Mit dem Scheitern des europäischen Finanzgipfels ist die EU in ihre vielleicht tiefste
Krise seit Jahrzehnten geschlittert. Nach 17stündigen Gesprächen in Brüssel warfen
die Verhandler gestern Nacht das Handtuch, der Finanzrahmen bis 2013 konnte nicht
verabschiedet werden. Am ersten Gipfeltag hatten sich die EU-Vertreter bereits auf
einen vorläufigen Stopp des Ratifizierungsprozesses der Verfassung geeinigt. Zwei
Niederlagen auf einen Schlag, die Europa in eine Nachdenkpause zwingen, sagt der Philosoph
und Priester Aldo Giordano, der Generalsekretär des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen.
"Die Frage ist nur, wozu wir diese Pause nutzen. Auf der einen Seite denke ich,
muss sich Europa seiner Existenzgründe wieder bewusst werden. Es muss seine Grundwerte
wieder entdecken und die Richtung definieren, in die es jetzt gehen will." Andererseit
müsse Europa an diesem Punkt seine Beziehungen zu den anderen Kontinenten überdenken,
regt Giordano an. Denn: "Gewisse Nicht-Lösungen auf Probleme der Zeit scheinen
mir davon her zu rühren, dass Europa und seine Nationen in einer Selbstbespiegelung
gefangen sind. Gewiss, sie haben auch ein Recht, das zu tun. Doch sobald Europa sich
der Weltpolitik stellt, auch den Weltmärkten, ist unser Kontinent dazu herausgefodert,
schnell einen Weg der inneren Zusammenarbeit zu finden. Andernfalls riskiert Europa,
sich ins Abseits der Geschichte zu stellen." (rv 18.06.05 gs)