Der Papst empfängt den Kirchen-Rebell Hans Küng - diese Nachricht hat gestern eingeschlagen
wie eine Bombe. Der Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst, Küngs "Ortsbischof", spricht
von einer "spektakulären Offenheit" des Papstes. Das sei "ein gutes Signal der Bereitschaft
zur Versöhnung". Vor allem im deutschen Sprachraum beschäftigen sich die Medien
ausführlich mit der Begegnung. "Nun hat Ratzinger dem Katholiken Küng seine Reverenz
erwiesen", notiert das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" auf seiner Internetseite.
"Eine große Geste, mit der er seine Kritiker verblüffen wird. Und er hat den Menschen
Küng rehabilitiert, ohne sich dessen theologische Ansichten zu Eigen zu machen." Der
"Kölner Stadt-Anzeiger schreibt: "Sicher ist, dass Küng und Benedikt einander Respekt
bekundet haben. Schon das ist Nachricht genug. Die „positive Würdigung“ gilt Küngs
... Arbeit am „Weltethos“, an einem gemeinsamen ethisch-moralischen Fundament der
großen Weltreligionen... Genau in diesem Punkt treffen sich die beiden." Die "Süddeutsche
Zeitung" meint: "Papst Benedikt XVI. hat überraschend ein Zeichen der Versöhnung gegenüber
einem der schärfsten Vatikan-Kritiker gesetzt. Im Vatikan stieß das Treffen auf Überraschung.
Kirchenkreise bewerteten den Schritt des Papstes als Bruch mit bisherigen diplomatischen
Formen und als Zeichen für eine neue Politik auch gegenüber Kirchenkritikern. „Der
Papst ist auch ein großer Psychologe“, sagte ein hochrangiger Vatikan-Mitarbeiter
der SZ. Damit sei „die Luft raus“ aus dem jahrzehntelangen Streit zwischen der
Kirche und Küng. Der Tübinger Professor habe es in der Vergangenheit immer abgelehnt,
mit dem Kurienkardinal Joseph Ratzinger zu sprechen.
Stattdessen habe
er eine Audienz bei Papst Johannes Paul II. gefordert. Nun sei er doch noch von einem
Papst empfangen worden – aber eben von Joseph Ratzinger. Inhaltlich habe sich dadurch
zwar nicht viel geändert, atmosphärisch aber sei viel erreicht worden. Der Papst habe
ein Signal gegen „überzogenes hierarchisches Denken“ gesetzt", so die "Süddeutsche".
Ihr Fazit: "Es hat sich gezeigt, dass der Papst und der kritische Theologe die gleiche
Hoffnung auf die Kraft des Christentums haben und die Skepsis gegenüber den Selbsterlösungsphantasien
der Menschheit teilen... Der Papst hat kein Verdikt zurückgenommen, Hans Küng hat
nichts widerrufen, und doch ist das Treffen ein Zeichen der Hoffnung: Es muss in der
katholischen Kirche nicht die Verurteilung das letzte Wort haben." "Vor Privataudienzen
hat der Papst keine Angst", stellt die "Frankfurter Allgemeine" fest und erinnert
auch an andere Papst-Treffen mit umstrittenen Leuten. Die "entspannte Atmosphäre"
von Castel Gandolfo mindere sicher die Kontroverse. "Ein wenig Ironie schlich sich
jedoch ein", glaubt die FAZ. Denn noch nie habe der Vatikan "eine so demütige und
zugleich weitschweifige Erklärung abgegeben" wie diesmal. "Nie wurde ein Audienzpartner
so gelobt, fast zu viel, um daran zu glauben." Die FAZ wittert päpstliche Ironie,
"wenn Benedikt den Professor über den grünen Klee lobe". "Küng ist nicht Galilei",
beobachtet die FAZ in ihrem Feuilleton. Ein Abendessen mit dem Papst sei keine"kirchenrechtlich
wasserdichte Rehabilitierung". Wahrscheinlicher sei eine "Strategie der Einklammerung"
Küngs - schließlich tendierten Symbolfiguren ja mit der Zeit dazu, sich selbst überflüssig
zu machen. Der Vatikan habe seine Frontlinie leicht verrutscht - "der weite Magen
der Kirche wird es verdauen."
"Kommt Bewegung in den Fall Küng?" fragt
der "Reutlinger General-Anzeiger. "Muss die Akte Küng in Rom aus den Archiven hervorgeholt
werden?" Nein, denn beide Seiten hätten "alle Reizthemen von vornherein ausgeklammert...
Getroffen haben sich nicht der Papst und der Kritiker des Unfehlbarkeits-Dogmas, sondern
der Hirte der katholischen Welt und der Weltethos-Präsident - beide bemüht um den
Dialog der Weltreligionen. Skeptiker sagen, Papst Benedikt XVI. habe ein Gespür
für große Gesten, bleibe aber in der Sache hart wie sein Vorgänger... Sie werden darauf
verweisen, dass der Vatikan-Sprecher den »persönlichen Charakter« betont hat und der
Besuch in Rom erst hinterher bekanntgegeben wurde.
Doch ein solches
Treffen hat hohen Symbolwert: Der neue Papst verweigert nicht den Dialog und zeigt
sich im Umgang mit kritischen Denkern gesprächsbereit. Das weckt Erwartungen." Fazit
des Kommentars: "Das Treffen könnte ein erster Schritt zur Normalisierung gewesen
sein. Weitere müssten folgen. Im gemeinsamen Interesse." Auch US-Medien widmen
sich dem Thema ausführlich. Die "New York Times" spricht von zwei "alten Weggefährten,
Papst und Dissident", die jetzt "gemeinsamen Grund unter den Füßen gefunden" hätten.
Viele US-Medien zitieren einen liberalen katholischen US-Theologen mit der Einschätzung,
Benedikt wolle offenbar auch innerkirchlich ein Brückenbauer sein. Das unterscheide
ihn von seinem Vorgänger. (rv 27.09.05 sk)