Österreich begeht mit dem morgigen 1. Jänner nicht nur den Weltfriedenstag und das
Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker - es übernimmt auch seine zweite EU-Ratspräsidentschaft.
Die Kirche muss diesen Vorgang kritisch begleiten, sagte uns Österreichs EU-Bischof
Egon Kapellari. Dabei sei die Alpenrepublik bei manchen strittigen Themen wie Einwanderungspolitik
und Gentechnik besser dran als andere EU-Staaten.
"Wir sind sensibel in
der Bevölkerung gegen eine Doktrin von zu offenen Grenzen. Österreich hat sehr viele
Menschen aus anderen Ländern aufgenommen, seit Kriegsende, und in aller Regel freundlich
- hat aber jetzt Angst bekommen vor zu offenen Grenzen und angeblich und wirklich
davon ausgelöster Arbeitslosigkeit. Man muss von seiten der EU und der Regierung Vorhaben
bezüglich Einwanderung genauer klären, um einen Bürgerkonsens zu erreichen."
Die
meisten der Themen, über die Europa im nächsten Halbjahr streiten wird, stehen bereits
fest. Eines von ihnen ist das nächste Forschungs-Rahmenprogramm. Dabei geht es etwa
um die Finanzierung von ethisch umstrittenen Wissenschaftszweigen wie die Forschung
an embryonalen Stammzellen. Bischof Kapellari warnt vor einer Aufwichung moralischer
Grundstandards.
"Man muss das befürchten, wenn man die bisherige Geschichte
anschaut, wie sie vor allem in England un anderen westlichen Staaten betrieben wurde.
Bisher hat Österreich einen Damm gebaut gegen diese Grenzüberschreitungen, aber Österreich
war eines von wenigen Ländern, die das gemacht haben. Ich hoffe, die Rahmengesetzgebung
wird uns nicht dazu zwingen, diesen Damm abzubauen. Die öffentliche Meinung ist sicher
nicht für eine Öffnung von Grenzen, die wir halten wollen."
Zur Frage der
EU-Erweiterung haben Österreichs Bischöfe keine gemeinsame Meinung. Der Salzburger
Erzbischof Alois Kothgasser etwa befürwortet grundsätzlich einen Beitritt der Türkei
- Bischof Kapellari ist da skeptischer.
"Österreich ist sehr freundlich
zu Kroatien. Zur Türkei haben wir sehr gute Beziehungen, aber die Bevölkerung will
in größer Mehrheit keinen Vollbeitritt der Türkei zur europäischen Union - und ist
damit eins mit der Bevölkerung der meisten EU-Staaten. Wenn die Regierung und die
EU das nicht beachten, gibt es große Opposition in der Bevölkerung."
Der
Vorsitzende der österreichischen Bischofskonferenz, Kardinal Christoph Schönborn von
Wien, unterstrich die große Herausforderung für Österreich durch die EU-Präsidentschaft.
Viele Menschen seien von der Entwicklung Europas enttäuscht und erwarteten sich nicht
mehr allzu viel von diesem Friedensprojekt, so der Kardinal in seiner Fernsehansprache
zum Jahreswechsel. Doch gerade Österreich habe in dieser Situation eine große Verantwortung
als "Brückenland im Herzen Europas". (rv/kap 31.12.05 gs)