"Er ist auferstanden, er ist nicht hier" - das Leitwort der Osterpredigt Benedikts
XVI. Wir dokumentieren die Predigt in der Osternacht in der offiziellen deutschen
Übersetzung:
„Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden,
er ist nicht hier“ (Mk 16, 6). So sagt der ins Gewand des Lichtes gekleidete Gottesbote
zu den Frauen, die den Leichnam Jesu im Grab suchen. So sagt es der Evangelist in
dieser heiligen Nacht aber auch zu uns: Jesus ist nicht eine Gestalt der Vergangenheit.
Er lebt, und als Lebender geht er uns voraus; er ruft uns, ihm, dem Lebenden nachzugehen
und so selber den Weg des Lebens zu finden.
„Er ist auferstanden... Er ist
nicht hier.“ Als Jesus zum ersten Mal zu den Jüngern von Kreuz und Auferstehung gesprochen
hatte, fragten die Jünger einander beim Herabsteigen vom Berg der Verklärung, was
das sei „von den Toten auferstehen“ (Mk 9, 10). An Ostern freuen wir uns darüber,
daß Christus nicht im Grab geblieben, daß sein Leichnam nicht verwest ist; daß er
der Welt der Lebenden und nicht der Toten zugehört; daß er – wie wir im Ritus der
Osterkerze sagen – Alpha und Omega zugleich ist, also nicht nur gestern ist, sondern
heute und in Ewigkeit (vgl. Hebr 13, 8). Aber irgendwie liegt Auferstehung so weit
außerhalb unseres Horizonts, außerhalb all unserer Erfahrungen, daß wir, wenn wir
in uns gehen, den Disput der Jünger fortführen: Was ist das nun eigentlich „auferstehen“?
Was bedeutet es für uns? Für die Welt und die Geschichte im ganzen? Ein deutscher
Theologe hat einmal ironisch gesagt, das Mirakel einer wiederbelebten Leiche – wenn
es denn stattgefunden habe, was er nicht glaubte – sei letztlich unwichtig, es betreffe
uns ja nicht. In der Tat, wenn da nur einer irgendwann einmal wiederbelebt worden
wäre, nichts sonst, was sollte uns das angehen? Aber Christi Auferstehung ist eben
mehr, ist anderes. Sie ist – wenn wir einmal die Sprache der Evolutionslehre benützen
dürfen – die größte „Mutation“, der absolut entscheidendste Sprung in ganz Neues hinein,
der in der langen Geschichte des Lebens und seiner Entwicklungen geschehen ist: ein
Sprung in eine ganz neue Ordnung, der uns angeht und die ganze Geschichte betrifft.
So
würde der mit den Jüngern geführte Disput die folgenden Fragen umfassen: Was ist da
geschehen? Was bedeutet es für uns, für die Welt im ganzen und für mich persönlich?
Zunächst also – was ist geschehen? Jesus ist nicht mehr im Grab. Er ist in einem ganz
neuen Leben. Aber wie war das möglich? Welche Kräfte wirkten da? Entscheidend ist,
daß dieser Mensch Jesus nicht allein war, kein in sich abgeschlossenes Ich. Er war
eins mit dem lebendigen Gott, so sehr eins, daß er nur eine Person mit ihm bildete.
Er stand sozusagen nicht nur in einer gefühlsmäßigen, sondern in einer sein Sein umspannenden
und es durchdringenden Umarmung mit dem, der das Leben selber ist. Sein eigenes Leben
war nicht bloß sein Eigen, es war Mitsein und Insein mit Gott, und daher konnte es
ihm gar nicht wirklich genommen werden. Er konnte sich aus Liebe töten lassen, aber
gerade so zerbrach er die Endgültigkeit des Todes, weil in ihm die Endgültigkeit des
Lebens da war. Er war so eins mit dem unzerstörbaren Leben, daß es durch den Tod hindurch
neu aufbrach. Sagen wir dasselbe noch einmal von einer anderen Seite her: Sein Tod
war ein Akt der Liebe. Im Abendmahl hat er den Tod vorweggenommen und in eine Gabe
seiner selbst umgewandelt. Sein Mitsein mit Gott war konkret Mitsein mit Gottes Liebe,
und die ist die wahre Macht gegen den Tod, stärker als der Tod. Auferstehung war gleichsam
eine Explosion des Lichts, eine Explosion der Liebe, die das bislang unauflösbare
Geflecht von „Stirb und Werde“ aufgelöst hat. Sie hat eine neue Dimension des Seins,
des Lebens eröffnet, in die verwandelt auch die Materie hineingeholt ist und durch
die eine neue Welt heraufsteigt.
Es ist klar, daß dieses Ereignis nicht irgendein
vergangenes Mirakel darstellt, dessen Tatsächlichkeit uns letztlich gleichgültig sein
könnte. Es ist ein Durchbruch in der Geschichte „der Evolution“ und des Lebens überhaupt
zu einem neuen künftigen Leben; zu einer neuen Welt, die von Christus her immerfort
schon in diese unsere Welt eindringt, sie umgestaltet und an sich zieht. Aber wie
geschieht das? Wie kann dieses Ereignis wirklich bei mir ankommen und mein Leben in
sich hinein- und hinaufziehen? Die zunächst vielleicht überraschend erscheinende,
aber ganz reale Antwort darauf lautet: Es kommt zu mir durch Glaube und Taufe. Deswegen
gehört die Taufe zur Osternacht; das wird auch in dieser Feier unterstrichen durch
die Spendung der Sakramente der christlichen Initiation an einige Erwachsene aus verschiedenen
Ländern. Die Taufe bedeutet genau dies, daß wir nicht von einem vergangenen Ereignis
reden hören, sondern daß ein weltgeschichtlicher Durchbruch zu mir kommt und nach
mir greift. Taufe ist etwas ganz anderes als ein Akt kirchlicher Sozialisierung, als
eine etwas altmodische und umständliche Form, Menschen in die Kirche aufzunehmen.
