Vatikan: Einblicke in die Welt der Heiligsprechungen
Santo subito! So hört
sich der berühmteste Aufruf zu einer sofortigen Heiligsprechung an. Erklungen ist
er vor einem Jahr, als Johannes Paul II. starb und das Volk der Gläubigen den geliebten
Papst sofort in der Gemeinschaft - im Kanon - der Heiligen wissen wollte. Wie funktioniert
eigentlich so eine „Kanonisierung“? Warum braucht es dazu ein Wunder, wo es uns doch
so schwer fällt, an Wunder zu glauben? Sollte die Kirche Selige abschaffen und die
Kandidaten in einem Schritt zum Heiligen befördern, „santo subito“ eben? Darüber sprach
Gudrun Sailer in unserer Sendereihe „Frauen im Vatikan“ mit der Kirchenrechtlerin
Elisabeth Braunbeck. Die Schönstätter Marienschwester arbeitet seit neun Jahren als
Protokollführerin an der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen.
„Das
„santo subito“ war meines Erachtens Ausdruck dessen, was schon zu Lebzeiten von Johannes
Paul II. geschehen ist - dass er nämlich mit seiner charismatischen Persönlichkeit
viele Menschen gewonnen und sie für Christus und die Kirche aufgeschlossen hat. Und
aus Zuschriften an die Kongregation weiß ich auch, dass er durch seine Leidensphase
und durch sein Sterben viele Menschen bekehrt hat. Es gab ganz viele Mitteilungen
von neuen Hinwendungen zur Kirche, zum Glauben durch das Erlebnis seines Leidens und
seines Todes.“
Wunder stehen in unseren Tagen und besonders im westlichen
Kulturkreis keineswegs hoch im Kurs. Wer viel auf rationalistisches Denken hält, neigt
dazu, Wundergläubigkeit zu belächeln. Die Kirche selbst, sagt Elisabeth Braunbeck,
kommt diesem vernunftbetonten Denken entgegen,
„indem nicht alles mystifiziert
wird, was schon mal wunderbar aussieht oder als solches erfahren wird. Man kann ja
im Alltag vieles als wunderbar erfahren, was nicht unbedingt ein Wunder sein muss.“
So legt die Kirche sehr strenge Maßstäbe an mutmaßliche Wunder an. Oft
handelt es sich um medizinische Fälle. Mehrere Wissenschaftler müssen den Vorgang
untersuchen, Krankheitsverläufe und Klinikakten studieren, Zeugen einvernehmen, sodass
sie zu dem Schluss kommen können:
„Diesen Vorfall können wir mit den Kriterien
der Wissenschaft nicht erklären. Es genügt also nicht dass sie sagen, der kommt ganz
selten vor, und sie müssen auch nicht sagen, hier handelt es sich um ein Wunder. Das
ist nicht Aufgabe der Wissenschaftler. Sie müssen sagen können: das können wir wissenschaftlich
nicht erklären.“
Danach sind die Theologen am Zug. Sie müssen untersuchen,
ob ein erkennbarer Zusammenhang besteht zwischen der Anrufung um die Fürbitte des
Kandidaten und dem mutmaßlichen Wunder. Der Postulator – also: Anwalt - des Seligsprechungsverfahrens
für Johannes Paul etwa dokumentiert soeben die wissenschaftlich nicht zu erklärende
Genesung einer französischen Ordensfrau von ihrer Parkinson-Erkrankung.
„Ein
konkretes physisches Wunder zu erwarten, das war mir eine fremde Sache, als ich hierher
kam und den ersten Kontakt mit dieser Welt der Heiligsprechungsverfahren hatte. Da
wurde mir erklärt, dass die Kirche im Grund die Heiligsprechung eines Menschen in
drei Worten vollzieht. Das erste Wort über dieses Leben oder den Märtyrertod spricht
das Volk. Indem es deutlich macht, wir sind überzeugt, dass diese Mensch, dieser Mann
diese Frau, ein heiliges Leben geführt hat. Und das drückt sich darin aus, dass das
Volk ihn verehrt, dass es die Person um Fürsprache bittet, und auch Gebetserhörungen
zu berichten weiß, undsoweiter. Das zweite Wort spricht dann die Kirche durch die
Untersuchung dieses Lebens und ein Urteil in der Richtung. Das dritte Wort erwartet
die Kirche wirklich durch Gott selbst. Dass er durch ein außergewöhnliches Eingreifen
deutlich macht, dass diese Person wirklich heilig gelebt hat und jetzt in seiner Gemeinschaft
lebt.“
Eine Seligsprechung im Rückwärtsgang. Schritt drei:
Gott. Schritt zwei: die Kirche. Schritt eins: die Gläubigen. Es ist zunächst das Volk,
das Selige und Heilige macht. Die Kirchenrechtlerin sieht hier einen Reflex von Demokratie
in kirchlichen Strukturen. „Es gibt kein Verfahren, in dem dieser
so genannte Ruf der Heiligkeit verzichtbar wäre. Und das zeigt auch meines Erachtens,
wofür Heiligsprechungen da sind. Denn die Heiligsprechungen sind keine Prämie für
ein gutes und braves Christenleben, sondern sie sind für das Volk Gottes da, für die
Menschen da, sie sollen ihnen Orientierung geben, eine Möglichkeit, für authentisches
Christenleben aufzeigen, sie sollen ihnen auch Freunde geben, Helfer, an die sie sich
wenden können auf ihrem Weg durchs Leben, auf ihrem Weg zu Gott. Und durch das Ernstnehmen
der Stimme des Volkes in seinen verschiedenen Teilen kommt das zum Ausdruck – dass
Heiligsprechungen für das Volk da sind und nicht am Reißbrett entworfen werden.“
Seligkeit
als Vorstufe zur Heiligkeit könnte man eigentlich abschaffen, meinen Kritiker des
komplizierten, langwierigen und nicht zuletzt kostspieligen Verfahrens. Zumal die
Seligsprechung eine Erfindung der jüngeren Kirchengeschichte ist. Mitte des 17. Jahrhunderts
war Franz von Sales der erste Selige. Der Unterschied ist ein rein örtlicher: die
einen sind zur lokalen Verehrung freigegeben, die anderen gelten für die ganze Weltkirche.
