Vatikan: Pius XII. wollte keine schweigenden Bischöfe
Papst Pius XII. und
die Judenfrage. Ein Thema, das die Gemüter immer noch erhitzt – bestimmt zu Recht.
Warum schwieg der Pacelli-Papst in der Öffentlichkeit zu Hitlers Verfolgungen? Die
Akten aus der Zeit seines Pontifikates sind noch unter Verschluss. Aber: Pacelli war
zwölf Jahre lang, von 1917 bis 1929, päpstlicher Nuntius in Deutschland gewesen –
erst in München, dann in Berlin. Diese Unterlagen hat der Vatikan vor drei Jahren
für die Forschung freigegeben. Seither versucht der renommierte deutsche Zeithistoriker
Hubert Wolf herauszufinden, welche Prägungen Pacelli in seinen deutschen Jahren erfuhr,
die für sein späteres Handeln als Papst ausschlaggebend sein würden. Gudrun Sailer
sprach mit dem Historiker über seine neuesten Erkenntnisse.
„Ein wichtiger
Punkt dieser neuen Quellen ist, dass man Pacelli in seiner Eigenschaft als Nuntius
kennen lernt, und ihn nicht immer nur als Papst sieht. Der zweite Punkt ist, das was
in den 12 Jahren grundgelegt wird, das hat eine Wirkungsgeschichte während des 2.
Weltkriegs.“
Eugenio Pacelli, Karrierediplomat der römischen Kurie: „das
beste Pferd im Stall des diplomatischen Korps“, sagt der Kirchengeschichtler Hubert
Wolf. An die 15 Jahre lang war Pacelli schon im Staatssekretariat.
„Jetzt
kriegt er einen großen diplomatischen Auftrag, und der heißt Deutschland. Weil das
die schwierigiste Situation ist. Man hat den besten Mann hingeschickt. Und er ist
selbstbewusst und sehr kompetent. Aber er ist natürlich kein Deutscher, nicht an einer
deutschen Universität ausgebildet, er hat nicht in Tübingen studiert.“
Der
spätere Papst, schlussfolgert Wolf, „hatte Sympathie für Deutschland. Aber er versteht
manches von deutschen Eigenarten nur schwer.“
Genau dies kulturelle Differenz
sollte sich als größte Herausforderung an den wachen Geist Pacelli erweisen.
„Es
wird sehr deutlich in der Schlussrelation, also die Summe seiner 12jährigen Tätigkeit,
die er 1929 zieht. Da beurteilt er die deutschen Bischöfe, die an Staatsfakultäten
ausgebildet sind, eher skeptisch, weil sie diesen modernen Wissenschaftsgeist in sich
hineingezogen haben, „Staatsbischöfe“ sind. Während er als Idealtyp des Bischofs den
in Rom an der Gregoriana ausgebildeten Bischof sieht. Und er hat überhaupt kein Verständnis
für deutsche Universitätstheologie, die bleibt ihm völlig fremd. Dass sich deutsche
Universitätstheologie im Kontext anderer Fächer bewegt und Theologie sich in der Auseinandersetzung
mit Wissenschaften statuiert, das bleibt ihm fremd. Das, was Deutschland ausmacht,
die Humboldtsche Universität, ist für den Römer Pacelli ein Buch mit sieben Siegeln.
Die deutsche Universitätsausbildung der Priester führt für ihn immer zur Kritiksucht,
Kritik am Lehramt undsoweiter.“
Man kann das auch verstehen, fügt Wolf
hinzu. Pacelli war im Vatikan an der Seite seines Mentors, des Kardinalstaatssekretärs
Pietro Gasparri, damit befasst gewesen, den Codex Iuris Canonici zu erarbeiten, das
neue kirchliche Gesetzbuch.
„Und das ist für ihn die Norm – so geht’s.
Er denkt stark juristisch. Das ist die Norm, so sieht Kirche aus, und so hat sich
eben auch deutsche Kirche anzupassen. Und was er machen muss, sind Kompromisse.“
Pacellis
Skepsis gegenüber deutscher Theologie zeigt sich am deutlichsten bei den Bischofsernennungen,
die ein Nuntius kraft seines Amtes für den Papst vorbereitet. Systematisch befördert
er in Rom oder zumindest bei den Jesuiten ausgebildete Kandidaten. Und - das geht
aus den Nuntiaturakten hervor – Pacelli bevorzugt keineswegs schweigende Jasager auf
dem Bischofsstuhl, sondern Leute, die politisch Klartext reden können. So wie Konrad
von Preysing, den er erfolgreich als Oberhirten von Eichstätt vorschlägt.
„Preysing
ist das Beispiel, wo er einen auf den Bischofsstuhl setzt, von dem er überzeugt ist,
dass er – anders als Bertram – nicht als Staatsbischof agieren wird, Eingabepolitik
machen wird, den Frieden mit dem Staat suchen wird, sondern dass der den Konflikt
wagt.“
Pacellis Sympathie als Nuntius gilt nachweislich nicht denen,
„die
dem Führer zum Geburtstag gratulieren, sondern den Bischöfen, die die Öffentlichkeit
instrumentalisieren, die an die Öffentlichkeit gehen. Und das war das Programm von
Preysing.“
An Preysing sollte der Pacelli-Papst Pius XII. im Kriegsjahr
1941 einen denkwürdigen Brief schreiben. Ein Schlüsseldokument. Der Papst erklärt
darin, wie sehr die drei Predigten des Münsteraner Bischofs von Galen ihm „Trost und
Genugtuung“ spendeten. Galen hatte von der Kanzel seines Doms herab einen Frontalangriff
auf das Regime Hitler gestartet. So einer wie Galen, das war ein Bischof nach Pius`
Geschmack, glaubt Hubert Wolf.
„Er sagt: Die zuständigen Hirten in Deutschland
sollen nicht so wie Bertram schweigen, sondern die sollen reden. Deshalb lobt er Preysing,
deshalb lobt er Galen. `Auch Uns ist es ein großer Trost, dass deutsche Bischöfe mannhaft
reden. Nur Wir! Wir würden es selber gerne tun! Aber Uns legt Unser Amt auf, dass
wir es nicht können`.“
Mehrere Tausend Nuntiaturberichte aus Deutschland
hat der Diplomat Pacelli in den Vatikan geschickt. Die Berliner Nuntiatur war ein
zentraler Umschlageplatz für Weltpolitik, und Pacelli hatte eine Art Drehscheibenfunktion.
Er schickte Informationen über Russland, die Palästinafrage, den Judenstaat. Hoch
aufschlussreiches Material, das Hobert Wolf und sein Team noch nicht einmal zur Gänze
gesichtet haben. Und in Kürze wartet auf die internationale Gemeinschaft der Zeithistoriker
eine weitere vatikanische Archivöffnung.
„Der Papst hat ja angekündigt,
dass entweder im September oder spätestens zum neuen Jahr das gesamte Pontifikat von
Pius XI., also von 1922 bis 1939, geöffnet wird. Das heißt nicht nur die bisher zugänglichen
vier Serien, Berliner Nuntiatur, Münchner Nuntiatur, und die entsprechende Gegenüberlieferung
vom Staatssekretariat, sondern alles. Und damit werden wir Aufschluss erhalten über
die internen Diskussionen in der Kongregation für die außerordentlichen Angelegenheiten,
über den Anschluss Österreichs, die Sudetenfrage, den spanischen Bürgerkrieg, und
vor allem über Italien, Kirche und Faschismus. Das ist ein großes Thema, und das werden
wir komplett haben. Damit kriegen wir nochmal ein anderes Bild.“ (rv 27.03.06
gs)