2006-02-21 11:04:33

Fastenzeit mit Bruder Paulus Terwitte


Die Fastenzeit wird mit Verzicht und Entbehrung in Verbindung gebracht. Dass dies aber nicht so sein muss, zeigen Religionslehrer Marcus C. Leitschuh und der bekannte Kapuzinermönch Bruder Paulus Terwitte in ihrem Fastenkalender „Trau dich, 40 Tage anders zu leben“. Nach dem Erfolg im vergangenen Jahr gibt es jetzt neue Impulse. Die Autoren geben mal ernste, mal heitere Tipps, eingeschliffene Pfade zu verlassen. Sie rufen dazu auf, in den Tagen vor Ostern die Zeit in der Weise zu gestalten, dass man sich traut, längst Vorgenommenes endlich auch zu tun. Die Vorschläge sind ganz konkret, zum Teil ungewöhnlich und leicht umsetzbar: im Treppenhaus grüßen, eigene Süchte benennen, einen Kuchen backen.


REDAKTION: „Trau dich, anders zu leben“ heißt Ihr Fastenkalender. Wenn man darin liest, ist man erstaunt. Da geht es gar nicht um „Abnehmen“ und „Alkoholvebot“...



BRUDER PAULUS: Es geht um Gewinn und nicht um Verlust an Freude und Lebensqualität. Die Fastenzeit ist deswegen ein „Mehr“ statt ein „Weniger“. Am Aschermittwoch geht es erst richtig los.



Sekt trinken in der Fastenzeit
REDAKTION: Erstaunlicherweise geht es da um „Ein Glas Sekt trinken“ und „natürlich kochen“...



BRUDER PAULIS: (lacht) ... und um „Im Treppenhaus grüßen“ und „den Sommerurlaub planen“. Tatsächlich gibt der Kalender eine konkrete Anleitung für Bußwerke. Ich weiß, dass die meisten Menschen mit Fasten und Buße ein dunkles Gesicht verbinden und den Spielverderbergott. Damit liegen sie aber beim christlichen Fasten nicht richtig. Christliche Fastenzeit will die Liebe neu einüben. Und richtig zu lieben schenkt eine Lebensfreude, die nachhaltig ist und zum Teilen und Feiern mit anderen bereitmacht – wie wir Christen es an Ostern dann auch ausgelassen tun werden.



REDAKTION: Bruder Paulus, warum braucht man einen Fastenkalender?



BRUDER PAULUS: Im Blick auf Ostern heißt es jetzt: Auferstehen aus allen Gewohnheiten und Bequemlichkeiten. Das Leben schmeckt doch gleich viel besser, wenn es mit neuen Ideen gewürzt wird. Dafür sind die Tage vor Ostern ein gutes Übungsfeld. Gewohnte Rituale werden kritisch beleuchtet und neue Formen der Lebensgestaltung ausprobiert, denn die Ostersonne soll ja weniger das Alte bescheinen, sondern vielmehr Neues wachsen lassen. Dass sie dazu auch kitzelt und herausfordert, liegt in ihrem Wesen. Schließlich war Jesus ja einer, der das richtige Leben draufhatte. Wer ihm nachfolgt, der muss sich schon was trauen. Wer ihm nachfolgen will, hat keinen Spaziergang vor sich. Eher eine abenteuerliche Reise in Dimensionen des Lebens und der Lebendigkeit, die man fast vergessen hätte.

Im Einerlei des Alltags geht leicht verloren, dass man ja eigentlich über alle Sorge und Eintönigkeit herrschen soll. Die Fastenzeit gibt Gelegenheit, sich die Freiheit zur Kurskorrektur zu nehmen. Der Fastenkalender ist die Navigationshilfe dazu. Er bringt seinen Nutzer auf Ideen, die an tief vergrabene Wünsche rühren.



REDAKTION: Ist fasten nicht altmodisch? Wir verzichten doch schon auf so viele Dinge, weil wir sie uns nicht leisten können oder dürfen?



BRUDER PAULUS: Das Leben schmeckt einfach besser, wenn es von neuen Ideen gewürzt wird. Nach dem Erfolg des letztjährigen Trau-Dich-Fasten-Kalenders legen wir neue Impulse vor, die auf dem Weg zum Osterfest Tag für Tag dazu ermutigen, dem Leben zu trauen und eingeschliffene Pfade zu verlassen. Die Vorschläge sind ganz konkret, begleitet von anregenden kurzen Zitaten und Segen für jeden Tag.



REDAKTION: Trauen Sie den Menschen keine eigenen Ideen zu?



