"Seine feurigen Worte brachten die Todesmaschinerie der Nazis zum Stehen." Mit diesen
Worten würdigte Vatikan-Kardinal Saraiva Martins heute den neuen Seligen Kardinal
Galen bei der Festmesse in St. Peter. Wir dokumentieren hier seine Predigt, die er
in deutscher Sprache vor tausenden von Pilgern im Petersdom hielt: "In der Kirche
Santa Maria dell' Anima, der deutschen Nationalkirche hier in Rom, befindet sich das
Grab von Papst Hadrian VI., dessen Name auch deshalb in die Geschichte einging, weil
er durch viele Jahrhunderte der letzte nicht-italienische Papst war. Auf seinem Grabmal
kann man folgende Inschrift lesen: «Wie viel hängt davon ab, in welche Zeiten die
Tugend auch des besten Mannes fällt.» Diese Grabinschrift, die sich zunächst negativ
auf die widrigen Zeitverhältnisse bezieht, in denen Hadrian VI. lebte, enthält zugleich
eine sehr positive Wertung der herausragenden Tugenden, die ihn gerade in den
ungünstigen Verhältnissen seiner Zeit auszeichneten.
Nun, wenn es in der
berühmten Gestalt des Kardinals Clemens August von Galen, des Bischofs von Münster,
dessen Seligsprechung uns heute mit Freude erfüllt, eine Dominante gibt, dann ist
es jene, die Tugenden eines Christen und eines Oberhirten in hervorragender und heroischer
Weise in einer für die Kirche und für das deutsche Volk so schwierigen Zeit gelebt
zu haben. Deutschland befand sich damals unter der Herrschaft des Nationalsozialismus.
Die Diözese Münster darf sich rühmen, einen Oberhirten auf dem Bischofsstuhl des heiligen
Ludgerus gehabt zu haben, der so unerschrocken der menschenverachtenden Ideologie
und der Todesmaschinerie des nationalsozialistischen Staates entgegen trat, dass es
ihm den Titel «Der Löwe von Münster» eintrug.
Clemens August von Galen
wurde am 16. März 1878 auf der Wasserburg Dinklage im Oldenburger Münsterland geboren.
In ländlicher Umgebung wuchs er in einer großen Familie auf, die geprägt war von den
kirchlichen und sozialen Verhältnissen seiner Zeit. Nach Schulbesuch und Studium wurde
er 1904 zum Priester geweiht. Die ersten zwei Jahre war er Domvikar und Sekretär seines
Onkels, des Weihbischofs Maximilian Gereon von Galen. Eine der größten Zäsuren in
seinem Leben war wohl die Versetzung nach Berlin. 23 Jahre verbrachte er dort; es
war die schwere Zeit des Ersten Weltkriegs und der Wirren der Weimarer Republik mit
ihren folgenschweren sozialen Auswirkungen. 1929 wurde er Pfarrer an St. Lamberti
in Münster. Die zweite noch größere Zäsur in seinem Leben war die unerwartete Ernennung
zum Bischof von Münster im Herbst 1933. Galen war einer der bekanntesten Vertreter
des kirchlichen Widerstandes gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime. Wenn
wir uns fragen, woher ihm die Kühnheit kam, den Nationalsozialisten offen zu widerstehen,
mit klarer Argumentation gegen ihre Verletzung der grundlegenden Menschenrechte aufzutreten
und diese Anklage durchzuhalten, finden wir drei Faktoren, die seine starke Persönlichkeit
als Mensch, als Gläubiger und als Bischof geformt haben.
Diese drei Faktoren
sind Familie, Glaube und Politik; vergessen wir dabei aber nie, dass die Grundhaltung
des Seligen aus seinen tief greifenden christlichen Tugenden hervorging.
Clemens
August stammte aus einer großen, traditionsreichen, mit Kirche und öffentlichem Leben
gleichermaßen verbundenen Familie. Der Vater interessierte sich für die öffentlichen
Angelegenheiten, die Mutter pflegte den familiären Zusammenhalt; dieser familiäre
Kontext bot Clemens August und seinen Geschwistern eine Sicherheit und Lebensgrundlage,
die ihn später recht unvermutet weit über sich selbst und die Tradition seines
Umfelds hinauswachsen ließ. Das Leben der Familie von Galen war traditionell sehr
auf die öffentliche Verantwortung für die Mitmenschen in Kirche und Gesellschaft
ausgerichtet. Am Familientisch auf der Burg Dinklage wurde nicht nur das familiäre
Gespräch und das Rosenkranzgebet gepflegt, sondern auch über Politik gesprochen,
wozu die Tätigkeit des Vaters als Reichstagsabgeordneter in Berlin ständig Anlass
bot.
Ohne Zweifel konnte Bischof von Galen das, was er tat, nur tun auf Grund
einer tiefen und zugleich sehr schlichten Spiritualität, die ganz offensichtlich in
der Eucharistie und in der Marienverehrung wurzelte.
