2005-04-19 19:22:51

Benedikt XVI. - erster deutscher Papst seit 482 Jahren


Er zog als Favorit ins Konklave ein und hat es - dem römischen Sprichwort zum Trotz - als Papst verlassen. Mit Joseph Ratzinger hat das Konklave zum ersten Mal seit 482 Jahren einen Deutschen an die Spitze der katholischen Kirche gewählt: einen Papst, der in den vergangenen Wochen häufig als geeigneter Nachfolger für
Johannes Paul II. genannt wurde, weil er wie kaum ein anderer für Kontinuität an der Kirchenspitze steht. Dies hatte er noch ein Mal bei der letzten Messe vor Konklavebeginn deutlich gemacht, als er in seiner viel beachteten Predigt die Kardinäle aufforderte, die Herde Christi zum wahren Glauben zu führen.
Fast ein Vierteljahrhundert lang war der weltbekannte Theologe der engste Mitarbeiter von Johannes Paul II. Als Präfekt der Glaubenskongregation bestimmte der frühere Erzbischof von München und Freising die theologische Linie des Pontifikats mit. Als Kardinaldekan führte er seit dem Tod des Wojtyla-Papstes die
Kirche souverän während der Sedisvakanz und festigte in dieser Zeit seine herausragende Position unter den Kardinälen. Der nüchterne Intellektuelle überraschte viele Gläubige, als er in seiner Totenpredigt auf Johannes Paul II. auch Emotionen zeigte. Als Papst wird Benedikt XVI. zweifellos die Linie des
vorangegangenen Pontifikats fortsetzen, möglicherweise noch klarer und konsequenter. Sicher aber wird er - auch angesichts seines Alters - seine Amtsführung ruhiger starten als sein Vorgänger.

Der neue Papst wurde am 16. April 1927 als Sohn eines Beamten in
Marktl am Inn, in der Diözese Passau, geboren. 1951 empfing er
die Priesterweihe. Mit 26 Jahren wurde Ratzinger Dozent für
Dogmatik und Fundamental Theologie in Freising. Beim Zweiten
Vatikanischen Konzil (1962-1965) fungierte er als theologischer
Berater des Kölner Kardinals Josef Frings. Anschließend lehrte er
nacheinander als Professor in Bonn, Münster, Tübingen und
Regensburg. Im März 1977 berief Papst Paul VI. ihn als Nachfolger
von Kardinal Julius Döpfner zum Erzbischof von München und
Freising. Wenige Wochen später erhielt er bei einem
«Extra-Konsistorium» in Rom den Kardinalspurpur.

Im November 1981 betraute Johannes Paul II. ihn mit der Leitung
der Glaubenskongregation. In dieser Funktion gehörte der
brillante Theologe rasch zu den anerkanntesten Persönlichkeiten
am Vatikan. Unter seiner theologischen Ägide erschien unter
anderem der neue Katechismus der katholischen Kirche. Für
Aufsehen sorgte in seinen ersten Dienstjahren die
Auseinandersetzung mit der so genannten Theologie der Befreiung.
Hier unterschied er scharf zwischen Strömungen, die mit der Glaubenslehre der
Kirche vereinbar sind - und solchen, die es nicht sind. Aber auch zu vielen anderen Fragen und Bereichen der Glaubens- und Sittenlehre stellte Ratzingers Behörde dar, was Lehre der Kirche ist und wo die Grenzen liegen - und dass demokratische Kriterien nicht ohne Weiteres auf Glaubens- und Kirchenfragen anwendbar sind. Für manche vatikanische Verlautbarung erntete Ratzinger auch persönliche Anfeindungen. Allerdings zog niemand die persönliche oder wissenschaftliche Reputation des Kardinalpräfekten in Zweifel.
Bewunderer wie Kritiker würdigen seinen scharfen Intellekt, seine klaren Analysen, seine geschliffene Sprache und seinen weiten theologischen Horizont. Für weltweite Debatten sorgte im September 2000 die von ihm verfasste Erklärung «Dominus Iesus», in der er die Einzigartigkeit der Menschwerdung Gottes in Jesus
Christus und die besondere Stellung der katholischen Kirche
betonte. Nicht nur als vatikanischer Amtsträger, sondern auch als Theologe
von Weltruf hat Ratzinger in den vergangenen Jahren weiter
gearbeitet und publiziert. In Büchern, Interviews und Studien
legte er scharfsinnige Analysen zum Zustand von Kirche und
Gesellschaft vor, die in ihrer Offenheit nicht allen gefielen -
und auch nicht nur gefallen wollten. Wiederholt beklagte der neue
Papst den Verlust des Heiligen etwa in der Liturgie oder der
Kirchenarchitektur.

In einer viel beachteten Zustandsbeschreibung verglich er die
nachkonziliare Kirche mit einer Baustelle, an der jeder nach
eigenem Gusto herumwerkele, weil der Bauplan verlorengegangen
sei. Wiederholt warnte er von einer undifferenzierten Konzils-
Euphorie, zeigte wenig Sympathie für den Ruf nach einem Dritten
Vatikanischen Konzil: Das Zweite, so meint er, sei längst noch
nicht aufgearbeitet und umgesetzt.

Auch in seiner jüngsten Meditation zum Karfreitag, die er acht
Tage vor dem Tod seines Vorgängers am römischen Kolosseum hielt,
schlug Ratzinger unmissverständliche Töne an. Der neue Papst
sprach von Priestern, die das Wort Gottes verdrehten und
missbrauchten. Er beklagte, dass in vielen Theorien wenig Glaube
sei. Dass die Kirche wie ein sinkendes Boot sei, dass es in ihr
«viel Schmutz» gebe und dass auch im Klerus Hochmut und
Selbstherrlichkeit vorherrschten. Diese Kritik und Selbstkritik
fand manchen Widerspruch. Offenbar hat seine Offenheit und
Ehrlichkeit jedoch die Kardinäle überzeugt.
(kna 19.04.05)







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