2005-10-09 16:05:06

Dokument: Festpredigt über Kardinal Galen


"Seine feurigen Worte brachten die Todesmaschinerie der Nazis zum Stehen." Mit diesen Worten würdigte Vatikan-Kardinal Saraiva Martins heute den neuen Seligen Kardinal Galen bei der Festmesse in St. Peter. Wir dokumentieren hier seine Predigt, die er in deutscher Sprache vor tausenden von Pilgern im Petersdom hielt: "In der Kirche Santa Maria dell' Anima, der deutschen Nationalkirche hier in Rom, befindet sich das Grab von Papst Hadrian VI., dessen Name auch deshalb in die Geschichte einging,
weil er durch viele Jahrhunderte der letzte nicht-italienische Papst war. Auf seinem Grabmal kann man folgende Inschrift lesen: «Wie viel hängt davon ab, in welche Zeiten die Tugend auch des
besten Mannes fällt.» Diese Grabinschrift, die sich zunächst negativ auf die widrigen Zeitverhältnisse bezieht, in denen Hadrian VI. lebte, enthält zugleich eine sehr positive Wertung
der herausragenden Tugenden, die ihn gerade in den ungünstigen Verhältnissen seiner Zeit auszeichneten.

Nun, wenn es in der berühmten Gestalt des Kardinals Clemens August von Galen, des Bischofs von Münster, dessen Seligsprechung uns heute mit Freude erfüllt, eine Dominante gibt, dann ist es jene, die Tugenden eines Christen und eines Oberhirten in hervorragender und heroischer Weise in einer für die Kirche und für das deutsche Volk so schwierigen Zeit gelebt zu haben.
Deutschland befand sich damals unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. Die Diözese Münster darf sich rühmen, einen Oberhirten auf dem Bischofsstuhl des heiligen Ludgerus gehabt zu haben, der so unerschrocken der menschenverachtenden Ideologie und der Todesmaschinerie des nationalsozialistischen Staates entgegen trat, dass es ihm den Titel «Der Löwe von Münster»
eintrug.

Clemens August von Galen wurde am 16. März 1878 auf der Wasserburg Dinklage im Oldenburger Münsterland geboren. In ländlicher Umgebung wuchs er in einer großen Familie auf, die geprägt war von den kirchlichen und sozialen Verhältnissen seiner Zeit. Nach Schulbesuch und Studium wurde er 1904 zum Priester geweiht. Die ersten zwei Jahre war er Domvikar und Sekretär seines Onkels, des Weihbischofs Maximilian Gereon von Galen. Eine der größten Zäsuren in seinem Leben war wohl die Versetzung nach Berlin. 23 Jahre verbrachte er dort; es war die schwere Zeit des Ersten Weltkriegs und der Wirren der Weimarer Republik mit ihren folgenschweren sozialen Auswirkungen. 1929 wurde er Pfarrer an St. Lamberti in Münster. Die zweite noch größere Zäsur in seinem Leben war die unerwartete Ernennung zum Bischof von Münster im Herbst 1933. Galen war einer der bekanntesten Vertreter des kirchlichen Widerstandes gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime. Wenn wir uns fragen, woher
ihm die Kühnheit kam, den Nationalsozialisten offen zu widerstehen, mit klarer Argumentation gegen ihre Verletzung der grundlegenden Menschenrechte aufzutreten und diese Anklage
durchzuhalten, finden wir drei Faktoren, die seine starke Persönlichkeit als Mensch, als Gläubiger und als Bischof geformt haben.

Diese drei Faktoren sind Familie, Glaube und Politik; vergessen wir dabei aber nie, dass die Grundhaltung des Seligen aus seinen tief greifenden christlichen Tugenden hervorging.

Clemens August stammte aus einer großen, traditionsreichen, mit Kirche und öffentlichem Leben gleichermaßen verbundenen Familie. Der Vater interessierte sich für die öffentlichen Angelegenheiten, die Mutter pflegte den familiären Zusammenhalt; dieser familiäre Kontext bot Clemens August und seinen Geschwistern eine Sicherheit und Lebensgrundlage, die ihn später
recht unvermutet weit über sich selbst und die Tradition seines Umfelds hinauswachsen ließ. Das Leben der Familie von Galen war traditionell sehr auf die öffentliche Verantwortung für die
Mitmenschen in Kirche und Gesellschaft ausgerichtet. Am Familientisch auf der Burg Dinklage wurde nicht nur das familiäre Gespräch und das Rosenkranzgebet gepflegt, sondern auch über
Politik gesprochen, wozu die Tätigkeit des Vaters als Reichstagsabgeordneter in Berlin ständig Anlass bot.

Ohne Zweifel konnte Bischof von Galen das, was er tat, nur tun auf Grund einer tiefen und zugleich sehr schlichten Spiritualität, die ganz offensichtlich in der Eucharistie und in
der Marienverehrung wurzelte.

