Hier die Ansprache des Kölner Rabbi Netanel Teitelbaum in der Synagoge in Kernsätzen.
Ihr Besuch heute, hochverehrter Papst Benedikt, ist ein Zeichen hin zur
Öffnung des Friedens in der ganzen Welt und ... ein Schritt zum Frieden zwischen den
Völkern der Welt. Ihr Besuch ist auch ein aktives Zeichen gegen den früheren christlichen
Antisemitismus. Ihr Besuch hat darin größte Symbolkraft. Er zeigt allen, dass und
wo Sie die katholische Kirche im Verhältnis zu den Juden in aller Welt sehen... Im
Judentum besteht die Grundlage für den Frieden aus fünf Säulen.... Ihr Besuch heute
ist ein ein Symbol für den Frieden, der auf der Welt herrschen muss. Einen Frieden
ohne Terror. Wenn wir diese fünf Säulen zusammenfassen, so bildet sich hieraus eine
Hand. Und obwohl sie fünf Finger hat – sie ist doch eins. Sie ist eine Hand, die Hand
des jüdischen Volkes, und diese Hand gebe ich Ihnen als ein Symbol des Friedens des
jüdischen Volkes für alle Völker auf dieser Welt. (rv 19.08.05 gs)
Und hier die Rede im Wortlaut: Hochverehrter Papst Benedikt, sehr
geehrte Festgäste, soeben haben wir hier in der Synagoge den Psalm 23 gelesen und
gehört. Er hat eine große Bedeutung im Glauben eines jeden Menschen. Dieser Psalm
gibt dem Menschen in allen schweren Zeiten Kraft. Er hat uns, dem jüdischen Volk,
seit dem Auszug aus Ägypten bis zur Schoah und auch in der Zeit danach die Kraft zum
Überleben gegeben. Und diese Kraft, das ist der Glaube des jüdischen Volkes, der Glaube
eines jeden Einzelnen, der Glaube an den Ewigen, sowie es in dem Psalm 23 heißt: „Ich
fürchte kein Leid, denn du bist mit mir.“ Das Volk Israel als Volk, als Gruppe
und auch jeder Einzelne, hatte immer wieder schwere Zeiten zu bestehen. Gerade fünf
Tage ist es her, dass wir den Trauertag (tischah behab) begangen haben. Einen Tag,
der uns an viel Unglück in der jüdischen Geschichte erinnert. Es ist der Tag der Zerstörung
des ersten und zudem auch des zweiten Tempels in Jerusalem und zudem der Tag der Niederschlagung
des Aufstandes im Warschauer Ghetto. Das jüdische Volk hat niemals aufgehört zu glauben,
auch dann, wenn es allein gelassen worden ist. Und aus diesem Glauben schöpfen wir
zu jeder Zeit Kraft - auch in den Zeiten, in denen das jüdische Volk verfolgt worden
ist. Ihr Besuch heute, hochverehrter Papst Benedikt, ist ein Zeichen hin zur Öffnung
des Friedens in der ganzen Welt und ein Schritt auf dem Weg zum geistigen Aufbauen
des dritten Tempels in Jerusalem, der nur gebaut werden kann, wenn es Frieden unter
allen Völkern gibt. Ihr Besuch heute ist ein Schritt zum Frieden zwischen den Völkern
der Welt. Ihr Besuch ist auch ein aktives Zeichen gegen den früheren christlichen
Antisemitismus. Ihr Besuch hat darin größte Symbolkraft. Er zeigt allen, dass und
wo Sie die katholische Kirche im Verhältnis zu den Juden in aller Welt sehen. Lassen
Sie mich aus dem Allgemeinen zur Einzelperson kommen. Ihr Besuch hat größte Bedeutung
für die Mutter von Abraham L., der eben die Begrüßung vorgenommen hat. Sie sitzt hier
heute in der Synagoge. Auf ihrem Unterarm kann man die Nummer lesen, die ihr im KZ
eintätowiert wurde. 1944 in Auschwitz hatte sie weder die Kraft noch die Vorstellung,
dass eines Tages, in 2005, ihr Sohn den Papst offiziell in der Synagoge zu Köln begrüßen
würde. Außer ihr sitzen hier noch manche andere, die diese Zeit überlebt haben. Von
wo haben wir diese Kraft erhalten? Die Kraft zum Glauben? Die Kraft zum Überleben?
