2005-10-24 13:22:57

Ägypten: Explosive Stimmung


Moslems gegen christliche Kopten - zu diesem Szenario kam es jetzt in der ägyptischen Hafenstadt Alexandria. Nach dem Freitagsgebet demonstrierten aufgebrachte Moslems vor einer koptischen Kirche; der Scheich der islamischen Al-Azhar-Universität und der koptische Papst Shenuda rufen jetzt gemeinsam zu einem Ende der Gewalt auf.
Untergründig gibt es schon immer Spannungen zwischen der islamischen Mehrheit und den Kopten, die rund zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung stellen, sich aber als die echten Nachfahren des Pharaonenvolkes ansehen. Die Kopten fühlen sich sozial und beruflich benachteiligt; vor allem in Mittelägypten kommt es zu mitunter blutigen Auseinandersetzungen. Zuletzt starben 1999 in einem Dorf im Nildelta 22 Menschen bei religiös motivierten Kämpfen.
Und jetzt Alexandria. Die entspannte Mittelmeer-Stadt, von Alexander dem Großen gegründet, hat eine lange Tradition der Weltoffenheit: Hier stand die berühmteste Bibliothek der Antike, hier steht seit wenigen Jahren ein Nachfolger-Bau, der an die alte Tradition anzuknüpfen sucht, und hier war über Jahrtausende griechischer Geist spürbar. In Alexandria kam es jetzt zu aufgebrachten Protesten von Moslems gegen ein christliches Theaterstück, das unter anderem islamischen Fundamentalismus darstellt. Bei Zusammenstößen mit der Polizei vor einer Kirche flogen Gummigeschosse, mindestens drei Menschen starben, etwa 60 wurden verletzt, der Staatsanwalt ermittelt. Zuvor hatte ein Moslem eine koptische Ordensfrau und einen weiteren Kopten niedergestochen.
Das umstrittene Theaterstück heißt: "Ich war blind, aber jetzt kann ich sehen" - es wurde vor ein paar Jahren von Jugendlichen in einer Kirche aufgeführt und kursiert seitdem als Film. Das Stück schildert, wie ein Kopte zum Islam konvertiert, in der neuen Religion mit Fundamentalisten zusammenstößt und dann wieder zum Christentum zurückfindet. Warum die Aufregung jetzt kommt, obwohl das Stück schon älter ist - schwer zu sagen. Manche sehen einen Zusammenhang mit den Parlamentswahlen vom November. Nach dieser Version nährt jetzt die verbotene islamistische "Muslimbruderschaft" den religiösen Haß, um Stimmen für ihr nahestehende Kandidaten einzufangen. Hinter den Muslimbrüdern, die u.a. den Mord am früheren Staatschef Anwar el-Sadat auf dem Gewissenhaben, stehen angeblich bis zu 20 Prozent der Bevölkerung. Generell ist Ägypten in letzter Zeit unsicherer geworden; Präsident Hosni Mubarak hat auf Druck der USA Parteien und Demonstrationen im Umfeld der jüngsten Präsidentenwahlen zugelassen, das hat die Stimmung im Land politisch aufgeheizt. Die Rechnung dafür zahlen derzeit die Kopten. Sie haben aber keine politische Lobby im Land, denn sie dürfen keine eigene Partei gründen - sonst hätte die Regierung ja auch kaum noch ein Argument, eine Partei der Muslimbrüder zu verbieten. Hörbar ist allenfalls eine koptische Lobby in den USA.
Papst Shenuda III. und Scheich Mohammed el-Tantawi von der Al-Azhar-Universität haben jetzt Christen wie Moslems zu Ruhe und Toleranz aufgerufen. Gerade im Ramadan stört die Unruhe die Kreise der auf Dialog eingeschworenen religiösen Führer, die beide der Regierung ziemlich nahe stehen. Vor zwei Jahrtausenden kam laut Legende die Heilige Familie auf der Flucht vor Herodes durch das heutige Kairo und machte Rast an einem Brunnen - da, wo heute die alte koptische Kirche "el-Moallakat" steht. Heute würde die Heilige Familie wohl nicht gerade nach Ägypten flüchten, sondern einen anderen Weg nehmen müssen.
(rv/süddeutsche/agenturen)







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