Die EU-Kommission hat gestern ihre Fortschrittsberichte zu den Kandidatenländern vorgelegt.
Das Urteil über die Türkei fällt sehr kritisch aus. Beobachtet wurden u.a. anhaltende
Menschenrechtsverletzungen, Folterungen und Nichtbeachtung der Religionsfreiheit für
Nicht-Muslime. Die EU hält dennoch am mittelfristigen EU-Beitritt der Türkei fest,
obwohl über die Hälfte der EU-Bürger dagegen ist. In Österreich sind die Ablehnungswerte
– gleichauf mit Zypern – am höchsten: 80 Prozent wollen die Türkei nicht als EU-Mitglied
sehen. Österreichs Europabischof Egon Kapellari:
„Wir wollen als Land Österreich
und als Kirche Österreich zur Türkei ein freundschaftliches Verhältnis haben, ich
bin aber überzeugt, dass es ausreichen würde, dass die EU zur Türkei eine qualifizierte,
vieldimensionale Verbindung hat, die schon existiert und die man noch ausbauen kann.
Umgedreht halte ich dafür, dass die Öffnung der EU, die schon jetzt Gleichgewichtsprobleme
hat, zu so einem großen Raum mit einer so großen Bevölkerung wie der Türkei eine Destabilisierung
sondergleichen bedeuten würde. Und ich halte es für sehr bedenklich, wenn Regierungen
so vieler Staaten auf die Mehrheiten ihrer Bevölkerung nicht achten.“
Anders
liegen die Dinge für Kroatien. Laut Kommissionbericht halten zwar die Spannungen zwischen
religiösen Gemeinschaften an. Generell wahre Kroatien aber das Recht auf Religionsfreiheit.
Österreich war federführend daran beteiligt, die Aufnahme des katholischen Landes
zu beschleunigen.
„Es war geradezu absurd, Kroatien nicht aufnehmen zu wollen,
während man für die Türkei über alle möglichen Mängel hinwegsehen wollte. Kroatien
ist ein kleines Land, es ist katholisch geprägt – das war wohl mit ein Grund bei manchen
Kräften in westlich-laizistischen Ländern, Kroatien auf die Hinterbank zu schieben.
Auf die Dauer geht das nicht.“
Die Österreichischen Verhandler haben im Oktober
durchgesetzt, dass das Prinzip der „Aufnahmefähigkeit“ der EU bei zukünftigen Beitritten
wieder eine Rolle spielen muss. Oft bleibt dieses Prinzip auf wirtschaftliche Faktoren
beschränkt. Kapellari meint, dass die EU auch eine begrenzte kulturell-religiöse Aufnahmefähigkeit
hat.
„Sicher stellt sich auch die Frage der kulturellen Gesamtidentität, die
unter ihrem Schirm, unter ihrem Baldachin eine Menge Pluralismus verträgt und schon
hat; dass eine Gesamtidentität erhalten bleibt, die auch die Achtung der Menschenrechte
garantiert, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern schon ernsthaft, dass die nicht
gefährdet wird.“
Österreich übernimmt am 1. Jänner kommenden Jahres die EU-Ratspräsidentschaft.
Die Bischöfe wollen in der Zeit das „Projekt EU“, so Kapellari, „mit kritischem Wohlwollen“
begleiten. (rv 10.11.05 gs)