2006-03-29 15:39:51

Vatikan: Einblicke in die Welt der Heiligsprechungen


RealAudioMP3 Santo subito! So hört sich der berühmteste Aufruf zu einer sofortigen Heiligsprechung an. Erklungen ist er vor einem Jahr, als Johannes Paul II. starb und das Volk der Gläubigen den geliebten Papst sofort in der Gemeinschaft - im Kanon - der Heiligen wissen wollte. Wie funktioniert eigentlich so eine „Kanonisierung“? Warum braucht es dazu ein Wunder, wo es uns doch so schwer fällt, an Wunder zu glauben? Sollte die Kirche Selige abschaffen und die Kandidaten in einem Schritt zum Heiligen befördern, „santo subito“ eben? Darüber sprach Gudrun Sailer in unserer Sendereihe „Frauen im Vatikan“ mit der Kirchenrechtlerin Elisabeth Braunbeck. Die Schönstätter Marienschwester arbeitet seit neun Jahren als Protokollführerin an der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen.

„Das „santo subito“ war meines Erachtens Ausdruck dessen, was schon zu Lebzeiten von Johannes Paul II. geschehen ist - dass er nämlich mit seiner charismatischen Persönlichkeit viele Menschen gewonnen und sie für Christus und die Kirche aufgeschlossen hat. Und aus Zuschriften an die Kongregation weiß ich auch, dass er durch seine Leidensphase und durch sein Sterben viele Menschen bekehrt hat. Es gab ganz viele Mitteilungen von neuen Hinwendungen zur Kirche, zum Glauben durch das Erlebnis seines Leidens und seines Todes.“

Wunder stehen in unseren Tagen und besonders im westlichen Kulturkreis keineswegs hoch im Kurs. Wer viel auf rationalistisches Denken hält, neigt dazu, Wundergläubigkeit zu belächeln. Die Kirche selbst, sagt Elisabeth Braunbeck, kommt diesem vernunftbetonten Denken entgegen,

„indem nicht alles mystifiziert wird, was schon mal wunderbar aussieht oder als solches erfahren wird. Man kann ja im Alltag vieles als wunderbar erfahren, was nicht unbedingt ein Wunder sein muss.“

So legt die Kirche sehr strenge Maßstäbe an mutmaßliche Wunder an. Oft handelt es sich um medizinische Fälle. Mehrere Wissenschaftler müssen den Vorgang untersuchen, Krankheitsverläufe und Klinikakten studieren, Zeugen einvernehmen, sodass sie zu dem Schluss kommen können:

„Diesen Vorfall können wir mit den Kriterien der Wissenschaft nicht erklären. Es genügt also nicht dass sie sagen, der kommt ganz selten vor, und sie müssen auch nicht sagen, hier handelt es sich um ein Wunder. Das ist nicht Aufgabe der Wissenschaftler. Sie müssen sagen können: das können wir wissenschaftlich nicht erklären.“

Danach sind die Theologen am Zug. Sie müssen untersuchen, ob ein erkennbarer Zusammenhang besteht zwischen der Anrufung um die Fürbitte des Kandidaten und dem mutmaßlichen Wunder. Der Postulator – also: Anwalt - des Seligsprechungsverfahrens für Johannes Paul etwa dokumentiert soeben die wissenschaftlich nicht zu erklärende Genesung einer französischen Ordensfrau von ihrer Parkinson-Erkrankung.

„Ein konkretes physisches Wunder zu erwarten, das war mir eine fremde Sache, als ich hierher kam und den ersten Kontakt mit dieser Welt der Heiligsprechungsverfahren hatte. Da wurde mir erklärt, dass die Kirche im Grund die Heiligsprechung eines Menschen in drei Worten vollzieht. Das erste Wort über dieses Leben oder den Märtyrertod spricht das Volk. Indem es deutlich macht, wir sind überzeugt, dass diese Mensch, dieser Mann diese Frau, ein heiliges Leben geführt hat. Und das drückt sich darin aus, dass das Volk ihn verehrt, dass es die Person um Fürsprache bittet, und auch Gebetserhörungen zu berichten weiß, undsoweiter. Das zweite Wort spricht dann die Kirche durch die Untersuchung dieses Lebens und ein Urteil in der Richtung. Das dritte Wort erwartet die Kirche wirklich durch Gott selbst. Dass er durch ein außergewöhnliches Eingreifen deutlich macht, dass diese Person wirklich heilig gelebt hat und jetzt in seiner Gemeinschaft lebt.“


Eine Seligsprechung im Rückwärtsgang. Schritt drei: Gott. Schritt zwei: die Kirche. Schritt eins: die Gläubigen. Es ist zunächst das Volk, das Selige und Heilige macht. Die Kirchenrechtlerin sieht hier einen Reflex von Demokratie in kirchlichen Strukturen.
 
