Der Papst auf dem Prüfstand. So könnte man die Zeit bis zur Veröffentlichung dieser
ersten Enzyklika nennen. Vor allem die Landsleute nördlich der Alpen saßen neun Monate
auf der Lauer mit der Frage: wann wird sich der Panzerkardinal endlich in aller seiner
Härte zeigen. Und nun mögen manche sagen: Jetzt nun spricht er nur von der Liebe.
Ist da irgendetwas neu? Wussten wir das nicht alles längst? Ich nenne nur zwei
Akzente, die mir wichtig scheinen: Mann und Frau sind für einander geschaffen. Sie
können einander eine Ahnung von Gott geben. Verderbt das nicht durch Sex und Erotik.
Liebt einander, aber wachst in der Liebe, bleibt nicht pubertär, denn Gott will Euch
als große Liebende. Denn Gott hat sein Volk Israel geliebt wie ein Bräutigam seine
Braut, er liebt sein Volk auch heute. Gott ist eifersüchtig in seiner Liebe. Lassen
wir uns von seiner Liebe umarmen und schenken der Welt diese Liebe. Sie braucht sie
bitter. Denn es gibt zu viele Prediger des Hasses und zuviel Gewalt gegen den Hass.
Und das zweite: Die Kirche muss die Liebe Gottes durch ihre Liebestätigkeit in
der Welt sichtbar machen. Denn auch wenn sich ein Staat noch so sehr um soziale Gerechtigkeit
mühte, so bleiben doch immer Menschen am Wegrand liegen. Sie brauchen Arme, die sich
ihnen zustrecken, Augen die sich ihnen zuwenden und ein Herz, das Anteil nimmt. Die
Kirche gibt sich selber auf, wenn sie nicht mehr Barmherzigkeit übte. Caritas darf
nie eine Technik werden, sie muss immer Zeugnis sein für die Liebe Gottes. Ich meine,
dass diese Enzyklika in vorzüglicher Weise zeigt, dass es ein völliger Unsinn ist,
immer zu fragen, ob diese Papst konservativ oder progressiv ist, ob er liberal ist
oder streng. Diese Fragen waren immer dumm und werden es bleiben. Wir müssen heraus
aus den falschen Fragen und dürfen die Zeitungen nicht lesen, die solche stellen.
Vielleicht lernen ja auch Journalisten langsam und sei es vom Papst.
P. Eberhard
v. Gemmingen SJ, Leiter von Radio Vatikan (dt.)