Diese Kraft können wir in den Texten finden, die wir heute hier gemeinsam gelesen
haben, denn es heißt in Kapitel eins im ersten Buch Moses: „Und Gott schuf den Menschen
in seinem Bilde, im Bilde Gottes, schuf er ihn.“ Der Mensch ist ein Teil Gottes, der
Mensch trägt einen Teil von Gott in sich, und dieser Teil, den der Mensch von Gott
in sich trägt, das ist die Seele. Die Seele unterscheidet den Menschen von den anderen
Lebewesen, die sich auf dieser Welt befinden. Die Seele gibt dem Menschen die Möglichkeit
nachzudenken, bevor er eine bestimmte Tat vollbringt. Es liegt in den Händen des Menschen,
Gutes zu tun und nicht zu zerstören, zu beleidigen oder zu vernichten. Der Ewige hat
dem Menschen eine, seine Seele, gegeben. Der Mensch ist damit dafür geschaffen, Gutes
zu tun und aus dieser Seele hat der Mensch die Kraft und die Aufgabe, Menschen zusammen
zu bringen und nicht auseinander zu treiben. Das bedeutet praktisch, dass der Mensch
Frieden haben und schaffen muss. Im Judentum besteht die Grundlage für den Frieden
aus fünf Säulen. Die erste der fünf Säulen ist der Glaube an den Einzigen und Allmächtigen.
Die Erinnerung an die Vergangenheit und darauf der Aufbau der Zukunft, das ist die
zweite der fünf Säulen. Als Napoleon in die Stadt Akko kam – es war der Abend des
neunten Ab, und als er sah, dass das Volk Israel weinte, da fragte Napoleon: „Aus
welchem Grunde weinen die Juden?“ Die Antwort, die man ihm gab, lautetet: „Wir weinen
über die Zerstörung des Tempels von Jerusalem.“ Da fragte Napoleon: „Wann ist das
passiert?“ Die Anwesenden antworteten ihm: „Es geschah vor etwa zweitausend Jahren.“
Da sagte Napoleon: „Vor zweitausend Jahren ist es geschehen? Und noch heute weint
ihr? Wenn dieses so der Fall ist, und wenn ein Volk sich noch heute so an seine Vergangenheit
erinnert, dann ist das ein Volk, das auch Zukunft hat. Die dritte der fünf Säulen
ist die Säule der guten Taten. Das Gebet ist die vierte Säule ,und heute am Ende der
Feierstunde werden wir gemeinsam aus dem Gebet hören das Sim Schalom, gibt Frieden,
heißt. Die Stimme des Schofar ist die fünfte der fünf Säulen. Der Klang des Schofar
steht für Frieden. Dieser Klang symbolisiert auch die Freiheit. Die Freiheit des Einzelnen
zu entscheiden. Der wirkliche Frieden auf der Welt ist der Frieden, der keinen Terror
kennt. Ist der Frieden, der von allen Seiten gleichberechtigt angenommen wird, und
das ist der Grund, aus dem wir heute das Schofar haben erklingen lassen. Denn
ihr Besuch heute ist ein Zeichen – ein Symbol – für den Frieden der auf der Welt herrschen
muss. Einen Frieden ohne Terror. Wenn wir diese fünf Säulen jetzt zusammenfassen,
so bildet sich hieraus eine Hand. Und obwohl sie fünf Finger hat – sie ist doch eins.
Sie ist eine Hand, die Hand des jüdischen Volkes, und diese Hand gebe ich Ihnen als
ein Symbol des Friedens des jüdischen Volkes für alle Völker auf dieser Welt.
(rv 19.08.05 gs)