinne, die gemacht werden: das darf nicht zu
weit auseinandertriften! Insofern ist es ganz wichtig, dass man als Kirche mithilft,
damit diese Grundkräfte zusammenbleiben¹.
*In Deutschland und in Europa
leben heute durch Zuwanderung mehrere Kulturen nebeneinander. Kulturen, in denen verschiedene
Wertvorstellungen herrschen. Wie geht die Kirche mit diesen Differenzen um? Welche
Gefahren aber auch welche Chancen können sich daraus ergeben?
ŒDie
Kirche mußte sich ja immer schon zurechtfinden. Wenn sie wirklich Weltkirche ist.
Sodass verschiedene Kulturen, verschiedene Sprachen, verschiedene Menschen in ihr
wirklich zu Hause sind. Deswegen ist es ja schon eine gewisse Sensation, wenn zum
Beispiel die Bibel zwar in griechischer und hebräischer Sprache geschrieben ist, auch
andere Kulturräume und Sprachen wie die lateinische, die romanische, die germanische,
die slawische Sprache sozusagen erobert hat. Wir sind eigentlich nie an eine bestimmte
Kultur oder an eine bestimmte Form der Gesellschaft gebunden. Das ist ja auch das
wirklich Katholische: dass es für alle ein Heimatrecht gibt. Natürlich gibt es auch
Probleme. Es ist zwar schnell gesagt: in der Kirche gibt es keine Ausländer. Wenn
man aber richtig in unsere Gemeinden hineinschaut, dann tun sich die Leute, mit allem,
was fremd ist und fremd erscheint, schwer. Wir müssen für die sogenannte Integration
mehr leisten. Dazu gehört auch, dass wir viel mehr besorgt sind, dass die Menschen
wenn sie bei uns länger bleiben zunächst einmal unsere Sprache lernen. In den
nächsten Jahren und Jahrzehnten wird das eine ganz wichtige Frage werden: Dass wir
uns hier stärker öffnen. Das steht nicht im Widerspruch dazu, dass wir uns auch etwas
mehr Gedanken machen und uns programmatisch fragen müssen, was unsere Gesellschaft
zusammenhält. Man spricht in Deutschland zur Zeit von einer Leitkultur. Es ist kein
ungefährliches Wort. Weil auch Platz sein muss für andere Kulturen, die nicht untergeordnet,
unterbewertet werden dürfen.
*Weltweit gesehen: bringt die Globalisierung
die Kulturen einander näher oder besteht die Gefahr eines Kulturkampfes zwischen den
verschiedenen Gesellschaftssystemen und Religionen?
ŒAuch wenn gerade
in letzter Zeit viele neue Spannungen entstanden sind, ob das der Karikaturenstreit
ist oder andere Ereignisse wie die Todestrafe für einen konvertierten Muslim in Afghanistan,
so glaube ich selber nicht an einen Zusammnestoß in einem militärischen Sinne. Manche
Fachleute sind der Meinung, dass für den islamistischen Fundamentalismus vielleicht
sogar ein gewisser Zenith schon überschritten sein könnte. Sicher bin ich mir nicht.
Sorgen mache ich mir eher darüber, dass eine relative Minderheit Millionen von Menschen
manipuliert und auf die Strasse bringen kann. Aber ich glaube nicht an einen Crash
der Kulturen¹.
*Ihr Wahlspruch lautet: ŒState in fide¹ Steht fest
im Glauben. War und ist dieser Leitspruch auch heute noch der Schlüssel zu Ihrem Suchen
und Finden?
ŒIch glaube, dass man den Glauben immer wieder vertiefen
muss, denn bleiben kann man im Glauben nur, wenn man ihn vertieft. Das ist unbedingt
notwendig. Ich glaube, dass der Mensch, selbst wenn er durch eine Zeit geht, wo ihm
der Glaube schwer fällt, ihm dann doch treu bleibt. Für die große christliche Tradition
war es immer auch selbstverständlich, dass der Mensch manchmal auch durch die Nacht
geht, durch die Wüste, dass Gott auch manchmal den Menschen verborgen bleiben kann.
Gott suchen ist ein ganz entscheidender Auftrag im alten Testament und auch in der
Mystik, sodass ich sagen würde: Steht fest im Glauben ist eine notwendige Ermutigung
für mich¹.
