2005-09-27 11:43:35

Vatikan: Papst und Küng - eine Presseschau


Der Papst empfängt den Kirchen-Rebell Hans Küng - diese Nachricht hat gestern eingeschlagen wie eine Bombe. Der Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst, Küngs "Ortsbischof", spricht von einer "spektakulären Offenheit" des Papstes. Das sei "ein gutes Signal der Bereitschaft zur Versöhnung".
Vor allem im deutschen Sprachraum beschäftigen sich die Medien ausführlich mit der Begegnung. "Nun hat Ratzinger dem Katholiken Küng seine Reverenz erwiesen", notiert das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" auf seiner Internetseite. "Eine große Geste, mit der er seine Kritiker verblüffen wird. Und er hat den Menschen Küng rehabilitiert, ohne sich dessen theologische Ansichten zu Eigen zu machen."
Der "Kölner Stadt-Anzeiger schreibt: "Sicher ist, dass Küng und Benedikt einander Respekt bekundet haben. Schon das ist Nachricht genug. Die „positive Würdigung“ gilt Küngs ... Arbeit am „Weltethos“, an einem gemeinsamen ethisch-moralischen Fundament der großen Weltreligionen... Genau in diesem Punkt treffen sich die beiden."
Die "Süddeutsche Zeitung" meint: "Papst Benedikt XVI. hat überraschend ein Zeichen der Versöhnung gegenüber einem der schärfsten Vatikan-Kritiker gesetzt. Im Vatikan stieß das Treffen auf Überraschung. Kirchenkreise bewerteten den Schritt des Papstes als Bruch mit bisherigen diplomatischen Formen und als Zeichen für eine neue Politik auch gegenüber Kirchenkritikern. „Der Papst ist auch ein großer Psychologe“, sagte ein hochrangiger Vatikan-Mitarbeiter der SZ.
Damit sei „die Luft raus“ aus dem jahrzehntelangen Streit zwischen der Kirche und Küng. Der Tübinger Professor habe es in der Vergangenheit immer abgelehnt, mit dem Kurienkardinal Joseph Ratzinger zu sprechen.



Stattdessen habe er eine Audienz bei Papst Johannes Paul II. gefordert. Nun sei er doch noch von einem Papst empfangen worden – aber eben von Joseph Ratzinger. Inhaltlich habe sich dadurch zwar nicht viel geändert, atmosphärisch aber sei viel erreicht worden. Der Papst habe ein Signal gegen „überzogenes hierarchisches Denken“ gesetzt", so die "Süddeutsche". Ihr Fazit: "Es hat sich gezeigt, dass der Papst und der kritische Theologe die gleiche Hoffnung auf die Kraft des Christentums haben und die Skepsis gegenüber den Selbsterlösungsphantasien der Menschheit teilen... Der Papst hat kein Verdikt zurückgenommen, Hans Küng hat nichts widerrufen, und doch ist das Treffen ein Zeichen der Hoffnung: Es muss in der katholischen Kirche nicht die Verurteilung das letzte Wort haben."
"Vor Privataudienzen hat der Papst keine Angst", stellt die "Frankfurter Allgemeine" fest und erinnert auch an andere Papst-Treffen mit umstrittenen Leuten. Die "entspannte Atmosphäre" von Castel Gandolfo mindere sicher die Kontroverse. "Ein wenig Ironie schlich sich jedoch ein", glaubt die FAZ. Denn noch nie habe der Vatikan "eine so demütige und zugleich weitschweifige Erklärung abgegeben" wie diesmal. "Nie wurde ein Audienzpartner so gelobt, fast zu viel, um daran zu glauben." Die FAZ wittert päpstliche Ironie, "wenn Benedikt den Professor über den grünen Klee lobe".
"Küng ist nicht Galilei", beobachtet die FAZ in ihrem Feuilleton. Ein Abendessen mit dem Papst sei keine"kirchenrechtlich wasserdichte Rehabilitierung". Wahrscheinlicher sei eine "Strategie der Einklammerung" Küngs - schließlich tendierten Symbolfiguren ja mit der Zeit dazu, sich selbst überflüssig zu machen. Der Vatikan habe seine Frontlinie leicht verrutscht - "der weite Magen der Kirche wird es verdauen."


"Kommt Bewegung in den Fall Küng?" fragt der "Reutlinger General-Anzeiger. "Muss die Akte Küng in Rom aus den Archiven hervorgeholt werden?" Nein, denn beide Seiten hätten "alle Reizthemen von vornherein ausgeklammert... Getroffen haben sich nicht der Papst und der Kritiker des Unfehlbarkeits-Dogmas, sondern der Hirte der katholischen Welt und der Weltethos-Präsident - beide bemüht um den Dialog der Weltreligionen.
Skeptiker sagen, Papst Benedikt XVI. habe ein Gespür für große Gesten, bleibe aber in der Sache hart wie sein Vorgänger... Sie werden darauf verweisen, dass der Vatikan-Sprecher den »persönlichen Charakter« betont hat und der Besuch in Rom erst hinterher bekanntgegeben wurde.



Doch ein solches Treffen hat hohen Symbolwert: Der neue Papst verweigert nicht den Dialog und zeigt sich im Umgang mit kritischen Denkern gesprächsbereit. Das weckt Erwartungen." Fazit des Kommentars: "Das Treffen könnte ein erster Schritt zur Normalisierung gewesen sein. Weitere müssten folgen. Im gemeinsamen Interesse."
Auch US-Medien widmen sich dem Thema ausführlich. Die "New York Times" spricht von zwei "alten Weggefährten, Papst und Dissident", die jetzt "gemeinsamen Grund unter den Füßen gefunden" hätten. Viele US-Medien zitieren einen liberalen katholischen US-Theologen mit der Einschätzung, Benedikt wolle offenbar auch innerkirchlich ein Brückenbauer sein. Das unterscheide ihn von seinem Vorgänger.
(rv 27.09.05 sk)







All the contents on this site are copyrighted ©.