2006-01-29 10:09:23

Schweiz: Theologin Hallensleben, "Kirche ist nicht leibfeindlich"


RealAudioMP3 Papst Benedikt hat mit seiner Enzyklika "Deus Caritas est" den Vorwurf an die Kirche, sie sei leibfeindlich, entkräftet. Das glaubt die deutsche Theologin Barbara Hallensleben. Die in Fribourg lehrende Dogmatikerin ist auch Mitglied in der Internationalen Theologischen Kommission des Vatikans. Hier ist der Text ihres Interviews mit Radio Vatikan.

1. Kann das Thema „Liebe" als Thema einer Antrittsenzyklika überraschen?

 
Im Hinblick auf den Papst: Nein, es war damit zu rechnen, dass er etwas Wesentliches ansprechen würde: aus seiner tiefen Theologie und einem wirklichen Drängen, den Menschen etwas sagen zu wollen, was sie angeht und ihnen in ihrem Alltag als Christen hilft. Meine eigene Erfahrung und die Erfahrung anderer, die in einer Audienz waren, ist: Der Papst schaut die Menschen an, wenn er mit ihnen spricht. Es geht eine Wärme von ihm aus. Von dieser Art ist auch die Enzyklika.

2. Wo ordnen Sie die Bedeutung von „Deus Caritas est" ein?

 
In der Geschichte des Christentums verbinden sich immer zwei Ausdrucksweisen: eine aufbauende und eine abgrenzende. Seit der Kirchenspaltung der Reformationszeit hat in der Westkirche die abgrenzende Redeweise den Vorrang gehabt. Daraus wurde eine konfessionelle, eine verurteilende Theologie. Vor kurzem habe ich die Enzyklika „Humani generis" von Papst Pius XII. aus dem Jahre 1950 neu gelesen. Dort überwiegt die Abwehr des Irrtums, überall werden Angriffe auf den Glauben und Irrlehren gesehen und verurteilt. Das II. Vatikanische Konzil hat diese Einseitigkeit korrigiert und wieder den ursprünglichen Vorrang der aufbauenden Sprechweise des Glaubens betont. In diesen Spuren geht Papst Benedikt XVI. entschieden weiter. Die Theologie nennt das die doxologische Dimension des Glaubens: das Lob Gottes, das Gebet, der Gottesdienst steht im Mittelpunkt. Das hat eine eminent ökumenische Bedeutung: Wo wir den Ausdruck unseres Glaubens nicht mehr gegeneinander formulieren, sondern gemeinsam die Mitte zu bezeugen versuchen, finden wir auch zur Einheit untereinander.

3. Gelingt es seiner Enzyklika, den Vorwurf der Leibfeindlichkeit zu entkräften?

 
Der erste Teil der Enzyklika greift eine theologische Debatte auf, die durch den lutherischen Theologen Anders Nygren entfacht wurde, der in den 30er Jahren eine Studie mit dem Titel „Eros und Agape" veröffentlichte. Darin ging es um die Frage, ob die erotische Dimension im Christentum einen Platz hat oder ob die christliche Agape eine blutleere Wirklichkeit in einer Sonderwelt, Nebenwelt, Gegenwelt darstellt. Die Enzyklika bietet für diese Frage eine eigene, mutige Lösung, indem Eros und Agape als zusammengehörig betrachtet werden, sogar in Gott selbst.

Den Vorwurf der Leibfeindlichkeit kann man dadurch nicht ein für allemal entkräften. Das Wichtige ist, dass der Papst zeigt, weshalb und wie die immer wieder auftauchende Leibfeindlichkeit aus der Mitte des Glaubens selbst zu korrigieren ist.
Der Papst geht nicht auf die viel diskutierten Extremfälle ein, sondern erinnert an die Kostbarkeit meiner alltäglichen leibhaftigen Existenz: Glauben wir, dass unser Leib an unserer Gottebenbildlichkeit teilhat, und was heißt das? Wie wende ich mich leibhaft dem Menschen zu, der mir begegnet? Wie schaue ich ihn an? Sehe ich im anderen „sein inneres Warten auf einen Gestus der Liebe"?, wie der Papst an einer Stelle formuliert, die ganz unscheinbar ist, aber mich besonders beeindruckt hat.

4. Wo liegt Papst Benedikts Auftrag an Kirchenleute bzw. „an alle Christgläubigen"?

 
Man könnte am Ende fragen: Brauche ich eigentlich den Papst, um mir zu sagen, dass die Liebe das Herz des Glaubens und der Kirche ist? Und ich könnte spontan antworten: Nein, ich brauche ihn nicht, denn jede Sonntagsmesse, jedes Gebet, jedes Lesen in der Heiligen Schrift enthält ja dieselbe Inspiration. Auf der anderen Seite kann ich mich gerade darüber freuen: Hier ist nicht ein Papst, der mich von oben herab belehrt oder mir Vorschriften in diesem oder jenem Bereich machen will. Hier ist ein Papst, der mich in dem anspricht, was wir alle mit ihm gemeinsam haben: unsere heutige Welt zu deuten und zu gestalten im Licht der Liebe Gottes in Jesus Christus. Wir brauchen als Menschen immer eine Vergewisserung im Wesentlichen, und wir sind froh, wenn jemand da ist, der das, was uns im Tiefsten verbindet, ab und zu mit Bescheidenheit und zugleich mit Ernst ausspricht. Gestern sagte mir am Telefon ein Pfarrer: Ein älterer Mann, nicht besonders kirchlich gebunden, erzählte, dass er übermorgen zu einer schweren Operation ins Krankenhaus müsse. Der Pfarrer antwortete spontan: Gut, dann komme ich morgen und gebe ihnen die Krankensalbung. In demselben Moment war er über seine Kühnheit erschrocken, weil es sich ja nicht um ein „gutes Gemeindemitglied" handelte. Doch es stellte sich heraus, dass der Kranke dankbar zustimmte und sagte: Ich hätte selbst nicht daran gedacht oder jedenfalls nicht gewagt, das auszusprechen. Aber es ist gut, dass Sie das gesagt haben. Kommen Sie nur ... Der Papst will uns dazu ermutigen, das „Normale" mit Liebe leibhaftig zu tun. Wenn wir das wagen, dann wird viel an Trägheit und Resignation aus unseren Gemeinden verschwinden.

(rv 28.01.2006)








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