Hier die Predigt von Papst Benedikt XVI. zur Abschlussmesse des Kölner Weltjugendtages.
Wir dokumentieren den Wortlaut bzw. die offizielle Übersetzung (an jenen Stellen,
die im Original fremdsprachig waren).
Liebe Jugendliche! Vor der heiligen
Hostie, in der Jesus sich für uns zum Brot gemacht hat, das unser Leben von innen
her trägt und nährt, haben wir gestern abend den inneren Weg der Anbetung begonnen.
In der Eucharistie soll Anbetung Vereinigung werden. Mit der Eucharistiefeier stehen
wir in der „Stunde“ Jesu, von der das Johannes-Evangelium spricht. Durch die Eucharistie
wird diese seine „Stunde“ unsere Stunde, Gegenwart unter uns. Mit den Jüngern feierte
er das Pascha-Mahl Israels, das Gedächtnis der befreienden Tat Gottes, die Israel
aus der Knechtschaft ins Freie führte. Jesus folgt den Riten Israels. Er spricht das
Preis- und Segensgebet über das Brot. Aber nun geschieht Neues. Er dankt Gott nicht
nur für die großen Taten der Vergangenheit, er dankt ihm für seine Erhöhung, die im
Kreuz und in der Auferstehung geschieht. Dabei spricht er auch zu den Jüngern mit
Worten, die die Summe von Gesetz und Propheten in sich tragen: „Dies ist mein Leib,
der für euch hingegeben wird. Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut.“ Und
so teilt er Brot und Kelch aus und trägt ihnen zugleich auf, das, was er jetzt sagt
und tut, immer neu zu sagen und zu tun zu seinem Gedächtnis. Was geschieht da?
Wie kann Jesus seinen Leib austeilen und sein Blut? Indem er Brot zu seinem Leib und
Wein zu seinem Blut macht und austeilt, nimmt er seinen Tod vorweg, nimmt er ihn von
innen her an und verwandelt ihn in eine Tat der Liebe. Was von außen her brutale Gewalt
ist, wird von innen her ein Akt der Liebe, die sich selber schenkt, ganz und gar.
Dies ist die eigentliche Wandlung, die im Abendmahlssaal geschah und die dazu bestimmt
war, einen Prozeß der Verwandlungen in Gang zu bringen, dessen letztes Ziel die Verwandlung
der Welt dahin ist, daß Gott alles in allem sei (vgl. 1 Kor 15, 28). Alle Menschen
warten immer schon irgendwie in ihrem Herzen auf eine Veränderung und Verwandlung
der Welt. Dies nun ist der zentrale Verwandlungsakt, der allein wirklich die Welt
erneuern kann: Gewalt wird in Liebe umgewandelt und so Tod in Leben. Weil er den Tod
in Liebe umformt, darum ist der Tod als solcher schon von innen her überwunden und
Auferstehung schon in ihm da. Der Tod ist gleichsam von innen verwundet und kann nicht
mehr das letzte Wort sein. Das ist sozusagen die Kernspaltung im Innersten des Seins
– der Sieg der Liebe über den Haß, der Sieg der Liebe über den Tod. Nur von dieser
innersten Explosion des Guten her, das das Böse überwindet, kann dann die Kette der
Verwandlungen ausgehen, die allmählich die Welt umformt. Alle anderen Veränderungen
bleiben oberflächlich und retten nicht. Darum sprechen wir von Erlösung: Das zuinnerst
Notwendige ist geschehen, und wir können in diesen Vorgang hineintreten. Jesus kann
seinen Leib austeilen, weil er wirklich sich selber gibt. Diese erste grundlegende
Verwandlung von Gewalt in Liebe, von Tod in Leben zieht dann die weiteren Verwandlungen
nach sich. Brot und Wein werden sein Leib und sein Blut. Aber an dieser Stelle darf
die Verwandlung nicht Halt machen, hier muß sie erst vollends beginnen. Leib und Blut
Jesu Christi werden uns gegeben, damit wir verwandelt werden. Wir selber sollen Leib
Christi werden, blutsverwandt mit ihm. Wir essen alle das eine Brot. Das aber heißt:
Wir werden untereinander eins gemacht. Anbetung wird, so sagten wir, Vereinigung.