Gewissermaßen als
Gegenprogramm zu den schrillen Tönen der Marschmusik und den hohlen Phrasen, die aus
den Lautsprechern von den Rednertribünen schallten, setzte er auf die Verehrung der
heiligen Eucharistie, auf die stille betrachtende Anbetung des zum Brot gewordenen
Herrn. Vor dem scheinbar wehrlosen und so unauffälligen Herrn, sakramental gegenwärtig
im eucharistischen Brot, fand er die Kraft und die Nahrung, die allein bleibende Erfüllung
der Lebenssehnsucht des Menschen sein kann. Die einigende Kraft im geistlichen Leben
des neuen Seligen war sein tiefer, lebendiger Glaube, lebendig durch die Liebe, mit
der er sich allen, besonders den Leidenden, zuwandte. Seine vom Evangelium inspirierte
Spiritualität verlieh ihm auch in seiner öffentlichen Tätigkeit Transparenz. All seine
Handlungen und all seine Tugenden gingen aus seinem gelebten Glauben hervor.
Schon
seit Beginn seiner pastoralen Tätigkeit in Münster hatte Bischof von Galen die
menschenverachtende S-Ideologie entlarvt. Mitten in der Kriegszeit im Sommer 1941
übte er besonders scharfe Kritik in drei Predigten vom Juli und August jenes Jahres,
die berühmt geworden sind: Er protestierte gegen die erzwungene Schließung
von Klöstern und gegen die Verhaftung von Ordensleuten. Mit Vehemenz sprach er
sich gegen die Deportation und Vernichtung von menschlichem Leben aus, das vom
Regime als «lebensunwert» bezeichnet wurde. Das Leben geistig behinderter Menschen.
Die feurigen Worte des Bischofs trafen die Todesmaschinerie des Nationalsozialismus
bis ins Mark.
Seine klaren Argumente versetzten die Machthaber in Wut und
zugleich in Ratlosigkeit, da sie auf Grund des großen Ansehens des seligen
Bischofs von Münster nicht wagten, ihn zu verhaften oder umzubringen.
Nicht
angeborener Mut, nicht übertriebene Verwegenheit, sondern allein ein tiefes Verantwortungsgefühl
und der klare Blick für Recht und Unrecht haben Bischof Clemens August dazu bringen
können, diese Worte auszusprechen. Sie sind eine Einladung, über die Strahlkraft
seines Glaubenszeugnisses nachzudenken; die Einladung, seinem Beispiel zu folgen,
gilt uns, die wir in Zeiten leben, die vielleicht weniger bedrohlich zu sein scheinen,
die aber nicht weniger problematisch sind, was die Wertung menschlichen Lebens
angeht.
Rückschauend auf diese Ereignisse sagte Kardinal von Galen im März
1946: «Der liebe Gott hatte mir eine Stellung gegeben, die es mir zur Pflicht
machte, das Schwarze schwarz und das Weiße weiß zu nennen, wie es in der Bischofsweihe
heißt. Ich wusste, ich durfte sprechen für Tausende, die mit mir der festen Überzeugung
waren, dass nur auf dem Boden des Christentums auch unser deutsches Volk zum Glück,
zur wahren Einigkeit und zu einer gesegneten Zukunft gelangen konnte.»
Liebe
deutsche Pilgerinnen und Pilger, voll Dankbarkeit können wir auf diese große Gestalt
Eures Landes schauen. Der selige Bischof Clemens August hat erkannt, wer unser
Gott ist und auf ihn seine ganze Hoffnung gesetzt (vgl. Jes 25,9). Er hat sich
in seinem Hirtendienst zuerst als Pfarrer und dann als Bischof nicht geschont:
er «wusste Entbehrungen zu ertragen» (Phil 4,19) und war bereit, sein Leben hinzugeben
für den Dienst am Menschen. Seiner Verantwortung vor Gott war er sich voll bewusst.
Deswegen hat der Herr ihn «aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit» beschenkt (Phil
4,19), von dem uns der heilige Paulus im Brief an die Philipper spricht, den wir
gerade gehört haben. Im Glauben sind wir davon überzeugt, dass er berufen und
auserwählt ist, am himmlischen Hochzeitsmahl in der Vollendung der göttlichen
Herrlichkeit teilzunehmen. Dieses himmlische Hochzeitsmahl wird uns durch
das wunderbare Gleichnis Jesu vor Augen gestellt, das uns vom heutigen
Evangelium verkündet wird (Mt 22,1-14). Der Diözese Münster
möchte ich gratulieren: Genau in dem Jahr, in dem sie ihrer Gründung vor
nunmehr zwölf Jahrhunderten gedenkt, kann sie mit Freude und Stolz diese
Seligsprechung hier, am Grab des Apostels Petrus, feiern. Damit legt sie
gleichsam ihre eigenen apostolischen Wurzeln tiefer und verankert sich
noch mehr im Lehramt des Stellvertreters Christi, heute von Gottes Gnaden
Benedikt XVI. Möge der neue Selige der Diözese Münster Ermutigung schenken,
sein reiches und immer zeitgemäßes Erbe wach zu halten und für die Menschen
von heute fruchtbar zu machen. Auf die Fürsprache des neuen Seligen segne
der Herr die Diözese Münster und die ganze Kirche in Deutschland." (09.10.05
bg)