Eine der bedeutendsten
Musiksammlungen Europas ruht im Vatikan. Bloß: Keiner weiß es. Denn die Musikbestände
der Vatikanischen Bibliothek sind zum Großteil nicht katalogisiert. Papst Benedikt
XVI. hat nun einen deutschen Musikwissenschaftler damit beauftragt, Ordnung ins Gewirr
der jahrhundertealten Bestände zu bringen. Adalbert Roth aus Frankfurt a.M. ist seit
vergangener Woche „Scriptor Latinus“, zu deutsch: Lateinschreiber an der vatikanischen
Bibliothek.
Roth arbeitet seit fünf Jahren im Vatikan. Die Bestellung zum
Skriptor Latinus kam für den 52jährigen überraschend, auch wenn er wusste, dass die
aus allen Nähten platzende Bibliothek zu wenige Skriptoren hatte: Laut Statut sollten
es elf sein – mit Roth sind es fünf.
Das Amt des Skriptoren gibt es seit dem
16. Jahrhundert. Ihre Aufgabe war es damals, Handschriften abzuschreiben und zu ergänzen.
Heute sind Skriptoren, erklärt Roth, „wissenschaftliche Bibliothekare: Unsere Hauptaufgabe
ist es, Hilfsmittel wie Kataloge Inventare usw. zu erstellen. Daneben wird von uns
wissenschaftliche Arbeit verlangt.“
Um Musikalien-Kataloge ist es an der renommierten
päpstlichen Bibliothek trist bestellt: Es hat nie welche gegeben. Adalbert Roth ist
tatsächlich der erste Musikwissenschaftler, den sich der Vatikan leistet, um seine
eigenen Bestände zu sichten. Die Herausforderung liegt darin, dass die Musik-Bestände
quer über die verschiedenen Sammlungen der Bibliothek verstreut sind.
„Zigtausend
Handschriften und Drucke sind das - zigtausende. Wie viele Tausend, das kann ich Ihnen
gar nicht sagen.“
Das Herzstück des vatikanischen Musikbestandes bildet das
Archiv der so genannten Cappella Sistina, also des Papst-Chores, der in der sixtinischen
Kapelle bei Papstmessen sang. Adalbert Roth: „Die Cappella Sistina war die tonangebende
Institution der katholischen Kirche. Wenn wir heute von „a cappella“ sprechen, heißt
das: nach Art der päpstlichen Kapelle. Und hier haben wir – das ist ganz einzigartig
– das Repertoire einer Institution für ein halbes Jahrtausend heute noch unter einem
Dach.“
Wie sich die Gesänge dieses päpstlichen Chores in der Sixtina vor 500
Jahren anhörten, vermag Roth nicht zu sagen. Einspielungen interessieren ihn wenig;
in seinem engen Büro steht kein CD-Player. Dafür hängt da ein alter Stich: Eine Innenansicht
der vollbesetzten Sixtina, mit Michelangelo-Fresken, einem dem Gottesdienst vorsitzenden
Papst, Kurienleuten und – natürlich – den Sängern, die auf ihrer Empore stehen.
Adalbert
Roth hat einen Traum: Die Rekonstruktion einer solchen historischen Papstmesse in
der Sixtina – originalgetreu bis ins Detail.
„Das läuft in meinen Augen ab
wie Fetzen eines Films, es gibt ja auch eine genaue Choreographie. Vor allem hängen
meistens noch die Teppiche! Man müsste auch die Raffael-Teppiche aufhängen, und ob
da das Museum mitspielt, weiß ich nicht! (rv 12.01.06 gs)