Karfreitag: "Sie werden schauen auf den, den sie durchbohrten."
Vor zehn Jahren, 1996, hat der damalige Kardinal Joseph Ratzinger für das deutsche
Programm von Radio Vatikan die Karwoche meditiert. In seiner Betrachtung zum Karfreitag
sagte er:
"'Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben' - mit
diesen Worten beschließt der Evangelist Johannes seine Darstellung der Passion des
Herrn; mit diesen Worten eröffnet er die Christusvision im letzten Buch des Neuen
Testaments, das wir 'Geheime Offenbarung' zu benennen pflegen. Zwischen der zweimaligen
Anführung dieses prophetischen Wortes aus dem Alten Bund liegt die ganze Geschichte
ausgespannt: zwischen Kreuzigung und Wiederkunft des Herrn; in diesem Wort ist ebenso
die Rede von der Erniedrigung dessen, der wie ein Verbrecher am Galgen starb, wie
von der Macht dessen, der kommen wird, die Welt zu richten ä auch unser Richter. 'Sie
werden schauen auf den, den sie durchbohrten' - das ganze Johannesevangelium ist im
Grunde nichts anderes als der Vollzug dieses Wortes, nichts anderes als das Bemühen,
unsere Augen und unser Herz zu sammeln in den Blick auf Ihn hinein. Und die ganze
Liturgie der Kirche ist nichts anderes als Schauen auf den Durchbohrten, dessen verhülltes
Antlitz der Priester au dem Höhepunkt des Kirchenjahres, in der gottesdienstlichen
Feier des Karfreitags, den Augen der Kirche und der Welt enthüllt: 'Seht, das Holz
des Kreuzes, an dem das Heil der Welt gehangen!' 'Sie werden schauen auf den, den
sie durchbohrten.' Herr, gib uns, in dieser Stunde auf dich zu schauen, in der
Stunde deiner Verborgenheit und Erniedrigung durch eine Welt, die das Kreuz als ärgerlichen
Unfalle übergehen will, die sich deinem Blick entzieht, ihn als unnütze Zeitvergeudung
ansieht und nicht weiß, dass sie eben darin deiner Stunde entgegengehet, in der sich
niemand deinem Blicke wird entziehen können."