*Zu Ihrem 70. Geburtstag eine ganz besondere Frage: Die
Frage nach dem Glück. Sie haben darüber gerade einen Essay geschrieben. Sagen Sie
uns Herr Kardinal, was ist das, wonach sich alle Menschen sehnen? Was ist das Glück?
Œ
Das ist zunächst einmal die Erfüllung der verschiedenen Sehnsüchte des Menschen. Man
möchte eine Erfüllung haben, die bleibt, und die einem nicht wieder genommen werden
kann. Man weiß ja auch um das Zufällige und das Okkasionelle des Glücks. Schon der
Heilige Augustinus sagt in einer seiner Schriften: es gäbe zu seiner Zeit 188 verschiedene
Definitionen von Glück! Wenn es in dieser Zeit damals schon eine solche Vielfalt gegeben
hat, um wieviel mehr haben wir heute eine unglaubliche Bandbreite des Glückverlangens.
Mir kommt es darauf an, dass man das Œkleine¹ Glück des Menschen nicht schlecht redet:
Wenn einer am Abend im Alltag seines Lebens zufrieden sein kann, wenn er Freude hat
an Kindern, wenn er Freude hat am Gelingen seiner Arbeit, wenn er getragen wird von
der Liebe in einer Familie und in einer Ehe, dieses kleine Glück ist für die allermeisten
Menschen zunächst der Boden, wo sie Glück erfahren. Und wenn dieses Glück gut ist,
dann kann es auch helfen, das große Glück zu erfahren: nämlich dass wir nicht mehr
enttäuscht werden, dass wir nicht nur glücklich sind für den Moment, sondern selig
für immer¹.
* Hatten Sie in Ihrer Jugend einmal den Wunsch, etwas
anderes zu werden? Sie sind ein bedeutender Kirchenmann geworden, aber hatten Sie
noch andere Ziele vor Augen?
ŒJa, ich habe bis ein halbes Jahr vor
dem Abitur noch nicht gewußt, dass ich Priester werden will. Ich wußte, dass ich einen
Beruf ausüben möchte mit zwei Zielen: ich wollte erstens konkret mit Menschen zusammenarbeiten,
mein Vater war Zeitlebens ein begeisterter Lehrer, davon habe ich also irgendwo etwas
mitbekommen. Und zweitens wollte ich einen Beruf ausüben, wo es um die Sinnfragen
des Menschen geht: woher kommt der Mensch, wohin geht der Mensch, was ist mit dem
Leib, was ist mit der Seele? Wie wird der Mensch glücklich? Ich hatte einen wunderbaren
Lehrer in Deutsch und Philosophie und Französisch. Von dem habe ich über diese Fragen
fast mehr gelernt, als in der Religion allein. Ich hätte also auch Philosophie studieren
können, Lehrer werden können. Aber eines Tages hatte ich den Eindruck: diese beiden
Dinge, Menschennähe und Sinnfrage kannst du vielleicht am besten erreichen, wenn du
Priester wirst¹.
* Sie sind nicht nur Theologe, Wissenschaftler und
Hochschullehrer und Philosoph, Sie sind auch ein Mann der schönen Künste: Welche Form
der Kunst liegt Ihnen, Ihrem Wesen am nächsten? Literatur, Musik, Malerei, Theater?
Œ
Also leider ist im Alltag für diese schönen Dinge zu wenig Zeit, aber ich lese gerne,
auch wenn ich Abands müde bin, noch eine Gedicht. Ich lese gerne gut geschrieben Historie,
Gott sei Dank haben wir heute Historiker, die gut schreiben können, ich erfreue mich
ganz besonders an gelungener Malerei und Plastik, ich bin da kein Spezialist, auf
diesem Gebiet freue ich mich, ein Laje sein zu dürfen, ich gehe auch ab und zu gerne
ins Theater. Kirche und Kultur haben immer eng zusammengehört. Das darf man auch heute
nicht auseinandersprengen¹.
* Muss im Leben eigentlich alles mit Vernunft
hinterfragt werden oder gibt es etwas, das einfach ohne kritische Nachfrage angenommen
werden kann?
