Moslems gegen christliche Kopten - zu diesem Szenario kam es jetzt in der ägyptischen
Hafenstadt Alexandria. Nach dem Freitagsgebet demonstrierten aufgebrachte Moslems
vor einer koptischen Kirche; der Scheich der islamischen Al-Azhar-Universität und
der koptische Papst Shenuda rufen jetzt gemeinsam zu einem Ende der Gewalt auf. Untergründig
gibt es schon immer Spannungen zwischen der islamischen Mehrheit und den Kopten, die
rund zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung stellen, sich aber als die echten Nachfahren
des Pharaonenvolkes ansehen. Die Kopten fühlen sich sozial und beruflich benachteiligt;
vor allem in Mittelägypten kommt es zu mitunter blutigen Auseinandersetzungen. Zuletzt
starben 1999 in einem Dorf im Nildelta 22 Menschen bei religiös motivierten Kämpfen. Und
jetzt Alexandria. Die entspannte Mittelmeer-Stadt, von Alexander dem Großen gegründet,
hat eine lange Tradition der Weltoffenheit: Hier stand die berühmteste Bibliothek
der Antike, hier steht seit wenigen Jahren ein Nachfolger-Bau, der an die alte Tradition
anzuknüpfen sucht, und hier war über Jahrtausende griechischer Geist spürbar. In Alexandria
kam es jetzt zu aufgebrachten Protesten von Moslems gegen ein christliches Theaterstück,
das unter anderem islamischen Fundamentalismus darstellt. Bei Zusammenstößen mit der
Polizei vor einer Kirche flogen Gummigeschosse, mindestens drei Menschen starben,
etwa 60 wurden verletzt, der Staatsanwalt ermittelt. Zuvor hatte ein Moslem eine koptische
Ordensfrau und einen weiteren Kopten niedergestochen. Das umstrittene Theaterstück
heißt: "Ich war blind, aber jetzt kann ich sehen" - es wurde vor ein paar Jahren von
Jugendlichen in einer Kirche aufgeführt und kursiert seitdem als Film. Das Stück schildert,
wie ein Kopte zum Islam konvertiert, in der neuen Religion mit Fundamentalisten zusammenstößt
und dann wieder zum Christentum zurückfindet. Warum die Aufregung jetzt kommt, obwohl
das Stück schon älter ist - schwer zu sagen. Manche sehen einen Zusammenhang mit den
Parlamentswahlen vom November. Nach dieser Version nährt jetzt die verbotene islamistische
"Muslimbruderschaft" den religiösen Haß, um Stimmen für ihr nahestehende Kandidaten
einzufangen. Hinter den Muslimbrüdern, die u.a. den Mord am früheren Staatschef Anwar
el-Sadat auf dem Gewissenhaben, stehen angeblich bis zu 20 Prozent der Bevölkerung.
Generell ist Ägypten in letzter Zeit unsicherer geworden; Präsident Hosni Mubarak
hat auf Druck der USA Parteien und Demonstrationen im Umfeld der jüngsten Präsidentenwahlen
zugelassen, das hat die Stimmung im Land politisch aufgeheizt. Die Rechnung dafür
zahlen derzeit die Kopten. Sie haben aber keine politische Lobby im Land, denn sie
dürfen keine eigene Partei gründen - sonst hätte die Regierung ja auch kaum noch ein
Argument, eine Partei der Muslimbrüder zu verbieten. Hörbar ist allenfalls eine koptische
Lobby in den USA. Papst Shenuda III. und Scheich Mohammed el-Tantawi von der Al-Azhar-Universität
haben jetzt Christen wie Moslems zu Ruhe und Toleranz aufgerufen. Gerade im Ramadan
stört die Unruhe die Kreise der auf Dialog eingeschworenen religiösen Führer, die
beide der Regierung ziemlich nahe stehen. Vor zwei Jahrtausenden kam laut Legende
die Heilige Familie auf der Flucht vor Herodes durch das heutige Kairo und machte
Rast an einem Brunnen - da, wo heute die alte koptische Kirche "el-Moallakat" steht.
Heute würde die Heilige Familie wohl nicht gerade nach Ägypten flüchten, sondern einen
anderen Weg nehmen müssen. (rv/süddeutsche/agenturen)