Italien: Papst Benedikt betet erstmals Kreuzweg am Kolosseum
Mit dem traditionellen Kreuzweg des Papstes am Kolosseum haben die Osterfeierlichkeiten
in Rom einen ersten Höhepunkt erreicht. Erstmals in seinem Pontifikat führte Benedikt
XVI. gestern Abend die Prozession beim Kolosseum an, um gemeinsam mit tausenden Menschen
des Leidens und Sterbens Jesu vor zu gedenken. Bei der ersten und bei der letzten
der 14 Station trug Benedikt selbst das Kreuz. Bei den übrigen führten Kardinalvikar
Camillo Ruini, eine römische Familie, ein Priesterseminarist aus den USA, Ordensleute
und Jugendliche aus verschiedenen Weltteilen die Prozession an. Die von Sprechern
vorgetragenen Meditationstexte erinnerten an leidende und gedemütigte Menschen der
modernen Zeit, beklagten aber auch Missstände der heutigen Gesellschaft: „Wir haben
das Empfinden für die Sünde verloren! Mit heimtückischer Propaganda verbreitet sich
heute eine törichte Apologie des Schlechten, ein absurder Kult Satans, ein unsinniger
Wille zur Übertretung, eine verlogene und haltlose Freiheit, welche die Laune, das
Laster und den Egoismus verherrlicht und sie als Errungenschaften der Zivilisation
hinstellt.“
Bei der fünften Station „Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz
tragen“ versetzte die Meditation des Generalvikars des Papstes für die Vatikanstadt,
Angelo Comastri das Geschehen direkt in die heutige Zeit: „Du erinnerst uns daran,
dass Christus auf uns wartet auf der Straße, auf dem Treppenabsatz, im Krankenhaus,
im Gefängnis …in den Randzonen unserer Städte. Der Wohlstand lässt uns unmenschlich
werden, die Vergnügung ist zur Entfremdung, zur Droge geworden; und der monotone Werbespot
dieser Gesellschaft ist die Einladung, im Egoismus zu sterben.“
Die Meditation
zur siebenten Station „Christus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz“ geißelte heutige
Angriffe auf die Familie: „Es scheint, als gebe es heute eine Art Anti-Genesis, einen
Gegen-Entwurf, einen diabolischen Hochmut, der die Familie abschaffen will. Der Mensch
möchte die Familie neu erfinden, die Grammatik des Lebens selbst, von Gott so ersonnen
und gewollt, möchte er verändern. Doch sich an Gottes Stelle zu setzen, ohne Gott
zu sein, ist die dümmste Arroganz, ist das gefährlichste Abenteuer.“
Unzählige
Fackeln und Kerzen erleuchteten das Kolosseum und die
Umgegend. Mehr als 60
Sendeanstalten übertrugen die nächtliche Zeremonie in 42 Länder. Am Schluss forderte
der Papst die Gläubigen auf, en Kreuzweg nicht nur als historisches Ereignis zu sehen,
sondern ihn auf sich selbst zu beziehen. „Beim Kreuzweg können wir nicht nur Zuschauer
sein. Wir können nicht neutral sein. Pilatus, der skeptische Intellektuelle, hat versucht,
neutral zu sein, aber auf diese Weise hat er gegen die Justiz Position bezogen, für
den Konformismus seiner Karriere. Im Spiegel des Kreuzes müssen wir die Leiden der
Menschen von heute erkennen. Wir haben das Leiden von verlassenen, misshandelten Kindern
gesehen, die Bedrohung der Familie, die Spaltung der Welt in den Hochmut der Reichen,
die Lazarus vor ihrer Tür nicht sehen, und das Elend der vielen, die Hunger und Durst
leiden. Aber wir haben auch Stationen des Trosts gesehen. Wir haben die mutige Frau
gesehen, die vor dem Herrn steht und keine Angst hat, ihre Solidarität mit dem Leidenden
zu zeigen. Wir haben Simon von Cyrene gesehen, einen Afrikaner, der mit Jesus das
Kreuz trägt.“ (kna,rv 15.04.06 bg)