Karsamstag: "Gott ist tot und wir haben ihn getötet"
Karsamstag ist unser
ganzes Leben, Karsamstag ist "unser Tag". Das sagte Papst Benedikt XVI. vor zehn Jahren.
1996 hat der damalige Kardinal Joseph Ratzinger für das deutsche Programm von Radio
Vatikan die Karwoche meditiert:
"Karsamstag, Tag des Begräbnisses Gottes
- ist das nicht auf eine unheimliche Weise unser Tag? Fängt unser Jahrhundert nicht
an, zu einem großen Karsamstag zu werden, einem Tag der Abwesenheit Gottes, an dem
auch den Jüngern eine eisige Leere ins Herz steigt, so dass sie beschämt und verängstigt
sich zum Heimweg rüsten und auf ihrem Emmaus-Gang dumpf und verstrört sich in ihre
Hoffnungslosigkeit hineinbohren, gar nicht bemerkend, dass der Totgeglaubte in ihrer
Mitte ist? Gott ist tot, und wir haben ihn getötet: Haben wir eigentlich bemerkt,
dass dieser Satz fast wörtlich der Sprache der christlichen Überlieferung entommen
ist, dass wir oft genug in unseren Kreuzweggebeten schon Ähnliches gelallt haben,
ohne den erschreckenden Ernst, die unheimliche Wirklichkeit des Gesagten zu gewahren?
Wir haben ihn getötet, in dem wir ihn ins Gehäuse veralteter Denkgewohnheiten einschlossen,
indem wir ihn in eine Frömmigkeit verbannten, die wirklichkeitslos war und immer mehr
zu devotionellen Phrase und zur archäologischen Kostbarkeit wurde; wir haben ihn getötet
durch die Zweideutigkeit unseres Lebens, die ihn selbst verdunkelte, denn was könnte
Gott fragwürdiger machen in dieser Welt als die Fragwürdigkeit des Glaubens und der
Liebe seiner Gläubigen? Die Gottesfinsternis dieses Tages, dieses Jahrhunderts,
das mehr und mehr zum Karsamstag wird, redet uns ins Gewissen. Sie hat auch mit uns
zu tun. Aber sie hat trotz allem etwas Tröstendes an sich. […] Wir brauchen die Gottesfinsternis,
wir brauchen das Schweigen Gottes, um wieder den Abgrund seiner Größe zu erfahren,
den Abgrund unserer Nichtigkeit, der sich auftun würde, wenn er nicht wäre."