Wer von den vatikanischen
Museen spricht, spricht meist spontan in Superlativen. Sie gehören zu den ältesten
Museen der Welt, weiters zu den renommiertesten, den schönsten, meistbesuchten. Allerdings,
sagt ein Vatikan-Sprecher:
"Für die Kirche sind die Vatikanischen Museen
nicht bloß irgendeine herausragende Kunstsammlung. Sie zeigen nichts anderes als die
Tatsache, dass die von Menschen geschaffene Schönheit die von Gott geschaffene Schönheit
widerspiegelt. Das heißt, diese Kunstwerke bringen uns Gott näher."
Begonnen
hat die Geschichte der vatikanischen Museen vor genau 500 Jahren – mit dem Aufsehen
erregenden Fund der Laokoon-Gruppe, der berühmtesten Skulptur der Museen. Man schrieb
den 14. Jänner 1506.
"Dem Papst wurde gesagt, dass in einem Weinberg in
der Nähe von Santa Maria Maggiore eine wunderbare Statue entdeckt worden war. Sofort
schickte der Papst einen Reitknecht zu Sangallo, er möge zu der Stelle eilen und sich
den Fund ansehen, und, da im Haus meines Vaters zu der Zeit auch Michelangelo Buonarotti
wohnte, solle auch dieser mitkommen. Zu dritt gingen wir hin und stiegen zu dem Fundort
hinunter. Beim Anblick der halb ausgegrabenen Statue rief mein Vater aus: Das ist
der Laokoon, den Plinius erwähnte!"
Genau einen Monat später stand die
Laokoon-Gruppe im päpstlichen Belvedere-Hof. Papst Julius II., herausragende Gestalt
der italienischen Renaissance, legte so den Grundstein der späteren Vatikanischen
Museen. Renaissance, wörtlich: Wieder-Geburt, bezieht sich auf die ideelle Neuausrichtung
Europas an antiken Vorbildern und Werten. Die Geschichte vom Fund der Laokoon-Gruppe
kann als Sinnbild verstanden werden: Verschüttetes Kulturgut, das neu geboren wird
in eine Zeit hinein, die reif ist für die Schönheiten früherer Jahrhunderte.
"Welchen
Laokoon haben wir eigentlich?" Fragt sich Museumsdirektor Francesco Buranelli. Das
griechische Original oder eine fabelhafte römische Kopie aus dem ersten Jahrhundert
nach Christus? Noch 2000 Jahre später: ein ungelöstes Rätsel der Kunstgeschichte.
Auch den Namen des Bildhauers wissen wir nicht. Eines aber sehen wir: Dies ist ein
Ausnahme-Kunstwerk.
Die Statuengruppe zeigt den trojanischen Priester Laokoon
und seine Söhne, die gegen zwei mächtige Seeschlangen kämpfen. Laokoon hatte seine
trojanischen Landsleute vor dem hölzernen Pferd gewarnt, das die Griechen zurückgelassen
hatten. Athena, Schutzgöttin der Griechen, sandte darum zwei Schlangen aus dem Meer
empor, die Laokoon und seine beiden Söhne überfielen. Die Skulptur zeigt diese göttliche
Bestrafung am Höhepunkt der Spannung: Vor einem Altar wird der kräftige Priester tödlich
von einer der beiden Schlangen gebissen. Der Ausdruck seines Gesichts mit dem geöffneten
Mund, die krampfhafte Bewegung des sich ein letztes Mal wehrenden Körpers, drücken
das Leid dieses Sterbenden aus. Der jüngere Sohn links von ihm teilt sein Schicksal:
die zweite Schlange hat ihn gefesselt und beißt ihn in die Leber. Der ältere Sohn
steht auf seinem rechten Bein. Er könnte noch in der Lage sein, sich selbst zu befreien,
meint man als Beobachter. Die Ansicht des grausamen Todes seines Vaters und Bruders
bleibt ihm indes nicht erspart.
Wenn wir heute im Zusammenhang mit den Vatikanischen
Museen von Schlangen sprechen, meinen wir freilich nur in seltenen Fällen die mörderischen
Seeschlangen der Athene, die Laokoon und seine Söhne töteten. Unzweifelhaft sind die
Besucherschlangen ein Problem, sagt Francesco Buranelli.
"Die Museen sind
ja als Privatsammlung des Papstes geboren. Nach und nach, im Lauf der Jahrhunderte,
wurden sie fürs Publikum geöffnet. Heute haben wir Millionen Besucher hier."
Genau
gesagt: knapp vier Millionen im Jahr. An manchen Tagen reicht die Schlange der Besucher
– entlang der Vatikanischen Mauer - mehrere Hundert Meter zurück bis zu den Kolonnaden
des Petersplatzes. „Chronisch“ nennt Buranelli den Besucherandrang.
"Wir
tun bereits JETZT einiges dagegen. Zu Zeiten großen Andrangs öffnen wir das Portal
nicht um 8 Uhr 45 – was unsere Öffnungszeit ist – sondern um acht Uhr, und bereits
so früh haben wir wartende Gruppen draußen, die bloß die Sixtinische Kappelle sehen
und dann in den Petersdom weiter eilen wollen. Andererseits sind wir heute imstande,
in der Minute 35 bis 39 Besucher einzulassen."
Das auch Dank des neuen
Eingangs der vatikanischen Museen, der seit acht Jahren besteht. Heute erweist er
sich als zu klein – die Besucherzahlen haben sich in acht Jahren verdoppelt, Billigflieger
sei Dank. Erweiterte Öffnungszeiten? Leider unmöglich, winkt der Museumsdirektor ab.
„Wir schließen um 17 Uhr. Danach kommen Einzelbesucher. Etwa Staatsgäste
im Vatikan. Das zieht sich bisweilen auch bis 19 Uhr hin. Kein Museum hat längere
Öffnungszeiten als wir – von acht bis 19 Uhr, elf Stunden! Und sobald die Staatsgäste
draußen sind, rückt das Reinigungspersonal an. Reinigung und Pflege sind nötig, um
unser kostbares Erbe intakt zu halten.“
Wie feiern die Museen ihren 500.
Geburtstag? In einem Monat wird das neu gestaltete Museo Cristiano wieder eröffnet.
Es bietet antike Stücke christlicher Kunst aus den Katakomben. Im Juni öffnet die
Abteilung für China, Japan, Korea Tibet und die Mongolei. Die Exponate dokumentieren
die indigenen Religionen und die Einflüsse des Christentums. Im Herbst machen die
Museen einen neu entdeckten Abschnitt einer antiken Totenstadt am nördlichen Rand
des Vatikans für Besucher zugänglich. Und im November ist eine große Schau über die
Inventarnummer Eins geplant: Laokoon mit Söhnen und Schlangen. (16.02.06 gs)