2006-04-30 11:36:53

In die Feder geschrieben: Ein Dominikaner von heute versetzt sich in Savonarola


Girolamo Savonarola ist mein Name – Ich bin Dominikaner! Auch wenn man mir am Ende meines Lebens das Ordensgewand vom Leib gerissen hat. Um mich dann zu hängen und anschließend zu verbrennen.

Ich habe mich am Ende meines Lebens gefragt: War es wirklich richtig, was ich getan habe? War es Gottes Wille? War ich blind oder habe ich nur allzu deutlich gesehen? Doch eins nach dem andern....

Geboren bin ich 1452 in der wunderschönen Stadt Ferrara. „Aus einer aus einer besseren Familie“, würden die Menschen dieser Welt sagen – aber mir war das gleich. Meine Eltern Elena und Nicola, durchaus gläubig, waren zufrieden, als ich begonnen habe, erst einmal Philosophie und Medizin zu studieren.

Aber ich konnte das Studentenleben bald schon nicht mehr ertragen... Frauen, Saufen, Spielen: Das war der Dreiklang des Lebens meiner Kommilitonen. Sollte das alles sein? Nein! Ich wollte nicht wie ein „Tier unter Schweinen, sondern als vernünftiger Mensch“ (Savonarola) leben. Gut ich gebe zu, was die Renaissance zu bieten hatte, war faszinierend: Die Dichter: Petrarca, das Lautenspiel, die Philosophie... Ich stürzte mich auf Platon und noch viel mehr auf Aristoteles. Doch mein Großvater Michele, der Leibarzt bei den Fürsten von Este war, warnte mich vor der Verderbtheit der damaligen Zeit. Und ich merkte irgendwie: Das kann nicht alles sein. Es kam noch dazu, dass ich mich verliebt hatte, und von einem eingebildeten Weibsbild eine schroffe Abfuhr erlebte. Da war’s dann aus: Ich wollte nichts mehr von Frauen wissen. Immer mehr sah ich, wie sehr die ganze Welt verkommen war; Stolz, Einbildung, Neid und Lust: Das waren die wahren Herren dieser Welt. Mit zwanzig habe ich mir das von der Seele geschrieben mit dem Büchlein „Vom Verderben der Welt“ (1472).

1475 – ich war 23 – habe ich in Faenza die flammende Predigt eines Augustiners gehört. Und die hat dann den Ausschlag gegeben: Ich wollte ein radikales Leben führen. Deswegen bin ich noch im selben Jahr in Bologna in den Dominikaner- oder Predigerorden eingetreten.

Schon mein Großvater Michele hatte mich zur Heiligen Schrift und den Kirchenvätern geführt! Jetzt aber folgten Jahre, in denen ich mich mit ganzer Kraft und Leidenschaft allein heiligen Dingen widmen konnte.

Doch je mehr ich mich mit dem Wort Gottes beschäftigte, je mehr ich im Gebet Gott selbst als dem Heiligen und Reinen begegnete, umso mehr spürte ich, wie viel Sünden noch in mir waren. Und noch viel erschreckender: Wenn Gott heilig ist und er seinen Sohn Jesus Christus geopfert hat für unsere Sünden, und wenn er die Menschen, die er durch die Taufe in seinem Blut rein gewaschen hat, in die Kirche ruft, um wie viel blasphemischer ist es, wenn dieselben Menschen einfach weitermachen in ihren Lastern, als gäbe es Gott nicht? „Hochmut ist der Halsschmuck dieser Menschen, / wie ein Gewand umhüllt sie Gewalttat. Sie sehen kaum aus den Augen vor Fett, / und ihr Herz läuft über von bösen Plänen. Sie reißen ihr Maul bis zum Himmel auf / und lassen auf Erden ihrer Zunge freien Lauf.“ (Psalm 73)

Ich begann in San Lorenzo zu predigen, doch anfangs hatte ich keinen Erfolg, knapp zwei Dutzend Leute kamen. Ich dachte schon, die Leute vertragen die Wahrheit nicht. Später dann wurde ich in die Lombardei geschickt. Vor allen in Brescia öffneten die Menschen die Ohren ihres Herzens, als ich Ihnen die Geheime Offenbarung des Johannes auslegte: War es nicht unsere Zeit, von der Johannes schrieb: War es nicht unsere Zeit, die dem Ende entgegen ging? Ich hätte Verrat geübt an Gott, wenn ich meine Stimme nicht erhoben hätte. Und tatsächlich, immer mehr Menschen kamen und wollte mich hören.

