2006-03-27 15:48:20

Vatikan: Pius XII. wollte keine schweigenden Bischöfe


RealAudioMP3 Papst Pius XII. und die Judenfrage. Ein Thema, das die Gemüter immer noch erhitzt – bestimmt zu Recht. Warum schwieg der Pacelli-Papst in der Öffentlichkeit zu Hitlers Verfolgungen? Die Akten aus der Zeit seines Pontifikates sind noch unter Verschluss. Aber: Pacelli war zwölf Jahre lang, von 1917 bis 1929, päpstlicher Nuntius in Deutschland gewesen – erst in München, dann in Berlin. Diese Unterlagen hat der Vatikan vor drei Jahren für die Forschung freigegeben. Seither versucht der renommierte deutsche Zeithistoriker Hubert Wolf herauszufinden, welche Prägungen Pacelli in seinen deutschen Jahren erfuhr, die für sein späteres Handeln als Papst ausschlaggebend sein würden. Gudrun Sailer sprach mit dem Historiker über seine neuesten Erkenntnisse.

„Ein wichtiger Punkt dieser neuen Quellen ist, dass man Pacelli in seiner Eigenschaft als Nuntius kennen lernt, und ihn nicht immer nur als Papst sieht. Der zweite Punkt ist, das was in den 12 Jahren grundgelegt wird, das hat eine Wirkungsgeschichte während des 2. Weltkriegs.“

Eugenio Pacelli, Karrierediplomat der römischen Kurie: „das beste Pferd im Stall des diplomatischen Korps“, sagt der Kirchengeschichtler Hubert Wolf. An die 15 Jahre lang war Pacelli schon im Staatssekretariat.

„Jetzt kriegt er einen großen diplomatischen Auftrag, und der heißt Deutschland. Weil das die schwierigiste Situation ist. Man hat den besten Mann hingeschickt. Und er ist selbstbewusst und sehr kompetent. Aber er ist natürlich kein Deutscher, nicht an einer deutschen Universität ausgebildet, er hat nicht in Tübingen studiert.“

Der spätere Papst, schlussfolgert Wolf, „hatte Sympathie für Deutschland. Aber er versteht manches von deutschen Eigenarten nur schwer.“

Genau dies kulturelle Differenz sollte sich als größte Herausforderung an den wachen Geist Pacelli erweisen.

„Es wird sehr deutlich in der Schlussrelation, also die Summe seiner 12jährigen Tätigkeit, die er 1929 zieht. Da beurteilt er die deutschen Bischöfe, die an Staatsfakultäten ausgebildet sind, eher skeptisch, weil sie diesen modernen Wissenschaftsgeist in sich hineingezogen haben, „Staatsbischöfe“ sind. Während er als Idealtyp des Bischofs den in Rom an der Gregoriana ausgebildeten Bischof sieht. Und er hat überhaupt kein Verständnis für deutsche Universitätstheologie, die bleibt ihm völlig fremd. Dass sich deutsche Universitätstheologie im Kontext anderer Fächer bewegt und Theologie sich in der Auseinandersetzung mit Wissenschaften statuiert, das bleibt ihm fremd. Das, was Deutschland ausmacht, die Humboldtsche Universität, ist für den Römer Pacelli ein Buch mit sieben Siegeln. Die deutsche Universitätsausbildung der Priester führt für ihn immer zur Kritiksucht, Kritik am Lehramt undsoweiter.“

Man kann das auch verstehen, fügt Wolf hinzu. Pacelli war im Vatikan an der Seite seines Mentors, des Kardinalstaatssekretärs Pietro Gasparri, damit befasst gewesen, den Codex Iuris Canonici zu erarbeiten, das neue kirchliche Gesetzbuch.

„Und das ist für ihn die Norm – so geht’s. Er denkt stark juristisch. Das ist die Norm, so sieht Kirche aus, und so hat sich eben auch deutsche Kirche anzupassen. Und was er machen muss, sind Kompromisse.“

Pacellis Skepsis gegenüber deutscher Theologie zeigt sich am deutlichsten bei den Bischofsernennungen, die ein Nuntius kraft seines Amtes für den Papst vorbereitet. Systematisch befördert er in Rom oder zumindest bei den Jesuiten ausgebildete Kandidaten. Und - das geht aus den Nuntiaturakten hervor – Pacelli bevorzugt keineswegs schweigende Jasager auf dem Bischofsstuhl, sondern Leute, die politisch Klartext reden können. So wie Konrad von Preysing, den er erfolgreich als Oberhirten von Eichstätt vorschlägt.

„Preysing ist das Beispiel, wo er einen auf den Bischofsstuhl setzt, von dem er überzeugt ist, dass er – anders als Bertram – nicht als Staatsbischof agieren wird, Eingabepolitik machen wird, den Frieden mit dem Staat suchen wird, sondern dass der den Konflikt wagt.“

Pacellis Sympathie als Nuntius gilt nachweislich nicht denen,

„die dem Führer zum Geburtstag gratulieren, sondern den Bischöfen, die die Öffentlichkeit instrumentalisieren, die an die Öffentlichkeit gehen. Und das war das Programm von Preysing.“

An Preysing sollte der Pacelli-Papst Pius XII. im Kriegsjahr 1941 einen denkwürdigen Brief schreiben. Ein Schlüsseldokument. Der Papst erklärt darin, wie sehr die drei Predigten des Münsteraner Bischofs von Galen ihm „Trost und Genugtuung“ spendeten. Galen hatte von der Kanzel seines Doms herab einen Frontalangriff auf das Regime Hitler gestartet. So einer wie Galen, das war ein Bischof nach Pius` Geschmack, glaubt Hubert Wolf.

„Er sagt: Die zuständigen Hirten in Deutschland sollen nicht so wie Bertram schweigen, sondern die sollen reden. Deshalb lobt er Preysing, deshalb lobt er Galen. `Auch Uns ist es ein großer Trost, dass deutsche Bischöfe mannhaft reden. Nur Wir! Wir würden es selber gerne tun! Aber Uns legt Unser Amt auf, dass wir es nicht können`.“

Mehrere Tausend Nuntiaturberichte aus Deutschland hat der Diplomat Pacelli in den Vatikan geschickt. Die Berliner Nuntiatur war ein zentraler Umschlageplatz für Weltpolitik, und Pacelli hatte eine Art Drehscheibenfunktion. Er schickte Informationen über Russland, die Palästinafrage, den Judenstaat. Hoch aufschlussreiches Material, das Hobert Wolf und sein Team noch nicht einmal zur Gänze gesichtet haben. Und in Kürze wartet auf die internationale Gemeinschaft der Zeithistoriker eine weitere vatikanische Archivöffnung.

„Der Papst hat ja angekündigt, dass entweder im September oder spätestens zum neuen Jahr das gesamte Pontifikat von Pius XI., also von 1922 bis 1939, geöffnet wird. Das heißt nicht nur die bisher zugänglichen vier Serien, Berliner Nuntiatur, Münchner Nuntiatur, und die entsprechende Gegenüberlieferung vom Staatssekretariat, sondern alles. Und damit werden wir Aufschluss erhalten über die internen Diskussionen in der Kongregation für die außerordentlichen Angelegenheiten, über den Anschluss Österreichs, die Sudetenfrage, den spanischen Bürgerkrieg, und vor allem über Italien, Kirche und Faschismus. Das ist ein großes Thema, und das werden wir komplett haben. Damit kriegen wir nochmal ein anderes Bild.“
(rv 27.03.06 gs)








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