Die Fastenzeit wird mit Verzicht und Entbehrung in Verbindung gebracht. Dass dies
aber nicht so sein muss, zeigen Religionslehrer Marcus C. Leitschuh und der bekannte
Kapuzinermönch Bruder Paulus Terwitte in ihrem Fastenkalender „Trau dich, 40 Tage
anders zu leben“. Nach dem Erfolg im vergangenen Jahr gibt es jetzt neue Impulse.
Die Autoren geben mal ernste, mal heitere Tipps, eingeschliffene Pfade zu verlassen.
Sie rufen dazu auf, in den Tagen vor Ostern die Zeit in der Weise zu gestalten, dass
man sich traut, längst Vorgenommenes endlich auch zu tun. Die Vorschläge sind ganz
konkret, zum Teil ungewöhnlich und leicht umsetzbar: im Treppenhaus grüßen, eigene
Süchte benennen, einen Kuchen backen.
REDAKTION: „Trau dich, anders zu
leben“ heißt Ihr Fastenkalender. Wenn man darin liest, ist man erstaunt. Da geht es
gar nicht um „Abnehmen“ und „Alkoholvebot“...
BRUDER PAULUS: Es geht
um Gewinn und nicht um Verlust an Freude und Lebensqualität. Die Fastenzeit ist deswegen
ein „Mehr“ statt ein „Weniger“. Am Aschermittwoch geht es erst richtig los.
Sekt
trinken in der Fastenzeit REDAKTION: Erstaunlicherweise geht es da um „Ein
Glas Sekt trinken“ und „natürlich kochen“...
BRUDER PAULIS: (lacht)
... und um „Im Treppenhaus grüßen“ und „den Sommerurlaub planen“. Tatsächlich gibt
der Kalender eine konkrete Anleitung für Bußwerke. Ich weiß, dass die meisten Menschen
mit Fasten und Buße ein dunkles Gesicht verbinden und den Spielverderbergott. Damit
liegen sie aber beim christlichen Fasten nicht richtig. Christliche Fastenzeit will
die Liebe neu einüben. Und richtig zu lieben schenkt eine Lebensfreude, die nachhaltig
ist und zum Teilen und Feiern mit anderen bereitmacht – wie wir Christen es an Ostern
dann auch ausgelassen tun werden.
REDAKTION: Bruder Paulus, warum braucht
man einen Fastenkalender?
BRUDER PAULUS: Im Blick auf Ostern heißt
es jetzt: Auferstehen aus allen Gewohnheiten und Bequemlichkeiten. Das Leben schmeckt
doch gleich viel besser, wenn es mit neuen Ideen gewürzt wird. Dafür sind die Tage
vor Ostern ein gutes Übungsfeld. Gewohnte Rituale werden kritisch beleuchtet und neue
Formen der Lebensgestaltung ausprobiert, denn die Ostersonne soll ja weniger das Alte
bescheinen, sondern vielmehr Neues wachsen lassen. Dass sie dazu auch kitzelt und
herausfordert, liegt in ihrem Wesen. Schließlich war Jesus ja einer, der das richtige
Leben draufhatte. Wer ihm nachfolgt, der muss sich schon was trauen. Wer ihm nachfolgen
will, hat keinen Spaziergang vor sich. Eher eine abenteuerliche Reise in Dimensionen
des Lebens und der Lebendigkeit, die man fast vergessen hätte.
Im Einerlei
des Alltags geht leicht verloren, dass man ja eigentlich über alle Sorge und Eintönigkeit
herrschen soll. Die Fastenzeit gibt Gelegenheit, sich die Freiheit zur Kurskorrektur
zu nehmen. Der Fastenkalender ist die Navigationshilfe dazu. Er bringt seinen Nutzer
auf Ideen, die an tief vergrabene Wünsche rühren.
REDAKTION: Ist fasten
nicht altmodisch? Wir verzichten doch schon auf so viele Dinge, weil wir sie uns nicht
leisten können oder dürfen?
BRUDER PAULUS: Das Leben schmeckt einfach
besser, wenn es von neuen Ideen gewürzt wird. Nach dem Erfolg des letztjährigen Trau-Dich-Fasten-Kalenders
legen wir neue Impulse vor, die auf dem Weg zum Osterfest Tag für Tag dazu ermutigen,
dem Leben zu trauen und eingeschliffene Pfade zu verlassen. Die Vorschläge sind ganz
konkret, begleitet von anregenden kurzen Zitaten und Segen für jeden Tag.
REDAKTION:
Trauen Sie den Menschen keine eigenen Ideen zu?