Die schlimmste und frivolste Stadt Italiens war das Florenz der Medici, dort herrschte Lorenzo il Magnifico, der Prächtige. Er hat zwar viel für die Stadt getan und sie mit Kunstwerken geschmückt und viele Intellektuelle trieb es an den Arno. Aber Lorenzo war letztlich eine Krämerseele, ein Blutsauger, der immer mehr Macht auf sich konzentrierte und alle zum Narren hielt – das gibt es in Italien auch heute noch. Durch Handel rauben sie den Menschen ihr Geld, schmücken sich mich Pracht, schaffen es bis in höchste politische Ämter und bleiben kleine Krämerseelen...

Damals war es noch schick, fromm zu tun. Und es war ausgerechnet Lorenzo, der mich 1489 bat, nach Florenz zu kommen, um in San Marco, dem Hofkloster der Medicis zu predigen. Doch die Kirche sollte bald nicht mehr reichen. Ich musste in den Dom ausweichen, wo selbst an Werktagen bis zu 15.000 Menschen kamen.

Lorenzo starb schließlich, und mir ist es gelungen, durch meine Predigten die Menschen zu bekehren. Am liebsten habe ich über die Offenbarung gesprochen und die Propheten Ezechiel, Amos und Zacharias ausgelegt. Gerade bei Amos fand ich in der Bibel bestätigt, dass Ausbeutung eine Beleidigung Gottes ist. Was taten die Fürsten nichts anderes als die Menschen auszunehmen? Das hörten die Menschen gerne, Ich war derjenige, der „denen da oben“ mal die Wahrheit sagte! Doch mir ging’s nicht nur um die da oben. Jeder einzelne sollte sich bekehren, das war mein Ziel. Nicht mehr unser Wille sollte Gesetz sein, sondern Gottes Wille. Ein Staat, in dem Christus herrschte, das wollte ich errichten

Und die Leute folgten mir. Die Medicis wurden vertrieben! Die Menschen hörten auf zu sündigen. Kein Tanz mehr, kein Lautenspiel, kein Theater. Frivole Bilder wurden vernichtet: Sandro Botticelli- kein schlechter Maler, aber einst verdorben bis in die Knochen, wenn man sich die schamlosen Darstellungen von Frauen anschaut – selbst also dieser Boticelli zerstörte mehrere seiner Bilder nachdem er meine Predigten gehörte hatte. „Rauhe Soldaten sanken in die Knie, Feinde reichten einander die Hand, gestohlenes Gut wurde zurückerstattet. In den Ostertagen 1496 drängten sich so viele zu Beichte und Kommunion, dass die Beichtväter die Anstrengung physisch nicht mehr aushielten und mich um Schonung baten. Selbst meine ärgsten Feinde unter den Beichtvätern mussten zugeben, dass sich die Herzen der Florentiner bekehrt hatten“

Ich konnte die Menschen dazu bringen, Truppen zu organisieren. die schändliche Schriften aufspüren sollten. Selbst die Kinder haben mitgemacht. Eine richtige Kinderpolizei, die schaute, ob ihre Eltern Unzucht trieben oder gar – horribile dictu – dem entsetzliche Laster der Sodomie frönten: Mancher Familienvater wurde „in flagranti“ mit hübschen Florentiner Knaben erwischt.

Doch damit war Schluss, wir hatten einen echten Gottesstaat in Florenz errichtet! Ein neues Jerusalem, dessen Licht das Lamm Jesus Christus war und nicht unsere Selbstsucht.

Es waren schwierige politische Zeiten, die Franzosen bedrohten Italien und in Rom war ein spanischer Borgia – durch Simonie! – auf den Stuhl Petri gelangt. Alexander VI. nannte er sich. Kein Papst hat den Stuhl Petri so sehr besudelt durch moralische Verkommenheit wie dieser Mann. Ich konnte es nicht fassen, dass derselbe Geist, der in Florenz geherrscht hatte, nun an den Gräbern der Apostel eingezogen sein soll. Ich fing an, auch dagegen zu predigen. Ich prangerte sein ausschweifendes Leben an, ich deckte auf, dass der Papst selber ein Teufel war, dem kein Respekt gebührte. Alexander VI. zeigte sich zunächst unbeeindruckt. Doch als er mir zu predigen verbot und mich sogar exkommunizierte, da war für mich klar: Diesem Mann brauchst Du nicht zu gehorchen. Ich feierte weiter die Heilige Messe und predigte, ja hetzte weiter gegen ihn, und schrieb an die Herrscher Europas, um ein Konzil einzuberufen, dass diesen Mann ansetzen sollte!