BRUDER PAULUS: Wir beobachten mit Sorge, wie eintönig Menschen ihr Leben verbringen. Aus der Tradition der Mönche lädt der Kalender ein, das Leben einer Revision zu unterziehen. Der Mensch hat vielmehr Möglichkeiten, als er vor sich zuzugeben bereit ist. Freilich muss er dazu eine gewisse Faulheit überwinden. Aber genau dass soll er ja in der Fastenzeit trainieren.



Unkonventionelles Gebetbuch



REDAKTION: Als Autorenteam bringen Sie mit Marcus C. Leitschuh nicht nur den zweiten Fastenkalender, sondern „Trau dich, anders zu beten“ heraus...



BRUDER PAULUS: Wir sehen deutlich, wie viel Mut es heutzutage braucht, Neues auszuprobieren. Von Gott zu sprechen oder gar von der Kirche wird erst ganz allmählich wieder akzeptiert. Viele wissen gar nicht mehr, wie interessant das Leben im Glauben an Gott ist. Man muss es sich richtig trauen, weil es einen auch verändert. Wenn etwa Beten ein lebendiger Prozess wird, hält es immer wieder Überraschungen bereit. Unser eher unkonventionelles Gebetbuch greift biblische Motive in einer frischen, unverbrauchten Sprache auf. Wir erklären konkrete Übungen aus der Gebetstradition der Kirche - manchmal ernster, manchmal augenzwinkernder.



REDAKTION: Müssen wir wieder neu beten lernen?



BRUDER PAULUS: Veränderte Zeiten und veränderte Lebensalter verpflichten dazu. Viele Menschen bleiben bei den Gebeten ihrer Kindheit und wundern sich, dass sie mit Gott eher jemanden verbinden, der einen klein hält. Das Gegenteil ist der Fall. Die großen Beter der Kirche waren großartige Menschen, die voller Gottesbewusstsein die Probleme ihrer Zeit angepackt haben.



REDAKTION: Wieso soll man sich „trauen“ müssen?



BRUDER PAULUS: Weil echtes Beten eher hören als sprechen ist. Und dann kann es schon mal vorkommen, dass man im Gebet auch beansprucht wird, dieses zu lassen oder jenes neu zu wagen. Das Gebet gibt nicht nur Kraft für die eigenen Sehnsüchte und Wünsche, es reinigt sie auch. Wenn Sie so wollen, muss der Beter immer auch mit der Kritik rechnen. Deswegen gehört schon eine gewissen Portion Traute dazu, ernsthaft zu beten.



„Am Aschermittwoch fängt das wahre Leben an“



REDAKTION: Bruder Paulus, ist das nicht schade, dass nach Aschermittwoch „alles vorbei“ ist, wie die Karnevalisten singen?



Bruder Paulus: Ernüchterung gehört auch zum Leben. Schon lange kündigt sich das Ende der Spaßgesellschaft an. Der neue Nachdenklichkeit nimmt nach den oft erstaunlich wahren und launigen Büttenreden nun die Spur auf, wie wir nachhaltiger das Gute und Richtige verwirklichen können. Deswegen fängt das Leben mit dem Aschermittwoch erst richtig an, lebendig und lebensnah zu werden. Aber, am Aschermittwoch fängt das wahre Leben an. Schunkeln und Trinken allein machen den Menschen nicht aus. Verzicht auf Überflüssiges legt die wahren Werte frei. Dazu muss man sich freilich trauen. Wer sich Zeit nimmt für ein Gespräch oder sich vornimmt, endlich sein Testament zu machen, setzt nicht ungeduldig auf das schnelle Glück. Er wird gespannt erwarten, was solche Fastenübungen in ihm auslösen. Bequeme Sitzenbleiber entlarvt der Aschermittwoch.



REDAKTION: Verdirbt uns der Glaube nicht den Spass, wenn wir 40 Tage auf alles verzichten sollen, was uns Freude macht?



BRUDER PAULUS: Der Verzicht auf die Fesseln der Spielsucht, des Egoismus oder des Immergleichen macht Freude erst möglich. Die Spaßgesellschaft ist am Ende mit ihrem Latein. Man schüttelt den vielen Lärm um Nichts wie lästige Insekten ab. Junge Menschen durchschauen, auf welchen Wegen die Berufsamüsierer an ihren Geldbeutel wollen. Sie fragen nach Werten, für die zu leben und sich anzustrengen lohnt.



REDAKTION: Bruder Paulus, wir danken Ihnen für das Gespräch.




Marcus C. Leitschuh / Bruder Paulus Terwitte: Trau dich, 40 Tag anders zu leben. Spiralbindung € 14,90 / Trau dich anders zu beten. Zahlreiche Abbildungen, durchgehend vierfarbig. € 6.90; HERDER 2006.
Shop: www.bppublic.de








All the contents on this site are copyrighted ©.