Gott ist nicht mehr bloß uns gegenüber, der ganz Andere. Er ist in uns selbst und
wir in ihm. Seine Dynamik durchdringt uns und will von uns auf die anderen und auf
die Welt im ganzen übergreifen, daß seine Liebe wirklich das beherrschende Maß der
Welt werde. Ich finde diesen neuen Schritt, den das Abendmahl uns geschenkt hat, sehr
schön angedeutet im Unterschied zwischen dem griechischen und dem lateinischen Wort
für Anbetung. Das griechische Wort heißt proskynesis. Es bedeutet den Gestus der Unterwerfung,
die Anerkennung Gottes als unseres wahren Maßstabes, dessen Weisung wir folgen. Es
bedeutet, daß Freiheit nicht bedeutet, sich auszuleben und für autonom zu halten,
sondern sich nach dem Maß der Wahrheit und des Guten zu richten und so selbst wahr
und gut zu werden. Dieser Gestus ist notwendig, auch wenn unser Freiheitsstreben ihm
zunächst entgegensteht. Aber uns zueignen können wir ihn erst ganz in der zweiten
Stufe, die sich im Abendmahl eröffnet. Das lateinische Wort für Anbetung heißt ad-oratio
– Berührung von Mund zu Mund, Kuß, Umarmung und so im tiefsten Liebe. Aus Unterwerfung
wird Einung, weil der, dem wir uns unterwerfen, die Liebe ist. So wird Unterwerfung
sinnvoll, weil sie uns nicht Fremdes auferlegt, sondern uns freimacht zum Innersten
unserer selbst. Kehren wir noch einmal zum Letzten Abendmahl zurück. Das Neue,
das da geschah, lag in der neuen Tiefe des alten Segensgebetes Israels, das nun zum
Wort der Verwandlung wird und uns die Teilhabe an der „Stunde“ Christi schenkt. Nicht
das Pascha-Mahl zu wiederholen, hat Jesus uns aufgetragen; es ist ja auch ein Jahresfest,
das man nicht beliebig wiederholen kann. Er hat uns aufgetragen, in „seine Stunde“
einzutreten. In sie treten wir ein durch das Wort der heiligen Macht der Verwandlung,
die durch das Preisgebet geschieht, das uns in die Kontinuität mit Israel und der
ganzen Heilsgeschichte Gottes stellt und uns zugleich das Neue schenkt, auf das dieses
Gebet von innen her wartete. Dieses Gebet – die Kirche nennt es Hochgebet – konstituiert
Eucharistie. Es ist Wort der Macht, das die Gaben der Erde auf ganz neue Weise in
die Selbstgabe Gottes verwandelt und uns in diesen Prozeß der Verwandlung hineinzieht.
Deswegen nennen wir dieses Geschehen Eucharistie, was die Übersetzung des hebräischen
Wortes beracha ist – Dank, Preisung, Segen und so vom Herrn her Verwandlung: Gegenwart
seiner „Stunde“. Die „Stunde“ Jesu ist die Stunde, in der die Liebe siegt. Das heißt:
Gott hat gesiegt, denn er ist die Liebe. Die „Stunde“ Jesu will unsere Stunde werden
und wird es, wenn wir uns durch die Feier der heiligen Eucharistie in den Prozeß der
Verwandlungen hineinziehen lassen, um die es dem Herrn geht. Eucharistie muß Mitte
unseres Lebens werden. Es ist nicht Positivismus oder Machtwille, wenn die Kirche
uns sagt, daß zum Sonntag die Eucharistie gehört. Am Ostermorgen haben zuerst die
Frauen, dann die Jünger den Auferstandenen sehen dürfen. So wußten sie von da an,
daß nun der erste Wochentag, der Sonntag, sein Tag ist. Der Tag des Schöpfungsbeginns
wird zum Tag der Erneuerung der Schöpfung. Schöpfung und Erlösung gehören zusammen.
Deswegen ist der Sonntag so wichtig. Es ist schön, daß in vielen Kulturen heute der
Sonntag ein freier Tag ist oder gar mit dem Samstag ein sogenanntes freies Wochenende
bildet. Aber diese freie Zeit bleibt leer, wenn Gott nicht darin vorkommt. Liebe Freunde!