BRUDER PAULUS: Wir
beobachten mit Sorge, wie eintönig Menschen ihr Leben verbringen. Aus der Tradition
der Mönche lädt der Kalender ein, das Leben einer Revision zu unterziehen. Der Mensch
hat vielmehr Möglichkeiten, als er vor sich zuzugeben bereit ist. Freilich muss er
dazu eine gewisse Faulheit überwinden. Aber genau dass soll er ja in der Fastenzeit
trainieren.
Unkonventionelles Gebetbuch
REDAKTION:
Als Autorenteam bringen Sie mit Marcus C. Leitschuh nicht nur den zweiten Fastenkalender,
sondern „Trau dich, anders zu beten“ heraus...
BRUDER PAULUS: Wir sehen
deutlich, wie viel Mut es heutzutage braucht, Neues auszuprobieren. Von Gott zu sprechen
oder gar von der Kirche wird erst ganz allmählich wieder akzeptiert. Viele wissen
gar nicht mehr, wie interessant das Leben im Glauben an Gott ist. Man muss es sich
richtig trauen, weil es einen auch verändert. Wenn etwa Beten ein lebendiger Prozess
wird, hält es immer wieder Überraschungen bereit. Unser eher unkonventionelles Gebetbuch
greift biblische Motive in einer frischen, unverbrauchten Sprache auf. Wir erklären
konkrete Übungen aus der Gebetstradition der Kirche - manchmal ernster, manchmal augenzwinkernder.
REDAKTION: Müssen wir wieder neu beten lernen?
BRUDER
PAULUS: Veränderte Zeiten und veränderte Lebensalter verpflichten dazu. Viele Menschen
bleiben bei den Gebeten ihrer Kindheit und wundern sich, dass sie mit Gott eher jemanden
verbinden, der einen klein hält. Das Gegenteil ist der Fall. Die großen Beter der
Kirche waren großartige Menschen, die voller Gottesbewusstsein die Probleme ihrer
Zeit angepackt haben.
REDAKTION: Wieso soll man sich „trauen“ müssen?
BRUDER
PAULUS: Weil echtes Beten eher hören als sprechen ist. Und dann kann es schon mal
vorkommen, dass man im Gebet auch beansprucht wird, dieses zu lassen oder jenes neu
zu wagen. Das Gebet gibt nicht nur Kraft für die eigenen Sehnsüchte und Wünsche, es
reinigt sie auch. Wenn Sie so wollen, muss der Beter immer auch mit der Kritik rechnen.
Deswegen gehört schon eine gewissen Portion Traute dazu, ernsthaft zu beten.
„Am
Aschermittwoch fängt das wahre Leben an“
REDAKTION: Bruder Paulus,
ist das nicht schade, dass nach Aschermittwoch „alles vorbei“ ist, wie die Karnevalisten
singen?
Bruder Paulus: Ernüchterung gehört auch zum Leben. Schon lange
kündigt sich das Ende der Spaßgesellschaft an. Der neue Nachdenklichkeit nimmt nach
den oft erstaunlich wahren und launigen Büttenreden nun die Spur auf, wie wir nachhaltiger
das Gute und Richtige verwirklichen können. Deswegen fängt das Leben mit dem Aschermittwoch
erst richtig an, lebendig und lebensnah zu werden. Aber, am Aschermittwoch fängt das
wahre Leben an. Schunkeln und Trinken allein machen den Menschen nicht aus. Verzicht
auf Überflüssiges legt die wahren Werte frei. Dazu muss man sich freilich trauen.
Wer sich Zeit nimmt für ein Gespräch oder sich vornimmt, endlich sein Testament zu
machen, setzt nicht ungeduldig auf das schnelle Glück. Er wird gespannt erwarten,
was solche Fastenübungen in ihm auslösen. Bequeme Sitzenbleiber entlarvt der Aschermittwoch.
REDAKTION:
Verdirbt uns der Glaube nicht den Spass, wenn wir 40 Tage auf alles verzichten sollen,
was uns Freude macht?
BRUDER PAULUS: Der Verzicht auf die Fesseln der
Spielsucht, des Egoismus oder des Immergleichen macht Freude erst möglich. Die Spaßgesellschaft
ist am Ende mit ihrem Latein. Man schüttelt den vielen Lärm um Nichts wie lästige
Insekten ab. Junge Menschen durchschauen, auf welchen Wegen die Berufsamüsierer an
ihren Geldbeutel wollen. Sie fragen nach Werten, für die zu leben und sich anzustrengen
lohnt.
REDAKTION: Bruder Paulus, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Marcus C. Leitschuh / Bruder Paulus Terwitte: Trau dich, 40 Tag
anders zu leben. Spiralbindung € 14,90 / Trau dich anders zu beten. Zahlreiche Abbildungen,
durchgehend vierfarbig. € 6.90; HERDER 2006. Shop: www.bppublic.de