ŒFür mich ist beides wichtig: für mich ist wichtig, dass
man ein Fundament hat, auf dem man steht, was den ganzen Menschen angeht. Das sind
die Emotionen, das ist die Vernunft, das ist der Wille, das ist das Handeln, Dazu
gehört von Kindheit an schon das, was die Psychologie in unserer Zeit das Urvertrauen
des Menschen nennt. Ich brauche eine Urzuversicht zum Leben, ein ŒJa¹ zum Leben. Das
ist ein Geschenk, wenn man als Mensch immer wieder dieses ŒJaSagen¹ behalten kann.
Trotz gegenteiliger Erfahrungen. Für mich ist wichtig, dass das nicht nur so ein Gefühl
aus dem Bauch heraus ist, dass das einfach nicht nur Lebensinstinkt ist, sondern dass
man das auch begründen kann. Dass man anderen Auskunft geben kann, was einem trägt.
Alles, was mir wichtig ist, möchte ich auch, dass andere es kennen lernen. Deshalb
gehört für mich ohne zu glauben, man könne alles schnell hinterfragen das Begründen
und das Verstehen zum Menschen.
* Sie haben viele wichtige Auszeichnungen
erhalten, weltweit. Unter anderem auch den Preis Œwider den tierischem Ernst. Für
einen Kardinal nicht alltäglich. Welchen Stellenwert messen sie dem Humor bei?
ŒIch
bin eigentlich kein so witziger Mensch. Deswegen wundere ich mich selbst, dass ich
so einen Orden bekommen habe. Aber wichtig ist für mich, dass man lachen kann. Richtig
lachen können, setzt schon auch voraus, eine richtige Distanz zu den Dingen zu haben.
Setzt voraus, dass man eine gewisse Distanz hat zu den Dingen im Leben, dass man sich
nicht verkrallt in einzelnen Dingen, von denen man nicht mehr los kommt. Insofern
ist eine Leichtigkeit des Daseins notwendig, die man glaube ich am Ende doch nur
hat, wenn man weiß, ja, ich sag¹s Mal mit der Bibel: ŒGott ist größer als unser Herz¹.Und
das schenkt uns denk ich mir ein Vertrautsein mit den Dingen, das gibt uns aber
auch eine Distanz, wo man dann auch selbst Mal über sich lachen kann¹.
*Zu
Ihrer Biografie gehört auch Ihr besonderes Verhältnis zum Vatikan. Wie fühlt sich
ein Bischof, wenn er in Rom manchmal eine andere Haltung vorfindet, als die eigene?
Ich spreche hier etwa Ihre Position zu den Themen Kommunion an Wiederverheiratete,
die Schwangerenberatung, ŒDomus vitae¹ an, die seinerzeit als Hindernis für Ihre dann
später erfolgte Kardinalswürde interpretiert wurde.
ŒAlso
für mich liegt das sehr viel tiefer. Ich habe in den Jahren 1957 bis 1964 in Rom studiert.
Ich habe den Aufbruch hin bis zum 2. Vatikanischen Konzil als junger Mensch mitbekommen.
Der Aufbruch war genau so wichtig wie das Konzil selber. Ich habe das Glück gehabt,
dass ich dann ein Jahr lang Pius XII., die ganze Zeit von Johannes XXIII., Paul VI.