Irgendwann kippte die Stimmung. In Florenz gab es immer mehr Menschen, die gegen mich waren. Irgendwann wurden Namen für die beiden Gruppen gefunden. Meine Anhänger wurde frateschi genannt oder „piagnoni“, was nicht nett war, denn das bezeichnete ironisch diejenigen, die in mein Klagen einstimmten (italienisch pianto) über die Schlechtigkeit der Welt. Meine Feinde hießen „compagnacci“, das heißt „junge Lebemänner“. Die hatten keine Lust, auf ihr ausschweifendes Leben zu verzichten. Ihnen schlossen sich weitere an und wuchsen zur Gruppe der „arrabiati“ an, das heißt die Wütenden, weil sie einen solchen Hass gegen mich schürten, dass das irgendwann nicht mehr gut gehen konnte. Auch meine eigenen Brüder vom Dominikanerkloster Santa Maria Novella - oder noch Ärger die Franzsikaner von Santa Croce - wandten sich gegen mich!

Der Papst drohte – wegen meiner Pläne eines Konzils – gleich der ganzen Stadt Florenz mit einem Interdikt, um mich auszuliefern. Die Franziskaner von Santa Croce forderten eine Feuerprobe, um Gott das Urteil zu überlassen, ob ich Recht hatte oder der Papst. Die wurde dann abgeblasen, weil ich angeblich - mit einer Hostie in meinem Habit – das Gottesurteil hätte verhindern sollen.

Am Palmsonntag 1498 wird schließlich San Marco gestürmt und ich komme in Haft. Mehrere Wochen lange habe ich mir in meiner Zelle den Kopf zermartert und gefragt, ob es richtig war, was ich getan habe. Noch heute kann man meine Meditationen zum Misererepsalm lesen, die ich auf dem Steinfußboden im Angesicht des Todes geschrieben habe. Am 23. Mai ist es soweit. Ich werde auf die Piazza della Signoría geführt. Das Ordensgewand reißen mir meine eigenen Mitbrüder vom Leib. Noch einmal bitte ich darum, es berühren zu dürfen. Damals sagte ich „O heiliges Kleid, wie heiß ersehnte ich dich! Gott verlieh mir dich, und ich bewahrte dich unbefleckt bis jetzt, und auch jetzt ließe ich dich nicht, doch du wirst mir genommen.“ Schließlich wurde ich gehängt und dann verbrannt.

Wenn ich an das heutige Sonntagsevangelium denke, dann wird mir eines klar: Die Jünger waren blind und erkannten Jesus nicht! Auch meine Mitmenschen waren blind, die Florentiner, der Papst, alle! Aber vielleicht war auch ich blind. Ich habe nicht erkannt, dass Gott nicht aus Furcht sondern in Liebe von den Menschen angenommen werden will. Im Evangelium heute heißt es ganz richtig: „Sie sollen umkehren, damit ihre Sünden vergeben werden“ Aber was, wenn die Menschen das nicht einsehen? Das ist mir bis heute ein Rätsel und ein Geheimnis, das mich voller Schmerz zurücklässt – auch jetzt nach dem Tod.

Man streitet sich, ob man mich selig sprechen soll. Ich würde mich niemals selig sprechen, denn ich war so etwas wie ein geistlicher Terrorist – aber aus den lautersten und besten Motiven - weil ich Gott die Ehre geben wollte! Aber ob das der richtige Weg war...?

Die reinigende Liebe Gottes hat mich geläutert. Und nun bin ich im Himmel. Und egal, ob ich im Martyrologium, im Buch der Heiligen, verzeichnet bin oder nicht, ich schaue jetzt Gott, der die Liebe ist, und trete – aus Liebe – bei Gott für die Menschen ein!


P. Max. I. Cappabianca OP








All the contents on this site are copyrighted ©.