Bei einem festlichen Gottesdienst im Petersdom ist der frühere Bischof von Münster,
Kardinal Clemens August Graf von Galen, seliggesprochen worden. Papst Benedikt XVI.
würdigte den neuen Seligen als „Zeugen des Glaubens, der in finsterer Zeit das
Licht der Wahrheit aufgerichtet und den Mut des Widerstands gegen die Tyrannei gezeigt
hat“. Die „Einsicht in einer Zeit, in der gescheite Leute der Verblendung
verfielen“, die „Kraft zum Widerstand, in einem Augenblick, in dem auch starke
Menschen sich schwach und feige gezeigt haben“, habe von Galen aus seinem katholischen
Glauben geschöpft.
Von Galen habe „im Namen Gottes die neuheidnische Ideologie
des Nationalsozialismus“ verurteilt. Er habe die Freiheit der Kirche und die auf
schwerwiegende Weise verletzten Menschenrechte verteidigt, indem er Juden und schwache
Menschen schützte, „die das Regime als auszumerzenden Abfall ansah“, sagte
Benedikt im Anschluss an die Seligsprechung beim Angelus-Gebet.
Mehrere Tausend
Pilger waren aus Deutschland zur Seligsprechung des als Symbol für aufrechten Glauben
und Widerstand gegen die herrschende politische Macht bekannten „Löwen von Münster“
nach Rom gekommen. Sie brachen in tosenden Applaus aus, als der Präfekt der Selig-
und Heiligsprechungskongregation, Kardinal Josè Saraiva Martins im Auftrag des Papstes
die Seligsprechung vornahm. In seiner Predigt sagte der Kardinal: "In der Kirche
Santa Maria dell' Anima, der deutschen Nationalkirche hier in Rom, befindet
sich das Grab von Papst Hadrian VI., dessen Name auch deshalb in die Geschichte
einging, weil er durch viele Jahrhunderte der letzte nicht-italienische
Papst war. Auf seinem Grabmal kann man folgende Inschrift lesen: «Wie
viel hängt davon ab, in welche Zeiten die Tugend auch des besten Mannes
fällt.» Diese Grabinschrift, die sich zunächst negativ auf die widrigen
Zeitverhältnisse bezieht, in denen Hadrian VI. lebte, enthält zugleich
eine sehr positive Wertung der herausragenden Tugenden, die ihn gerade
in den ungünstigen Verhältnissen seiner Zeit auszeichneten. Nun, wenn es in der berühmten Gestalt des Kardinals Clemens August
von Galen, des Bischofs von Münster, dessen Seligsprechung uns heute mit
Freude erfüllt, eine Dominante gibt, dann ist es jene, die Tugenden eines
Christen und eines Oberhirten in hervorragender und heroischer Weise in
einer für die Kirche und für das deutsche Volk so schwierigen Zeit gelebt
zu haben. Deutschland befand sich damals unter der Herrschaft des Nationalsozialismus.
Die Diözese Münster darf sich rühmen, einen Oberhirten auf dem Bischofsstuhl
des heiligen Ludgerus gehabt zu haben, der so unerschrocken der menschenverachtenden
Ideologie und der Todesmaschinerie des nationalsozialistischen Staates
entgegen trat, dass es ihm den Titel «Der Löwe von Münster» eintrug.
Clemens August von Galen wurde am 16. März 1878 auf der Wasserburg
Dinklage im Oldenburger Münsterland geboren. In ländlicher Umgebung wuchs
er in einer großen Familie auf, die geprägt war von den kirchlichen und
sozialen Verhältnissen seiner Zeit. Nach Schulbesuch und Studium wurde
er 1904 zum Priester geweiht. Die ersten zwei Jahre war er Domvikar und
Sekretär seines Onkels, des Weihbischofs Maximilian Gereon von Galen. Eine
der größten Zäsuren in seinem Leben war wohl die Versetzung nach Berlin.
23 Jahre verbrachte er dort; es war die schwere Zeit des Ersten Weltkriegs
und der Wirren der Weimarer Republik mit ihren folgenschweren sozialen
Auswirkungen. 1929 wurde er Pfarrer an St. Lamberti in Münster. Die zweite
noch größere Zäsur in seinem Leben war die unerwartete Ernennung zum Bischof
von Münster im Herbst 1933. Galen war einer der bekanntesten Vertreter
des kirchlichen Widerstandes gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime.