und so fort erleben konnte. Dadurch, dass ich Assistent wurde bei Karl Rahner, habe
ich auch das Glück gehabt, dass ich vom Konzil etwas mehr mitbekommen konnte, aus
einer gewissen Nähe, wenn auch nicht aus einer intimen Kenntnis. Von da aus gesehen,
hat sich mein Verständnis von Theologie und von Kirche von Anfang an an der Weltkirche
orientiert, zu der der Papst ganz zentral gehört. Wenn es deswegen gelegentlich einmal
ich würde es gar nicht Konflikte, sondern Meinungsverschiedenheiten nennen gegeben
hat über die Gestaltung einzelner Fragen und Probleme, dann darf das den ganz fundamentalen
Konsens, den ich mit der Kirche, den ich mit den Päpsten, den ich mit den Verantwortlichen
in Rom habe, nicht verdecken. Das wäre einfach gar nicht wahr. Für die Medien sind
natürlich nur Œschlechte¹ Nachrichten interessant, deswegen steht das immer wieder
im Vordergrund. Ich war mir aber etwa bei der Schwangerenberatung oder bei der Frage
Geschiedene-Wiederverheiratete immer klar, dass wir einen Vorschlag machen, dass wir
aber nicht letztgültig entscheiden über diesen Vorschlag. Und dass ich auch weiß,
dass man uns Einwände machen kann. Deswegen habe ich auf jeder Pressekonferenz vor
den endgültigen Entscheidungen immer wieder gesagt, ich weiß auch, dass anders entschieden
werden könnte, als ich es selber sehe. Aber ich empfand es auch als meine Aufgabe
und meine Sendung, bestimmte Dinge, die den Menschen auf den Nägeln brennen, zu Bewußtsein
zu bringen, also Vorschläge zu machen. Und ich bin auch sehr gut damit gefahren. Der
verstorbene Papst und auch der jetztige Papst haben mir es nie übel genommen, dass
ich Freiheit und Respekt schließlich auch im Gehorchsam gesucht habe, aber auch die
Entscheidung angenommen habe. Beides zusammen gehört für mich zur richtigen Kirchlichkeit.¹
*Die
Kirche gibt dem Gewissen eine Stimme. Dieser bildhafte Ausspruch klingt wie ein Fanal
und stammt aus einer Ansprache von Papst Benedikt XVI., vor wenigen Tagen. Welche
Stimme muss oder soll dieses Gewissen im Neuen Jahrtausend haben?
Œ¹Das
Gewissen ist so sagt das 2. Vatikanische Konzil einmal ist das Heiligtum des Menschen.
Ohne Gewissen, ohne einen ethischen Kompass in unserem Leben, können wir uns in dieser
Welt noch weniger zu Recht finden, als je. Und deswegen ist die Pflege des Gewissens,
das Wachrütteln des Gewissens, das Schärfen des Gewissens, eine ganz wichtige Aufgabe
der Kirche. Das Gewissen ist zwar unvertretbar. Keiner kann an meiner Stelle entscheiden,
wenn es um das Gewissen geht. Keine Autorität in der Welt kann das. Ich finde es großartig,
dass es in der Geschichte der Kirche und in der Geschichte des Denkens so ist, dass
auch ein irriges Gewissen bindet. Und das die Kirche sich dazu stellen konnte. Thomas
von Aquin hat gesagt: Auch ein irriges Gewissen bindet. Das zeigt, wie hoch man das
Gewissen als Heiligtum des Menschen eingeschätzt hat. Aber auch im Gewissen ist man
nicht ein Robinson im Meer der Welt. Sondern, da muß man sich orientieren, sensibel
werden. Deswegen gibt es die zehn Gebote. Deswegen gibt es viele andere Gesetze
ich sage nicht so gern Gesetze, das Wort hat einen schlechten Klang aber im Alten
Testament sind alle Gesetze Weisungen, Pfade zum Leben, und nicht einfach nur Verbote.
Das braucht man, um auch das Gewissen, gerade auch in seiner Einmaligkeit nicht verkommen
zu lassen. Auch das Gewissen muss sich orientieren, auch das Gewissen braucht Leuchttürme,
dann erst kann es auch wirklich gelingen, einen einmaligen Spruch des Gewissens zu
vollziehen¹.
… Zum Schluß dieses Gesprächs, vielleicht die allerwichtigste
Frage: Worin besteht das bleibende Geheimnis Gottes?
Œ Das bleibende
Geheimnis Gottes besteht für mich darin, dass Er immer frischer und immer reicher
ist, als alles was in unserem Leben auf uns zukommt und was uns vielleicht manchmal
im Augenblick etwas behext und einnimmt. Zu wissen, besonders um Gottes Liebe zum
Menschen, dass Er besonders durch seinen Sohn zu den Menschen gesprochen hat, das
kann nicht überholt werden. Da bin ich also in dem Sinne konservativ, dass ich sage:
Jesu Leben, sein Wort und sein Werk sind das Äußerste und das unwiederholbare Zeichen
Gottes für die Welt. Und dafür sich einzusetzen, ist ein Leben wert¹.