Elisabeth Braunbeck plädiert für friedliche Koexistenz im Heiligenkalender.
„Ich
glaube, dass nicht alle Kandidaten unbedingt bis zur Heiligsprechung gelangen müssen.
Sondern dass es auch Sinn macht, jemanden in einem Land, in einer Nation, in einem
Kontinent oder auch nur in einem Orden zu verehren, und dass es nicht unbedingt notwendig
ist, alle auch der Gesamtkirche vorzustellen. Denn das stelle ich mir wirklich als
eine Schwierigkeit vor, als eine Überflutung des Heiligenkalenders, sodass die Gesamtkirche
nicht mehr mitkommt, all diese Vorbilder in der rechten Weise einzuordnen.“
Sr.
Dr. Elisabeth Braunbeck, Jahrgang 1955, stammt aus Mainz. Sie studierte Theologie
in Fulda, Fribourg und Eichstätt. Auch ihre Schwester gehört der Schönstatt-Bewegung
an. Die Eltern freuten sich sehr über diese Doppelberufung.
„Ja, das kann
ich sagen! Ich erinnere mich, dass meine Mutter an dem Tag, an dem ich mein Noviziat
in der Gemeinschaft begonnen habe, zu einer Mitschwester sagte: wenn ich noch mehr
Mädchen zur Verfügung hätte, ich würde sie Ihnen gerne geben, aber der Vorrat ist
zu Ende!“
Die Schönstatt-Bewegung will dem Menschen helfen, aus dem Bund
mit Gott zu leben. Am historischen Anfang stand dabei ein Bündnis mit der Gottesmutter
Maria, das in einer kleinen Kapelle am Ort Schönstatt geschlossen wurde.
„Maria
ist unser Modell, weil sie der Mensch ist, der den Bund mit Gott am intensivsten und
authentischsten gelebt hat, und indem wir uns mit ihr verbinden und verbünden, erhoffen
wir uns, dass wir ihr ähnlicher werden und dass sie uns hilft auf unserem Bundesweg
– dass wir als freie Bundespartner Gottes handeln können.“
Das Charisma
Schönstatts in ihrem Arbeitsalltag zu leben, betrachtet Elisabeth Braunbeck als Geschenk.
„Dass aus diesem Liebesbündnis, aus dem ich leben kann und darf,
eine wirkliche Sicherheit erwächst, eine Gewissheit, dass ich gehalten und getragen
bin, dass ich nicht alleine bin, dass da immer jemand ist, der mich begleitet und
Interesse an mir hat. Das gibt mir auch ein eigenes Wertbewusstsein. Ich muss also
nicht nach irgendwelchen großen Posten streben, um ein Wertbewusstsein zu haben.“
Das
– quasi – äußere Erkennungszeichen der Schönstatt-Bewegung ist das so genannte MTA-Bild:
eine Muttergottes mit Kind, dieselbe Darstellung in allen Schönstatt-Heiligtümern.
Auch in Elisabeth Braunbecks Büro in der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen
hängt diese Madonna. In manch schwierigen Situationen, sagt die Kirchenrechtlerin,
hilft es ihr, sich zu fragen: wie hätte Maria gehandelt?
„Ich denke, dass
das auch einen bestimmten Stil prägt. Einen Stil gerade auch für mich als Frau, der
nicht unbedingt zu leise ist, er ist schon selbstbewusst, aber auch auf den Menschen
Rücksicht nimmt, und die ganze Situation berücksichtigt. Ein Stil, der versucht, auf
verschiedene Weise sich einer Situation anzunähern, und die Reaktionen gut bedenkt
– nicht unbedingt die eigene Person immer in den Mittelpunkt stellt.“
Das
wird auch an kleinen Gesten deutlich.
„Es ist schön, wenn die Menschen,
die zu uns kommen – das sind Postulatoren, Kollegen, Leute die eine Informationsfrage
haben - wenn sie spüren, dass bei uns nicht nur der Amtsschimmel wiehert. Sondern
dass da auch persönliches Interesse an ihren Anliegen da ist, dass man versucht, auch
wenn sie eine schwierige Frage zu klären haben, ihnen entgegen zu kommen, dass man
mit ihnen zu einem Kollegen geht, um etwas abzuklären. Dass man in erster Linie versucht
den Menschen zu sehen, der dieses Anliegen hat, und die Antwort so gibt, dass er das
auch akzeptieren kann. Ich denke dass das eine Möglichkeit ist, so auch die Art Marias
heute erfahrbar zu machen.“ (rv 29.03.06 gs)