Wenn wir uns fragen, woher ihm die Kühnheit kam, den Nationalsozialisten
offen zu widerstehen, mit klarer Argumentation gegen ihre Verletzung der
grundlegenden Menschenrechte aufzutreten und diese Anklage durchzuhalten,
finden wir drei Faktoren, die seine starke Persönlichkeit als Mensch, als
Gläubiger und als Bischof geformt haben. Diese drei
Faktoren sind Familie, Glaube und Politik; vergessen wir dabei aber nie,
dass die Grundhaltung des Seligen aus seinen tief greifenden christlichen
Tugenden hervorging. Clemens August stammte aus einer großen,
traditionsreichen, mit Kirche und öffentlichem Leben gleichermaßen verbundenen
Familie. Der Vater interessierte sich für die öffentlichen Angelegenheiten,
die Mutter pflegte den familiären Zusammenhalt; dieser familiäre Kontext
bot Clemens August und seinen Geschwistern eine Sicherheit und Lebensgrundlage,
die ihn später recht unvermutet weit über sich selbst und die Tradition
seines Umfelds hinauswachsen ließ. Das Leben der Familie von Galen war
traditionell sehr auf die öffentliche Verantwortung für die Mitmenschen
in Kirche und Gesellschaft ausgerichtet. Am Familientisch auf der Burg
Dinklage wurde nicht nur das familiäre Gespräch und das Rosenkranzgebet
gepflegt, sondern auch über Politik gesprochen, wozu die Tätigkeit des
Vaters als Reichstagsabgeordneter in Berlin ständig Anlass bot. Ohne Zweifel konnte Bischof von Galen das, was er tat, nur tun auf
Grund einer tiefen und zugleich sehr schlichten Spiritualität, die ganz
offensichtlich in der Eucharistie und in der Marienverehrung wurzelte.
Gewissermaßen als Gegenprogramm zu den schrillen Tönen der
Marschmusik und den hohlen Phrasen, die aus den Lautsprechern von den
Rednertribünen schallten, setzte er auf die Verehrung der heiligen Eucharistie,
auf die stille betrachtende Anbetung des zum Brot gewordenen Herrn. Vor
dem scheinbar wehrlosen und so unauffälligen Herrn, sakramental gegenwärtig
im eucharistischen Brot, fand er die Kraft und die Nahrung, die allein
bleibende Erfüllung der Lebenssehnsucht des Menschen sein kann. Die einigende
Kraft im geistlichen Leben des neuen Seligen war sein tiefer, lebendiger
Glaube, lebendig durch die Liebe, mit der er sich allen, besonders den
Leidenden, zuwandte. Seine vom Evangelium inspirierte Spiritualität verlieh
ihm auch in seiner öffentlichen Tätigkeit Transparenz. All seine Handlungen
und all seine Tugenden gingen aus seinem gelebten Glauben hervor. Schon seit Beginn seiner pastoralen Tätigkeit in Münster hatte Bischof
von Galen die menschenverachtende S-Ideologie entlarvt. Mitten in der Kriegszeit
im Sommer 1941 übte er besonders scharfe Kritik in drei Predigten vom Juli
und August jenes Jahres, die berühmt geworden sind: Er protestierte gegen
die erzwungene Schließung von Klöstern und gegen die Verhaftung von Ordensleuten.
Mit Vehemenz sprach er sich gegen die Deportation und Vernichtung von menschlichem
Leben aus, das vom Regime als «lebensunwert» bezeichnet wurde. Das Leben
geistig behinderter Menschen. Die feurigen Worte des Bischofs trafen die
Todesmaschinerie des Nationalsozialismus bis ins Mark. Seine
klaren Argumente versetzten die Machthaber in Wut und zugleich in Ratlosigkeit,
da sie auf Grund des großen Ansehens des seligen Bischofs von Münster nicht
wagten, ihn zu verhaften oder umzubringen. Nicht
angeborener Mut, nicht übertriebene Verwegenheit, sondern allein ein tiefes
Verantwortungsgefühl und der klare Blick für Recht und Unrecht haben Bischof
Clemens August dazu bringen können, diese Worte auszusprechen. Sie sind
eine Einladung, über die Strahlkraft seines Glaubenszeugnisses nachzudenken;
die Einladung, seinem Beispiel zu folgen, gilt uns, die wir in Zeiten leben,
die vielleicht weniger bedrohlich zu sein scheinen, die aber nicht weniger
problematisch sind, was die Wertung menschlichen Lebens angeht. Rückschauend auf diese Ereignisse sagte Kardinal von Galen im März
1946: «Der liebe Gott hatte mir eine Stellung gegeben, die es mir zur Pflicht
machte, das Schwarze schwarz und das Weiße weiß zu nennen, wie es in der
Bischofsweihe heißt. Ich wusste, ich durfte sprechen für Tausende, die
mit mir der festen Überzeugung waren, dass nur auf dem Boden des Christentums
auch unser deutsches Volk zum Glück, zur wahren Einigkeit und zu einer
gesegneten Zukunft gelangen konnte.» Liebe deutsche
Pilgerinnen und Pilger, voll Dankbarkeit können wir auf diese große Gestalt
Eures Landes schauen. Der selige Bischof Clemens August hat erkannt, wer
unser Gott ist und auf ihn seine ganze Hoffnung gesetzt (vgl. Jes 25,9).