Sie ist auch mehr als eine bloße Abwaschung, als eine Art seelischer Reinigung und
Verschönerung. Sie ist wirklich Tod und Auferstehung, Wiedergeburt, Umbruch in ein
neues Leben hinein.
Wie sollen wir das verstehen? Ich denke, was da geschieht,
werde uns am ehesten klar, wenn wir den Schluß der kleinen geistlichen Autobiographie
ansehen, die uns Paulus in seinem Galater-Brief geschenkt hat. Sie schließt mit den
Worten, die zugleich den Kern dieser Biographie beinhalten: Ich lebe, doch „nicht
mehr ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2, 20). Ich, doch nicht mehr ich. Das
Ich selber, die eigentliche Identität des Menschen – dieses Menschen Paulus – ist
verändert worden. Er existiert noch, und er existiert nicht mehr. Er ist durch ein
„Nicht“ hindurchgegangen und steht immerfort in diesem „Nicht“. Ich, doch „nicht“
mehr ich. Paulus beschreibt damit nicht irgendein mystisches Erlebnis, das ihm etwa
geschenkt worden wäre und das uns im letzten allenfalls historisch interessieren könnte.
Nein, dieser Satz ist Ausdruck dessen, was in der Taufe geschah. Das eigene Ich wird
mir genommen und eingefügt in ein größeres, in ein neues Subjekt. Dann ist es wieder
da, aber eben verwandelt, umgebrochen, aufgebrochen durch die Zugehörigkeit zum anderen,
in dem es seinen neuen Existenzraum hat.
Paulus macht uns dasselbe noch einmal
von einer anderen Seite her klar, wenn er im dritten Kapitel des Galater-Briefs von
der Verheißung spricht und sagt, daß sie im Singular gegeben sei – nur einem: Christus.
Er allein trägt alle Verheißung in sich. Aber was ist dann mit uns? Ihr seid einer
geworden in Christus, sagt Paulus dazu (vgl. 3, 28). Nicht eins, sondern einer, ein
einziger, ein einziges neues Subjekt. Diese Befreiung unseres Ich aus seiner Isolation,
dieses Stehen in einem neuen Subjekt ist Stehen in der Weite Gottes und Hineingerissensein
in ein Leben, das aus dem Zusammenhang von Stirb und Werde herausgetreten ist, jetzt
schon. Die große Explosion der Auferstehung hat in der Taufe nach uns gegriffen. So
gehören wir einer neuen Dimension des Lebens zu, in die wir mitten in den Bedrängnissen
dieser Zeit schon hineingehalten sind. In diesen offenen Raum hineinzuleben, das heißt
getauft sein, das heißt Christ sein. Das ist die Freude der Osternacht. Die Auferstehung
ist nicht vergangen, die Auferstehung hat nach uns gegriffen, hat uns ergriffen. An
ihr, das heißt am auferstandenen Herrn halten wir uns fest, und wir wissen: Er hält
uns fest, wenn unsere Hände zu schwach werden. An ihm halten wir uns fest, so halten
wir auch einander fest, werden einer, nicht nur eins. Ich, doch nicht mehr ich: Das
ist die von der Taufe vorgegebene Formel der christlichen Existenz, die Formel der
Auferstehung mitten in der Zeit. Ich, doch nicht mehr ich: Wenn wir so leben, gestalten
wir die Welt um. Es ist die Gegenformel zu allen Ideologien der Gewalt und das Gegenprogramm
zu Korruption und Suche nach Macht und Habe.
„Ich lebe und ihr werdet leben“,
sagt Jesus im Johannes-Evangelium (14, 19) zu seinen Jüngern, das heißt zu uns. Wir
leben durch das Mitsein mit ihm, durch das Angeheftetsein an ihn, der das Leben selber
ist. Ewiges Leben, selige Unsterblichkeit haben wir nicht aus uns selbst und nicht
in uns selbst, sondern durch eine Relation – durch das Mitsein mit dem, der die Wahrheit
und die Liebe und darum ewig, Gott selber ist. Die bloße Unzerstörbarkeit der Seele
allein könnte ewigem Leben keinen Sinn geben, es nicht zu wirklichem Leben machen.
Leben kommt uns aus dem Geliebtsein von dem, der das Leben ist; aus dem Mitlieben
und Mitleben mit ihm. Ich, doch nicht mehr ich: Das ist der Weg des Kreuzes, der Durchkreuzung
einer bloß ins Ich eingeschlossenen Existenz, und gerade so öffnet sich die wahre,
die bleibende Freude.
So können wir mit der Kirche voll Freude im Exsultet
singen: „Frohlocket, ihr Chöre der Engel... Lobsinge, du Erde!“. Die Auferstehung
ist ein kosmisches Ereignis, das Himmel und Erde umfaßt und zueinander bringt. Und
ebenso können wir mit dem Exsultet rufen: „Dein Sohn, unser Herr Jesus Christus, der
von den Toten erstand, der den Menschen erstrahlt in österlichem Licht – er lebt und
herrscht in Ewigkeit.“