„Es gibt kein Verfahren, in dem dieser so genannte Ruf der Heiligkeit verzichtbar wäre. Und das zeigt auch meines Erachtens, wofür Heiligsprechungen da sind. Denn die Heiligsprechungen sind keine Prämie für ein gutes und braves Christenleben, sondern sie sind für das Volk Gottes da, für die Menschen da, sie sollen ihnen Orientierung geben, eine Möglichkeit, für authentisches Christenleben aufzeigen, sie sollen ihnen auch Freunde geben, Helfer, an die sie sich wenden können auf ihrem Weg durchs Leben, auf ihrem Weg zu Gott. Und durch das Ernstnehmen der Stimme des Volkes in seinen verschiedenen Teilen kommt das zum Ausdruck – dass Heiligsprechungen für das Volk da sind und nicht am Reißbrett entworfen werden.“

Seligkeit als Vorstufe zur Heiligkeit könnte man eigentlich abschaffen, meinen Kritiker des komplizierten, langwierigen und nicht zuletzt kostspieligen Verfahrens. Zumal die Seligsprechung eine Erfindung der jüngeren Kirchengeschichte ist. Mitte des 17. Jahrhunderts war Franz von Sales der erste Selige. Der Unterschied ist ein rein örtlicher: die einen sind zur lokalen Verehrung freigegeben, die anderen gelten für die ganze Weltkirche. Elisabeth Braunbeck plädiert für friedliche Koexistenz im Heiligenkalender.

„Ich glaube, dass nicht alle Kandidaten unbedingt bis zur Heiligsprechung gelangen müssen. Sondern dass es auch Sinn macht, jemanden in einem Land, in einer Nation, in einem Kontinent oder auch nur in einem Orden zu verehren, und dass es nicht unbedingt notwendig ist, alle auch der Gesamtkirche vorzustellen. Denn das stelle ich mir wirklich als eine Schwierigkeit vor, als eine Überflutung des Heiligenkalenders, sodass die Gesamtkirche nicht mehr mitkommt, all diese Vorbilder in der rechten Weise einzuordnen.“

Sr. Dr. Elisabeth Braunbeck, Jahrgang 1955, stammt aus Mainz. Sie studierte Theologie in Fulda, Fribourg und Eichstätt. Auch ihre Schwester gehört der Schönstatt-Bewegung an. Die Eltern freuten sich sehr über diese Doppelberufung.

„Ja, das kann ich sagen! Ich erinnere mich, dass meine Mutter an dem Tag, an dem ich mein Noviziat in der Gemeinschaft begonnen habe, zu einer Mitschwester sagte: wenn ich noch mehr Mädchen zur Verfügung hätte, ich würde sie Ihnen gerne geben, aber der Vorrat ist zu Ende!“

Die Schönstatt-Bewegung will dem Menschen helfen, aus dem Bund mit Gott zu leben. Am historischen Anfang stand dabei ein Bündnis mit der Gottesmutter Maria, das in einer kleinen Kapelle am Ort Schönstatt geschlossen wurde.

„Maria ist unser Modell, weil sie der Mensch ist, der den Bund mit Gott am intensivsten und authentischsten gelebt hat, und indem wir uns mit ihr verbinden und verbünden, erhoffen wir uns, dass wir ihr ähnlicher werden und dass sie uns hilft auf unserem Bundesweg – dass wir als freie Bundespartner Gottes handeln können.“

Das Charisma Schönstatts in ihrem Arbeitsalltag zu leben, betrachtet Elisabeth Braunbeck als Geschenk.
 
„Dass aus diesem Liebesbündnis, aus dem ich leben kann und darf, eine wirkliche Sicherheit erwächst, eine Gewissheit, dass ich gehalten und getragen bin, dass ich nicht alleine bin, dass da immer jemand ist, der mich begleitet und Interesse an mir hat. Das gibt mir auch ein eigenes Wertbewusstsein. Ich muss also nicht nach irgendwelchen großen Posten streben, um ein Wertbewusstsein zu haben.“

Das – quasi – äußere Erkennungszeichen der Schönstatt-Bewegung ist das so genannte MTA-Bild: eine Muttergottes mit Kind, dieselbe Darstellung in allen Schönstatt-Heiligtümern. Auch in Elisabeth Braunbecks Büro in der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen hängt diese Madonna. In manch schwierigen Situationen, sagt die Kirchenrechtlerin, hilft es ihr, sich zu fragen: wie hätte Maria gehandelt?

„Ich denke, dass das auch einen bestimmten Stil prägt. Einen Stil gerade auch für mich als Frau, der nicht unbedingt zu leise ist, er ist schon selbstbewusst, aber auch auf den Menschen Rücksicht nimmt, und die ganze Situation berücksichtigt. Ein Stil, der versucht, auf verschiedene Weise sich einer Situation anzunähern, und die Reaktionen gut bedenkt – nicht unbedingt die eigene Person immer in den Mittelpunkt stellt.“

Das wird auch an kleinen Gesten deutlich.

„Es ist schön, wenn die Menschen, die zu uns kommen – das sind Postulatoren, Kollegen, Leute die eine Informationsfrage haben - wenn sie spüren, dass bei uns nicht nur der Amtsschimmel wiehert. Sondern dass da auch persönliches Interesse an ihren Anliegen da ist, dass man versucht, auch wenn sie eine schwierige Frage zu klären haben, ihnen entgegen zu kommen, dass man mit ihnen zu einem Kollegen geht, um etwas abzuklären. Dass man in erster Linie versucht den Menschen zu sehen, der dieses Anliegen hat, und die Antwort so gibt, dass er das auch akzeptieren kann. Ich denke dass das eine Möglichkeit ist, so auch die Art Marias heute erfahrbar zu machen.“
(rv 29.03.06 gs)







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