Der so genannte Sozialkatechismus der Kirche ist jetzt auch auf deutsch zu haben.
Der Mainzer Bischof und Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl
Lehmann, stellte das Handbuch der kirchlichen Soziallehre heute vor. Es wurde vor
anderthalb Jahren vom vatikanischen Friedensrat herausgegeben und liegt schon in
mehreren anderen Sprachen vor. Hier ist die Ansprache von Kardinal Lehmann bei der
Vorstellung des Buches. "Es ist mir eine Freude, heute die deutsche Übersetzung
des „Kompendium der Soziallehre der Kirche“ der Öffentlichkeit vorstellen zu können.
Das Kompendium wurde nach fünfjähriger Vorarbeit am 25. Oktober 2004 vom Päpstlichen
Rat Justitia et Pax in Rom herausgegeben und erschien zunächst in italienischer und
englischer, vor kurzem auch in französischer und spanischer Sprache. Das Buch ist
„Papst Johannes Paul II., Magister der Soziallehre, Zeuge für das Evangelium der Gerechtigkeit
und des Friedens“ gewidmet. Es war Papst Johannes Paul II., der – ähnlich wie
im Fall des Katechismus der Katholischen Kirche – den Anstoß zu diesem „Sozialkatechismus“
gab. In seinem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Ecclesia in America (1999) hatte
er eine umfassende und systematische Zusammenstellung der Soziallehre der Kirche angeregt.
Er sprach dort auch von einem „Katechismus der Katholischen Soziallehre“ (Nr. 54,
vgl. den ganzen Text im Anhang). In seinen ungezählten Begegnungen mit den Menschen
in der ganzen Welt war dem Papst bewusst geworden, wie gewaltig die sozialen Fragen
und Herausforderungen sind, vor denen die Menschheit steht, und wie dringend man auf
verlässliche Orientierung zu ihrer Lösung angewiesen ist. Er war überzeugt, dass die
Soziallehre der Kirche dazu einen wichtigen Beitrag leisten könne, wie dies das Zweite
Vatikanische Konzil in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes und in anderen Texten
betont hatte (vgl. z. B. GS 92, AA 31, UR 6, IM 15). Wie aber konnte das Wissen
um diese Soziallehre verstärkt und verbreitet werden? Selbst in Ländern wie Deutschland,
in denen mein großer Vorgänger auf dem Mainzer Bischofsstuhl W. E. von Ketteler –
eben in der Enzyklika Deus caritas est von Papst Benedikt XVI. eigens genannt (vgl.
Nr. 27) – das soziale Gewissen der Katholiken wachzurütteln suchte, und wo die Katholische
Soziallehre lange Zeit eine breite Zustimmung erhielt, ist das Wissen um sie geringer
geworden. Dies liegt auch daran, dass zwar die Texte der Sozialenzykliken – zum Teil
in verschiedenen Übersetzungen und Ausgaben – vorhanden sind, eine Zusammenschau der
lehramtlichen Aussagen der Kirche aber fehlte. Die Vielfalt der vorhandenen Texte
hat auch die internationale Zusammenarbeit sowohl auf wissenschaftlicher als auch
auf praktischer Ebene nicht gerade erleichtert. Das Kompendium ist in drei Teile
mit zwölf Kapiteln und insgesamt 583 Nummern gegliedert. Neben der Einleitung, die
das Ziel und die Bedeutung des Werkes beschreibt, geht der erste Teil auf die Frage
nach dem theologischen Ort der Soziallehre und ihrer Zuordnung zum Sendungsauftrag
der Kirche ein (I.). Dann folgen die Kapitel über die Grundlagen und Prinzipien der
Katholischen Soziallehre (II.). Eindrucksvoll werden das christliche Menschenbild
als das personale Fundament der Soziallehre herausgearbeitet und die beiden Erkenntniswege:
der Glaube und die Vernunft, die Offenbarung und das Naturrecht bekräftigt (III.).
Auffallend ist, dass bei den Prinzipien (IV.) an erster Stelle das Gemeinwohl steht
und an zweiter Stelle der Grundsatz von der Gemeinbestimmung der irdischen Güter.
Danach geht es um die Grundsätze der Subsidiarität, der Solidarität und die Grundwerte
des sozialen Lebens. Im zweiten Teil werden wichtige Einzelthemen behandelt: Ehe und
besonders Familie (V.), Arbeit (VI.), Wirtschaft (VII.), Politik (VIII.), Internationale
Gemeinschaft (IX.), Umwelt (X.) und Frieden (XI.). Dieser Teil zeichnet sich dadurch
aus, dass der jeweilige Sachverhalt immer unter den entsprechenden Wertperspektiven
gesehen wird. Nirgends gewinnt man den Eindruck, es handele sich um eine soziologische,
ökonomische oder politologische Abhandlung, der noch ein christliches Etikett aufgesetzt
wurde. Es ist wirklich Katholische Soziallehre, was das Kompendium bietet. Der dritte
Teil (XII.) befasst sich mit der Frage, wie die Orientierungen das Handeln der Gläubigen
inspirieren können und sollen, besonders im Blick auf die Laien. Der Schluss erörtert
kurz, was eine Gesellschaft der Liebe bestimmt. Das Kompendium bietet einen umfassenden
Überblick über die kirchliche Soziallehre. Es ermöglicht uns, die sozialen Fragen
unserer Zeit anzugehen, die in ihrem Zusammenhang betrachtet werden müssen, weil sie
sich als immer stärker miteinander verflochten erweisen, einander gegenseitig bedingen
und die Menschheitsfamilie mehr denn je betreffen. Die Grundsätze erhellen einander,
weil sie die christliche Anthropologie zum Ausdruck bringen, die aus der Offenbarung
der Liebe Gottes zur menschlichen Person und damit auch zur Gemeinschaft erwächst.