Er hat sich in seinem Hirtendienst zuerst als Pfarrer und dann als Bischof
nicht geschont: er «wusste Entbehrungen zu ertragen» (Phil 4,19) und war
bereit, sein Leben hinzugeben für den Dienst am Menschen. Seiner Verantwortung
vor Gott war er sich voll bewusst. Deswegen hat der Herr ihn «aus dem Reichtum
seiner Herrlichkeit» beschenkt (Phil 4,19), von dem uns der heilige Paulus
im Brief an die Philipper spricht, den wir gerade gehört haben. Im Glauben
sind wir davon überzeugt, dass er berufen und auserwählt ist, am himmlischen
Hochzeitsmahl in der Vollendung der göttlichen Herrlichkeit teilzunehmen.
Dieses himmlische Hochzeitsmahl wird uns durch das wunderbare Gleichnis
Jesu vor Augen gestellt, das uns vom heutigen Evangelium verkündet wird
(Mt 22,1-14). Der Diözese Münster möchte ich gratulieren: Genau
in dem Jahr, in dem sie ihrer Gründung vor nunmehr zwölf Jahrhunderten
gedenkt, kann sie mit Freude und Stolz diese Seligsprechung hier, am Grab
des Apostels Petrus, feiern. Damit legt sie gleichsam ihre eigenen
apostolischen Wurzeln tiefer und verankert sich noch mehr im Lehramt des
Stellvertreters Christi, heute von Gottes Gnaden Benedikt XVI. Möge der
neue Selige der Diözese Münster Ermutigung schenken, sein reiches und immer
zeitgemäßes Erbe wach zu halten und für die Menschen von heute fruchtbar
zu machen. Auf die Fürsprache des neuen Seligen segne der Herr die Diözese
Münster und die ganze Kirche in Deutschland."
Aufgabe des Münsteraner
Bischofs Reinhard Lettmann war es, den neuen Seligen vorzustellen. Er hielt sich bei
seiner Ansprache nicht an ein vorgeschriebenes Redemanuskript: "Wir hören noch
den Nachklang des Beifalls, der aufbrauste, als Bischof Clemens August nach vorne
trat, um aus der Hand des Papstes Pius XII. die Würde und Bürde des Kardinals zu empfangen.
Augenzeugen haben mir berichtet, dass immer wieder gerufen wurde, „il leone di Münster“
– der Löwe von Münster. Er wurde 1878 auf der Burg Dinklage im oldenburgischen Teil
unseres Bistums Münster geboren. Er wuchs auf in einer großen gläubigen Familie, entschied
sich, Priester zu werden und konnte 1904 das Sakrament der Priesterweihe empfangen.
Die längsten Jahre seines priesterlichen Dienstes war er in der Gemeindeseelsorge
tätig. 23 Jahre in Berlin, 4 Jahre in Münster, dann wählte ihn das Domkapitel von
Münster zum Bischof. Seine Bischofszeit fiel in die Zeit des Nationalsozialismus.
Von Beginn an hat er unerschrocken die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus
entlarvt. 1946 wurde er zum Kardinal ernannt, wenige Tage nach seiner Rückkehr nach
Münster ist er gestorben. In der Apostelgeschichte heißt es von den Aposteln, sie
verkündigten das Evangelium mit Freimut. Der biblische Begriff der Freimut kennt zwei
Richtungen: Das frohe, gläubige Stehen vor Gott, als von Christus erlöste Menschen.
Das zeigte sich in seiner tiefen Frömmigkeit. Dieses Fundament hat es ihm möglich
gemacht, mit allem Freimut die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus
zu entlarven. Weit über Deutschland hinaus wurde er bekannt durch die drei großen
Predigten im Sommer 1941, als das deutsche Reich auf dem Höhepunkt seiner macht stand.
Diese Predigten wurden in aller Welt verbreitet. Unser verstorbener Heiliger Vater,
Johannes Paul II., hat mir erzählt, dass auch er in Krakau als junger Student diese
Predigten gelesen hat und auch weiter verbreitet hat. Freimut, das gläubige Stehen
vor Gott; Freimut, das Evangelium zu verkünden, auch gegen alle Widerstände. Er war
Bischof in einer apokalyptischen Zeit. Der Kardinal hat festgehalten an der Treue
zu Christus und an den Geboten Gottes. Das ist seine Botschaft für uns: Haltet fest
an der Treue zu Christus, ohne den Glauben zu verwässern und ihm Profil zu nehmen.
Und haltet fest an den Zehn Geboten, sie sind die Grundlage für ein Zusammenleben
der Menschen in Menschlichkeit." (09.10.05 bg)