Manchmal ist es vielleicht im ersten Augenblick unbequem, am Sonntag auch die heilige
Messe einzuplanen. Aber Ihr werdet sehen, daß gerade das der Freizeit erst die rechte
Mitte gibt. Laßt Euch nicht abbringen von der sonntäglichen Eucharistie, und helft
auch den anderen, daß sie sie entdecken. Damit von ihr die Freude kommt, die wir brauchen,
müssen wir sie natürlich auch immer mehr von innen verstehen und lieben lernen. Mühen
wir uns darum – es lohnt sich. Entdecken wir den inneren Reichtum des Gottesdienstes
der Kirche und seine wahre Größe: daß da nicht wir selber uns allein ein Fest machen,
sondern daß der lebendige Gott selbst uns ein Fest gibt. Mit der Liebe zur Eucharistie
werdet Ihr auch das Sakrament der Versöhnung neu entdecken, in der Gottes verzeihende
Güte immer wieder einen Neubeginn in unserem Leben möglich macht. Wer Christus
entdeckt hat, muß andere zu ihm führen. Eine große Freude kann man nicht für sich
selbst behalten. Man muß sie weitergeben. Heute gibt es in großen Teilen der Welt
eine merkwürdige Gottvergessenheit. Es scheint auch ohne ihn zu gehen. Aber zugleich
gibt es auch ein Gefühl der Frustration, der Unzufriedenheit an allem und mit allem:
Das kann doch nicht das Leben sein! In der Tat nicht. Und so gibt es zugleich mit
der Gottvergessenheit auch so etwas wie einen Boom des Religiösen. Ich will nicht
alles schlecht machen, was da vorkommt. Es kann auch ehrliche Freude des Gefundenhabens
dabei sein. Aber weithin wird doch Religion geradezu zum Marktprodukt. Man sucht sich
heraus, was einem gefällt, und manche wissen, Gewinn daraus zu ziehen. Aber die selbstgesuchte
Religion hilft uns im letzten nicht weiter. Sie ist bequem, aber in der Stunde der
Krise läßt sie uns allein. Helft den Menschen, den wirklichen Stern zu entdecken,
der uns den Weg zeigt: Jesus Christus. Versuchen wir selber, ihn immer besser kennenzulernen,
damit wir überzeugend auch andere zu ihm führen können. Deswegen ist die Liebe zur
Heiligen Schrift so wichtig, und deswegen ist es wichtig, den Glauben der Kirche zu
kennen, in dem uns die Schrift aufgeschlüsselt wird: Es ist der Heilige Geist, der
die Kirche in ihrem wachsenden Glauben immer weiter in die Tiefe der Wahrheit eingeführt
hat und einführt (vgl. Joh 16,13). Papst Johannes Paul II. hat uns ein wunderbares
Werk geschenkt, in dem der Glaube der Jahrhunderte zusammenfassend dargelegt ist:
den Katechismus der katholischen Kirche. Ich selber konnte vor kurzem das Kompendium
dieses Katechismus der Öffentlichkeit vorstellen, das auch auf Wunsch des heimgegangenen
Papstes erstellt wurde. Es sind zwei Grundbücher, die ich Euch allen ans Herz legen
möchte. Natürlich reichen Bücher allein nicht aus. Bildet Gemeinschaften aus dem
Glauben heraus. In den letzten Jahrzehnten sind Bewegungen und Gemeinschaften entstanden,
in denen die Kraft des Evangeliums sich lebendig zu Worte meldet. Sucht Gemeinschaft
im Glauben, Weggefährten, die gemeinsam die große Pilgerstraße weitergehen, die uns
die Weisen aus dem Orient zuerst gezeigt haben. Das Spontane der neuen Gemeinschaften
ist wichtig; aber wichtig ist auch, dabei die Gemeinschaft mit dem Papst und den Bischöfen
zu halten, die uns garantieren, daß wir nicht Privatwege suchen, sondern wirklich
in der großen Familie Gottes leben, die der Herr mit den zwölf Aposteln begründet
hat. Noch einmal muß ich zur Eucharistie zurückkommen. „Weil wir ein Brot sind,
sind wir viele auch ein Leib“, sagt der heilige Paulus (1 Kor 10, 17). Er will damit
sagen: Weil wir den gleichen Herrn empfangen und er uns aufnimmt, in sich hineinzieht,
sind wir auch untereinander eins. Das muß sich im Leben zeigen. Es muß sich zeigen
in der Fähigkeit des Vergebens. Es muß sich zeigen in der Sensibilität für die Nöte
des anderen. Es muß sich zeigen in der Bereitschaft zu teilen. Es muß sich zeigen
im Einsatz für den Nächsten, den nahen wie den äußerlich fernen, der uns angeht. Heute
gibt es Formen des Volontariats, Gestalten des gegenseitigen Dienens, die gerade unsere
Gesellschaft dringend braucht. Wir dürfen zum Beispiel die alten Menschen nicht ihrer
Einsamkeit überlassen, an den Leidenden nicht vorbeigehen. Wenn wir von Christus her
denken und leben, dann gehen uns die Augen auf, und dann leben wir nicht mehr für
uns selber dahin, sondern dann sehen wir, wo und wie wir gebraucht werden. Wenn wir
so leben und handeln, merken wir alsbald, daß es viel schöner ist, gebraucht zu werden
und für die anderen da zu sein, als nur nach den Bequemlichkeiten zu fragen, die uns
angeboten werden. Ich weiß, daß Ihr als junge Menschen das Große wollt, daß Ihr Euch
einsetzen wollt für eine bessere Welt. Zeigt es den Menschen, zeigt es der Welt, die
gerade auf dieses Zeugnis der Jünger Jesu Christi wartet und zuallererst durch das
Zeichen Eurer Liebe den Stern entdecken kann, dem wir folgen. Gehen wir voran mit
Christus und leben wir unser Leben als wirkliche Anbeter Gottes. Amen. (rv 21.08.05
gs)