Die letzten Worte von Papst Johannes Paul II. waren andere, als die Weltöffentlichkeit
bisher meinte. Nicht “Ich bin froh – seid ihr es auch“, sondern „Lasst mich in das
Haus des Vaters gehen“, war der letzte Satz des sterbenden polnischen Papstes. Das
– und sehr viel mehr - steht in einem 700 Seiten starken Protokoll, das der Vatikan
nun über die letzten Wochen im Leben Johannes Pauls veröffentlicht Eine penible
Auflistung der Leiden des sterbenden Papstes findet sich im eben vorgelegten Supplement
der „Acta apostolicae sedis“. Aber auch viel Papierenes: die offizielle Sterbeurkunde,
sämtliche beim Vatikan eingetroffene Kondolenzschreiben von Staatsregierungen, das
Testament Johannes Pauls II. in polnischer Originalsprache, die Worte der lateinischen
Begräbnismesse und die höchst umfangreiche Liste der Staatsdelegationen. Das so
genannte „Sterbeprotokoll“ setzt mit dem 31. Januar 2005 ein – mit dem Tag, an dem
der Papst wegen einer Grippe die Audienzen absagen musste. Es folgte der zehntägige
Aufenthalt in der Gemelli-Klinik, die Rückkehr in den Vatikan, die erneuerte Einlieferung,
der dramatische Luftröhrenschnitt, und erneut die Rückkehr – die letzte diesmal –
in den Apostolischen Palast. Das Protokoll ergeht sich in Details, listet die Namen
aller Ärzte auf, die den Papst operierten oder dabei assistierten. Auch die zehn Spezialisten
des vatikanischen Ärzte- und Pflegerteams werden namentlich erwähnt. Wie das Protokoll
vermerkt, erholte sich Johannes Paul in seinen letzten Lebenstagen nicht mehr von
seinem Erschöpfungszustand; er hatte große Schwierigkeiten beim Schlucken und Sprechen.
Der Text rekapituliert den Ostersonntag, als Johannes Paul trotz seiner Schmerzen
am Fenster verweilte - 13 Minuten lang, so die Angaben – und körperlich nicht mehr
dazu in der Lage war, zu sprechen: Der riesigen Menschenmenge unten auf dem Petersplatz
erteilte ein von Schmerz gezeichneter Papst seinen stummen Segen. Drei Tage später
„die letzte öffentliche Station seines beschwerlichen Kreuzweges“, so das Protokoll
wörtlich: ein letzter Auftritt am Fenster, abermals stumm. Am nächsten Tag überfiel
Johannes Paul in seiner Privatkapelle Schüttelfrost. Körpertemperatur: 39,6 Grad,
schwerer septischer Schock, Herzkreislaufkollaps aufgrund einer Blasenentzündung.
Der Papst habe gewünscht, in seinen Gemächern zu bleiben, fährt der Text fort. So
wurde die heilige Messe dort gefeiert, an seinem Bett. Dabei habe der Papst die Augen
geschlossen gehalten, doch sei er geistig anwesend gewesen. Bei der Wandlung von Brot
und Wein hob er leicht den Arm. Anschließend erhielt er die Krankensalbung aus den
Händen seines Landsmanns Kardinal Marian Jaworksi. Sterbeprotokoll, 2. April 2005:
Der Pontifex nimmt er an der Morgenmesse teil, doch sein Bewusstsein ist zeitweise
getrübt. Nachmittags gegen halb vier steigt seine Temperatur an, und er spricht auf
Polnisch seine letzten Worte: „Lasst mich in das Haus des Vaters gehen!“ Kurz vor
19 Uhr fällt er ins Koma. Nur eine kleine Kerze erleuchtet das Zimmer, in dem Johannes
Paul allmählich hinübergeht – ein polnischer Brauch, vermerkt das Protokoll. Um
20 Uhr wird an dem Bett des sterbenden Kirchenoberhauptes die letzte Messe gefeiert.
Sein langjähriger Privatsekretär Stanislao Dziwisz zelebriert, drei weitere polnische
Priester sind anwesend. Polnische Kirchenlieder untermalen die Messfeier und vermischen
sich mit den Gebeten und Gesängen der Zehntausenden Gläubigen, die sich zum Rosenkranzgebet
auf dem Petersplatz versammelt haben. Um 21.37 am 2. April geht Johannes Paul
II in das Reich des Vaters über. Die ersten, die dem Verstorbenen ihre letzte Ehre
erweisen, sind die Kardinäle Angelo Sodano, Eduardo Martinez Somalo und Joseph Ratzinger.
Dass der Vatikan dieses Sterbeprotokoll veröffentlicht, ist ein ungewöhnlicher
Schritt. Offensichtlich will er damit jeder Art von Spekulation vorbeugen. Nach dem
Tod von Papst Johannes Paul I., der nur 33 Tage im Amt war, waren Gerüchte um seine
Todesursache entstanden. (rv 22.09.05 ag/gs)