Gewissermaßen als Gegenprogramm zu den schrillen Tönen der Marschmusik und den hohlen Phrasen, die aus den Lautsprechern von den Rednertribünen schallten, setzte er auf die Verehrung der heiligen Eucharistie, auf die stille betrachtende Anbetung des zum Brot gewordenen Herrn. Vor dem scheinbar wehrlosen und so unauffälligen Herrn, sakramental gegenwärtig im eucharistischen Brot, fand er die Kraft und die Nahrung, die allein bleibende
Erfüllung der Lebenssehnsucht des Menschen sein kann. Die einigende Kraft im geistlichen Leben des neuen Seligen war sein tiefer, lebendiger Glaube, lebendig durch die Liebe, mit der er
sich allen, besonders den Leidenden, zuwandte. Seine vom Evangelium inspirierte Spiritualität verlieh ihm auch in seiner öffentlichen Tätigkeit Transparenz. All seine Handlungen und all
seine Tugenden gingen aus seinem gelebten Glauben hervor.

Schon seit Beginn seiner pastoralen Tätigkeit in Münster hatte
Bischof von Galen die menschenverachtende S-Ideologie entlarvt.
Mitten in der Kriegszeit im Sommer 1941 übte er besonders scharfe
Kritik in drei Predigten vom Juli und August jenes Jahres, die
berühmt geworden sind: Er protestierte gegen die erzwungene
Schließung von Klöstern und gegen die Verhaftung von
Ordensleuten. Mit Vehemenz sprach er sich gegen die Deportation
und Vernichtung von menschlichem Leben aus, das vom Regime als
«lebensunwert» bezeichnet wurde. Das Leben geistig behinderter
Menschen. Die feurigen Worte des Bischofs trafen die
Todesmaschinerie des Nationalsozialismus bis ins Mark.

Seine klaren Argumente versetzten die Machthaber in Wut und
zugleich in Ratlosigkeit, da sie auf Grund des großen Ansehens
des seligen Bischofs von Münster nicht wagten, ihn zu verhaften
oder umzubringen.

Nicht angeborener Mut, nicht übertriebene Verwegenheit, sondern
allein ein tiefes Verantwortungsgefühl und der klare Blick für
Recht und Unrecht haben Bischof Clemens August dazu bringen
können, diese Worte auszusprechen. Sie sind eine Einladung, über
die Strahlkraft seines Glaubenszeugnisses nachzudenken; die
Einladung, seinem Beispiel zu folgen, gilt uns, die wir in Zeiten
leben, die vielleicht weniger bedrohlich zu sein scheinen, die
aber nicht weniger problematisch sind, was die Wertung
menschlichen Lebens angeht.

Rückschauend auf diese Ereignisse sagte Kardinal von Galen im
März 1946: «Der liebe Gott hatte mir eine Stellung gegeben, die
es mir zur Pflicht machte, das Schwarze schwarz und das Weiße
weiß zu nennen, wie es in der Bischofsweihe heißt. Ich wusste,
ich durfte sprechen für Tausende, die mit mir der festen
Überzeugung waren, dass nur auf dem Boden des Christentums auch
unser deutsches Volk zum Glück, zur wahren Einigkeit und zu einer
gesegneten Zukunft gelangen konnte.»

Liebe deutsche Pilgerinnen und Pilger, voll Dankbarkeit können
wir auf diese große Gestalt Eures Landes schauen. Der selige
Bischof Clemens August hat erkannt, wer unser Gott ist und auf
ihn seine ganze Hoffnung gesetzt (vgl. Jes 25,9). Er hat sich in
seinem Hirtendienst zuerst als Pfarrer und dann als Bischof nicht
geschont: er «wusste Entbehrungen zu ertragen» (Phil 4,19) und
war bereit, sein Leben hinzugeben für den Dienst am Menschen.
Seiner Verantwortung vor Gott war er sich voll bewusst. Deswegen
hat der Herr ihn «aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit» beschenkt
(Phil 4,19), von dem uns der heilige Paulus im Brief an die
Philipper spricht, den wir gerade gehört haben. Im Glauben sind
wir davon überzeugt, dass er berufen und auserwählt ist, am
himmlischen Hochzeitsmahl in der Vollendung der göttlichen
Herrlichkeit teilzunehmen. Dieses himmlische Hochzeitsmahl wird
uns durch das wunderbare Gleichnis Jesu vor Augen gestellt, das
uns vom heutigen Evangelium verkündet wird (Mt 22,1-14).

Der Diözese Münster möchte ich gratulieren: Genau in dem Jahr, in
dem sie ihrer Gründung vor nunmehr zwölf Jahrhunderten gedenkt,
kann sie mit Freude und Stolz diese Seligsprechung hier, am Grab
des Apostels Petrus, feiern. Damit legt sie gleichsam ihre
eigenen apostolischen Wurzeln tiefer und verankert sich noch mehr
im Lehramt des Stellvertreters Christi, heute von Gottes Gnaden
Benedikt XVI. Möge der neue Selige der Diözese Münster Ermutigung
schenken, sein reiches und immer zeitgemäßes Erbe wach zu halten
und für die Menschen von heute fruchtbar zu machen. Auf die
Fürsprache des neuen Seligen segne der Herr die Diözese Münster
und die ganze Kirche in Deutschland."
(09.10.05 bg)








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