Drei Monate nach dem Bioethik-Referendum in Italien kommt es zu einem neuen Konflikt
zwischen Kirche und Politikern. Die Vatikanzeitung "Osservatore Romano" greift den
Spitzenkandidaten der Linksparteien, Romano Prodi, scharf an. Prodi nehme bei der
Jagd nach Wählerstimmen einen schweren Schaden für Familien in Kauf. Der Politiker,
der im nächsten Frühjahr italienischer Ministerpräsident werden will, hatte in einem
Brief angedeutet, er wolle die Lebensgemeinschaften von gleichgeschlechtlichen Partnern
aufwerten. Die Vatikan-Zeitung klagt an: Mit seinen Äußerungen versuche Prodi,
"die Lebenswirklichkeit der Familie zu relativieren und zu ideologisieren. Ein nicht
hinnehmbarer Vorstoß." Prodi zerre das Thema Familie in den Wahlkampf, und das, obwohl
die italienische Verfassung Ehe und Familie doch ausdrücklich schütze. Da fische offenbar
jemand "nach allen Stimmen, die er nur kriegen kann", vermutet der "Osservatore Romano".
Der Stein des Anstoßes: Prodi hatte dem Vorsitzenden des wichtigsten italienischen
Homosexuellen-Verbands geschrieben. Und dabei versichert, das Problem des Pacs - zu
deutsch "Bürgerlicher Solidar-Pakt" - "wird sicher eine Lösung im Wahlprogramm der
Unione finden". Pacs - das steht für eine gewisse staatliche Anerkennung von de-facto-Partnerschaften,
darunter auch von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, also den so genannten "Homo-Ehen".
Das Wahlprogamm der "Unione", also des Wahlbündnisses von mehreren Mitte-Links-Parteien,
soll Prodi in den nächsten Wochen vorlegen. Vor allem die Postkommunisten wünschen
sich eine Anerkennung des Pacs wie in Frankreich, das heißt: eine Art "Ehe light".
Partner, die nicht den richtigen, großen Bund fürs Leben schließen können oder wollen,
sollen sich doch zumindest in den Rathäusern in ein Register eintragen dürfen. Sie
würden damit bestimmte Steuer- und Erbrechte erhalten, wie sie bisher nur Ehepartner
zweierlei Geschlechts haben. Prodi beruft sich darauf, er habe doch nur geschrieben,
was Ende Juli bei einem Treffen der "Unione" hinter verschlossenen Türen beschlossen
und einhellig begrüßt worden sei. In ganz Europa müßten derzeit die Staaten darauf
reagieren, dass viele Menschen de facto zusammenlebten, ohne eine Ehe einzugehen.
Er sei kein zweiter Zapatero, beteuert Romano Prodi - in Spanien hatte kürzlich Regierungschef
Zapatero di so genannten "Homo-Ehen" recthlich aufgewertet und sich damit heftigen
Widerstand der spanischen Kirche und auch des Vatikans eingehandelt. Über die Debatte,
die jetzt in Italien losbricht, gibt sich Prodi "überrascht". Etwa 96 Prozent der
Ehen ohne Trauschein in Italien hätten mit Homosexuellen doch gar nichts zu tun. Aber
nach dem Angriff des "Osservatore Romano" ist die Nervosität im italienischen Mitte-Links-Lager
jetzt groß. Piero Fassino, Chef der Linksdemokraten (DS), spricht von einem "Pulverfaß".
Wenn Italiens Linke so kurz vor den Wahlen den Zorn der Kirche auf sich zieht, könnte
das den sicher geglaubten Sieg im Frühjahr gefährden. Der Ausgang des Bioethik-Referendums
im Juni hat Italiens Politikern gezeigt, wie sehr die Kirche Wähler mobilisieren und
beeinflussen kann. Prodi ist jetzt auch in der Nahsicht verwundbar, weil er sich genau
in einem Monat Vorwahlen im Mitte-Links-Lager stellen muß. Vatikan-Kardinal Francesco
Pompedda hat mit Blick auf Prodi jetzt eingeräumt, der Staat dürfe Ehen ohne Trauschein
nicht einfach ignorieren - er dürfe ihre Rechte durchaus regeln. Dabei dürfe er aber
nicht den Eindruck wecken, dass solche Partnerschaften de facto dasselbe seien wie
die Ehe. Das Gesetz könne also solche Partnerschaften nicht auf die gleiche Stufe
stellen wie die traditionelle Ehe. Italiens überhitzte Politik-Landschaft hat eine
neue Debatte. Die Kirche wird versuchen, den Schwung ihres Erfolgs beim Bioethik-Referendum
jetzt auch in der Pacs-Frage zu nutzen. Aber vielleicht reicht ja auch der kleine
Dienstweg: Der jetzige Kardinal Ruini, Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz,
dutzt sich mit Prodi. Er hat ihn vor Jahrzehnten getraut. Eine ganz normale, traditionelle
Ehe übrigens. (rv 13.09.05 sk)