Allerdings befinden sich die sozialen Verhältnisse in ständigem Wandel, weshalb immer
neu über sie nachgedacht werden muss (vgl. Nr. 9). Das Kompendium richtet sich
auch an die Gläubigen in den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, an die
Angehörigen anderer Religionen und an alle Männer und Frauen guten Willens, die sich
für das Gemeinwohl einsetzen. Es soll den Dialog zugunsten der Gerechtigkeit, der
Brüderlichkeit, des Friedens und der Entwicklung der menschlichen Person verstärken
(vgl. Nr. 12). Eine große Hilfe ist das sich an den Text anschließende „Register“.
Daraus werden zunächst die vielen Verweise auf die Heilige Schrift (Altes und Neues
Testament) ersichtlich, ebenso die zahlreichen Quellen in den Konzilien, den Sozialenzykliken,
den Schreiben und Ansprachen der Päpste, im Katechismus der Katholischen Kirche und
in den Verlautbarungen anderer kirchlicher Stellen. Man findet rasch die Fundorte
für die wichtigen Aussagen, die auch schon in den 1232 Anmerkungen gesammelt sind.
Ein ausführliches Sachregister von über 150 Seiten ist angefügt. Die umfassende Orientierung
ist damit sehr erleichtert. Ich hoffe, dass die deutsche Ausgabe des Kompendiums
eine große Verbreitung in Deutschland und in anderen deutschsprachigen Ländern findet.
Damit verbindet sich mein Wunsch, dass die Soziallehre der Kirche wieder stärker bekannt
wird und dazu beiträgt, neue Wege der Gerechtigkeit und der Solidarität zu entdecken,
um den gewaltigen sozialen Herausforderungen unserer Tage begegnen zu können und zu
einer menschenwürdigen und menschenfreundlichen Gesellschaft beizutragen. Viele
Themen werden durch das Kompendium neu in das Gespräch gebracht. Dies gibt Anregungen
für eine schöpferische Beschäftigung mit aktuellen Problemen, die von Fragen, wie
z. B. das Recht auf Arbeit bis zur Umweltethik reichen. Das Verhältnis von Theologie
und katholischer Soziallehre wird neu thematisiert werden. Dies befruchtet den ökumenischen
Dialog zu diesen Grundfragen. Auch das Verhältnis zur säkularen Sozialethik kommt
wieder auf die Tagesordnung. Immer wieder wird der enge Zusammenhang mit der Evangelisierung
aufgezeigt. Dies ist ein neuer Aspekt der Soziallehre. Am Schluss steht vielfältiger
Dank. Wir danken dem Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden für die Erarbeitung,
besonders S. Em. Präsident Renato Raffaele Kardinal Martino und seinem 2002 verstorbenen
Vorgänger, Kardinal François-Xavier Nguyên Van Thuân. Wir haben in Frau Dr. Gabriele
Stein eine ausgezeichnete Übersetzerin gefunden. Prof. P. Dr. Dr. Anton Rauscher SJ
hat den Text von der Fachwissenschaft und der klassischen Gestalt der Katholischen
Soziallehre her nochmals gegengelesen. Als langjähriger Professor für Christliche
Gesellschaftslehre an der Universität Augsburg, als Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen
Zentralstelle in Mönchengladbach, als Schüler von Prof. P. Dr. Gustav Gundlach SJ
und als ein Mann mit vielen internationalen Erfahrungen und Beziehungen ist er eine
Gewähr für die Kompatibilität unserer Übersetzung mit der Tradition und Gegenwart
der Katholischen Soziallehre in den anderen Sprachen. Schließlich danken wir dem
Verlag Herder, dem Verleger Herrn Manuel Herder und Herrn Lektor Dr. Bruno Steimer
für die Betreuung und Publikation des Werkes. Dr. Rainer Ilgner, Stellvertreter des
Sekretärs der Deutschen Bischofskonferenz, hat von unserer Dienststelle aus die Veröffentlichung
kundig begleitet. Unsere Pressestellen haben diese Präsentation vorbereitet. Ich
danke allen Beteiligten und wünsche dem „Kompendium“, wenn es ab 8. Februar 2006 im
Buchhandel ausgeliefert wird, im ganzen Sprachgebiet in Gottes Segen einen guten Erfolg.
Mainz/Bonn, 1. Februar 2006"