Neun Monate nach Amtsantritt legt Papst Benedikt XVI. heute seine erste Enzyklika
vor: Deus Caritas est. Benedikts Lehrschreiben handelt nicht von Ökumene, nicht von
interreligiösem Dialog, nicht von einem anderen der Schwerpunkte, die sich für das
Pontifikat abgezeichnet hatten. Sondern sie handelt von Caritas. Frage an Österreichs
Caritas-Präsidenten Franz Küberl: Überrascht Sie das?
"Mich freut es. Weil
der Papst klar formuliert: Die Liebe Gottes zu den Menschen ist ungeteilt. Und aus
dieser Liebe gibt es sehr klare Konsequenzen für jene Menschen, die das Bodenpersonal
des Hergotts sind. Und es wird auch klar - und das freut mich auch für das Pontifikatsverständnis
von Benedikt, dass er ein Bild von einer Welt hat, das so ist, dass diese Welt von
der Liebe durchtränkt sein soll. Und Liebe hat immer mit Gerechtigkeit zu tun."
In
anderen Teilen der Welt treten die Oberhirten teils sehr beherzt gegen gesellschaftliche
Missstände auf. Wünschen Sie sich von Europas Bischöfen mehr Einsatz für soziale Gerechtigkeit?
"Ich denke, es wäre wichtig, dass die Oberhirten in Europa und mit ihnen die
ihnen anvertrauten Katholiken sich mehr in das einüben, dass soziale Gerechtigkeit
etwas ist, das tagtäglich zu erringen ist. Aber gleichzeitig heißt soziale Gerechtigkeit
auch, dass wir einen Blick für eine Zukunft der Gesellschaft haben, in der diese soziale
Gerechtigkeit so gestaltet ist, dass ALLE Menschen das Gefühl haben, geliebt zu sein
und mit in der Mitte dieser Gesellschaft zu sein."
Wer Caritas betreibt, aber
dabei ohne Liebe zum Nächsten ist, verliert auch die Liebe zu Gott, schreibt Benedikt
im ersten Teil der Enzyklika. Wie sehen Sie als Praktiker der christlichen Nächstenliebe
diese Aussage?
"Da ist eine Wurzel angesprochen, von der abhängt, ob man genug
Halt im Leben hat. Der entscheidende Punkt ist, dass ich in der Lage bin, bei jedem
Menschen - egal ob er ein Obdachloser, ein Flüchtling oder ein Parlamentspräsident
ist - in der Lage bin, das was ihn ausmacht, das was er kann, das war ihm Gott an
Charismen, an Fähigkeiten gegeben hat, klar zu erkennen. Zu erkennen, dass der Herrgott
sich in diesen Menschen eingeprägt hat. Und dass es darum geht, diese Skizze wachzukriegen.
Ich glaube, ohne dass man einen Menschen mag, kann man ihm auch nicht helfen. Und
ich glaube auch umgekehrt, ohne dass ein Mensch gemocht wird, lässt er sich auch nicht
helfen."
Tut die Kirche genug für Gerechtigkeit, tut sie genug an materieller
Nächstenliebe?
"Nein - die Kirche kann nicht genug tun, um die Nächstenliebe
auch als Gemeinschaft aufzunehmen und klar umzusetzen. Denken Sie daran, dass wir
in den reichen Teilen der Welt enorm viel Armut haben. Und das ist wohl auch eine
Frage der Liebe, ob ich die Menschen mag, um die es hier geht, die sehr stark an den
Rand der Gesellschaft gedrängt sind. Und wenn wir an den Süden der Welt denken, dass
850 Menschen hungern und entsetzlich leiden, dann kann das nicht der Ausdruck von
Liebe sein zu sagen: das ist eben so. Ich glaube, das was die Enzyklika und was Benedikt
will, schon ein klarer Aufruf ist; krempelt die Ärmel auf. Zeigt, dass ihr die Menschen
wirklich mögt - aber das müsst ihr auch im Tun zeigen."
Kirchenferne respektieren
oft den sozialen Einsatz der Kirche, selbst wenn sie wenig mit den katholischen Glaubenssätzen
anfangen können. Sehen Sie in der Tatsache, dass Benedikt seine Antrittsenzyklika
dem katholischen Wohlfahrtswesen widmet, einen Versuch des Papstes, wieder mehr Leute
ins Boot zu holen?
"Ich kann aus der Erfahrung als Caritas-Verantwortlicher
nur sagen, dass die Caritas zum einen selbst Kern von Kirche ist - sie ist aber gleichzeitig
auch Vorhof von Kirche. Wo Menschen sich in bester Weise nähern können und das Gespür
kriegen können, wie man - eben weil es darum geht, Menschen beizustehen - zusammenarbeitet.
Und die Caritas ist ganz offen gestanden sehr oft auch der letzte seidene Faden, der
manche bei der Kirche hält. Zusteigen oder noch nicht aussteigen. Alles gehört dazu,
dass die Chance da ist, um die es wirklich geht: Die Botschaft, dass jeder Mensch
ein von Gott geliebter Mensch ist und daher das Recht hat, von den anderen Menschen
geliebt hat, umgesetzt werden kann." (rv 25.01.06 gs)