Papst Benedikt XVI. hat die Bedeutung der Musik für den Gottesdienst und das persönliche
Gebet unterstrichen. In einer Videobotschaft für ein Konzert der "Missa solemnis"
von Ludwig van Beethoven erklärte er, auch anhand der Geschichte der Kirchenmusik,
die Bedeutung von Gesang und instrumentaler Musik für die Liturgie. Hier ein Transskript
der Ansprache, die Benedikt XVI. während seines Urlaubs in Les Combes aufgezeichnet
hatte:
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Kölner Domkonzert,
von
Anfang an hat zur Heiligen Messe die Musik, das Singen, gehört. Wenn der Mensch vor
Gott steht, reicht ihm das bloße Reden nicht aus. So wie ganz allgemein Liebe und
Leid die Grenzen der bloßen Worte sprengen und einen Ausdruck suchen, der auch das
Unsagbare einbegreift, so ist es auch in der Begegnung mit Gott, in der der Mensch
sich selbst überschreiten will. Während das Beten Israels auch die Instrumente, die
Stimmen der Schöpfung, zu Hilfe gerufen hatte, um Gott angemessen zu antworten, hat
die Kirche zunächst aus vielerlei Gründen nur die menschliche Stimme für würdig gehalten,
ihre Freude an Gott und ihr Ringen mit Gott auszudrücken. So ist der gregorianische
Choral entstanden, dessen innere Reinheit und Leuchtkraft uns auch heute ganz unmittelbar
die Gegenwart Gottes spüren lässt. Im Mittelalter, in der Welt der Kathedralen, fing
man an, nach noch mehr und nach Größerem zu suchen: Es entstand die Polyphonie. Zur
Orgel als einer Synthese der Stimmen der Schöpfung traten nun auch die verschiedenen
Instrumente. Alles sollte aufgeboten werden, um Gott zu lobpreisen. Von da an sahen
es die großen Meister der Komposition als eine ihrer höchsten Möglichkeiten an, dem
Gotteslob in der Liturgie der Heiligen Messe musikalische Gestalt zu geben, Messen
zu komponieren, gleichsam ihre Meisterschaft Gott selbst zu Füßen zu legen und dabei
zugleich der Gemeinschaft der betenden Menschen zu dienen. So hat auch Johann Sebastian
Bach, obgleich evangelischer Christ, das unvergleichliche Werk der h-moll-Messe geschaffen,
die doch wohl als eine innere Einheit komponiert ist und uns die Kraft eines Glaubens
spüren lässt, durch den uns die Gegenwart Gottes von innen her anrührt. Auch für Beethoven,
diesem in einer Wende der Zeiten ringenden und leidenden Menschen, war es offenbar
ein inneres Muss, nach der auf die liturgischen Möglichkeiten bedachten Messe in C
eine große Messkomposition zu schaffen, in die er seine ganze Seele, die Leidenschaft
seines Ringens mit Gott hineinlegte, ohne sich von der Frage nach der praktischen
Realisierbarkeit des Werkes einengen zu lassen. Die „Missa solemnis“ ist nicht mehr
eigentlich liturgische Musik; das Subjekt mit seiner ganzen Leidenschaft und Größe
tritt nun – der veränderten Geschichtsstunde entsprechend – in den Vordergrund. Auch
der Glaube der Kirche ist jetzt nicht mehr als selbstverständliche Vorgabe da. Die
Gebetsworte der Menschen werden nun zu Wegen des Ringens um Gott, des Leidens an Gott
und an sich selbst, aber so auch zu Stufen einer Leiter, an der der Mensch sich festhält,
durch die er Gott festhält, ihm entgegen geht und so auch die Freude an Gott auch
neu erfährt. In diesem Sinn ist die „Missa solemnis“ ein immer von neuem erschütterndes
Zeugnis eines suchenden Glaubens, der Gott nicht loslässt und ihn über das Beten der
Jahrhunderte neu ertastet. Die „Missa solemnis“ gehört mit ihrer einzigartigen Größe
der Welt des christlichen Glaubens zu, ist Gebet im tiefsten Sinn des Wortes. Sie
macht uns zu Betenden, sie führt uns zu Gott. Dem WDR danke ich herzlich, dass er
uns dieses Konzert schenkt, das mehr ist als ein Konzert. Dem Royal Philharmonic Orchestra,
dem London Philharmonic Choir, den Solisten und dem Dirigenten, Sir Gilbert Levine
unser aller herzlichster Dank.