Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, hat den verstorbenen
Papst Johannes Paul als "Rufer in der Wüste" gewürdigt. Er sei leidenschaftlich für
Freiheit und Ökumene eingetreten, meinte Lehmann in seiner Predigt beim Pontifikalamt
in der Berliner Johannes-Basilika. An der Messe nehmen auch zahlreiche hochrangige
Vertreter des politischen Berlin teil. In der Päpstlichen Nuntiatur neben der Basilika
liegt ein Kondolenzbuch für den Papst aus, in das sich gestern auch Bundeskanzler
Gerhard Schröder eintrug. Hier ist die Predigt von Kardinal Lehmann in vollem Wortlaut.
"Es gibt von Papst Johannes Paul II. einzelne Worte, die ihn mit ihrer Wucht elementar
kennzeichnen: "Die Schwelle der Hoffnung überschreiten!" oder schon am Anfang: "Habt
keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus. Öffnet die Grenzen der
Staaten, der wirtschaftlichen und politischen Systeme, die weiten Bereiche der Kultur,
der Zivilisation und des Fortschritts seiner rettenden Macht." Bis zuletzt hat er
uns solche Worte geschenkt: "Bisher habe ich nach euch gesucht. Jetzt seid ihr zu
mir gekommen. Ich danke euch." Oder die Botschaft am Ende: "Ich bin froh - seid ihr
es auch!"
Dies ist Johannes Paul II.: Er empfand es als seine Sendung,
von Gott her im Namen des Evangeliums Jesu Christi die ganze Welt zu umfangen und
sich ihrer Größe und ihrem Elend zu öffnen. Der Papst hat dafür keine Legionen. Seine
Macht kommt aus der Sphäre der Überzeugungen. Diese gründen für ihn bei aller universalen,
wirklich katholischen Reichweite seiner Botschaft tief in den Antriebskräften des
persönlichen Glaubens. Beides, so spannungsvoll es ist und bei den meisten Menschen
auseinander fällt, kommt aus einer Wurzel. An Johannes Paul II. konnte man gut ablesen,
wie wahr das Wort des großen evangelischen Historikers Leopold von Ranke ist, der
zu Beginn des 19. Jahrhunderts schrieb, die Macht der Päpste sei eine "Macht des Daseins".
Keine Macht der Welt kann diese Stärke ersetzen. Zu ihr gehört die Unerschütterlichkeit
eines Glaubens, die die Person Karol Wojtyla und die Ausübung seines Petrusdienstes
bestimmten.
Während der Hälfte seines Lebens hat er politische Systeme
erfahren und erlitten, die dem Menschen bei allen Versprechungen das höchste Gut genommen
haben, das er in dieser Welt kennt, nämlich seine Freiheit. Immer wieder hat darum
dieser Papst eine neue "Kultur der Freiheit" verlangt. So sagte er 1995 zum 50. Jahrestag
der Gründung der Vereinten Nationen in New York über die Menschenrechte: "Freiheit
ist nicht einfach die Abwesenheit von Tyrannei und Unterdrückung ... Losgelöst von
der Wahrheit über die menschliche Person, verkommt Freiheit im Leben der Individuen
zur Freizügigkeit, und im politischen Leben wird sie zum Spielball der Mächtigsten
und zur Arroganz der Macht." Als Johannes Paul II. zum dritten und letzten Mal unser
Land besuchte und hier in Berlin mit Bundeskanzler Helmut Kohl das Brandenburger Tor
durchschritt und sich danach am 23. Juni 1996 verabschiedete - immer wieder kam er
auf die Bedeutung dieser Geste zurück -, waren seine letzten Worte in Deutschland
ein einziger "Appell für die Freiheit". Leidenschaftlich hat er dies ausgeführt: "Freiheit
ist kein Freibrief! Wer aus der Freiheit einen Freibrief macht, hat der Freiheit bereits
den Todesstoß versetzt ... Die Idee der Freiheit kann nur da in Lebenswirklichkeit
umgesetzt werden, wo Menschen gemeinsam von ihr überzeugt und durchdrungen sind. -
In dem Wissen um die Einmaligkeit und Würde des Menschen und um seine Verantwortung
vor Gott und den Menschen ... Die Freiheit des einzelnen ist nicht zu trennen von
der Freiheit der anderen, aller anderen Menschen. Wo die Menschen ihren Blick auf
das je eigene Lebensfeld begrenzen und nicht mehr bereit sind, auch ohne Vorteile
für sich selbst sich für andere zu engagieren, da ist die Freiheit in Gefahr. In Solidarität
gelebte Freiheit demgegenüber wirkt sich aus im Einsatz für Gerechtigkeit im politischen
und sozialen Bereich und lenkt den Blick auf die Freiheit. Es gibt keine Freiheit
ohne Solidarität." Freilich verlangt dies einen hohen Preis: "Sie verlangt Hochherzigkeit,
und die schließt Opferbereitschaft mit ein; sie verlangt Wachsamkeit und Mut gegenüber
den Kräften, die sie von innen oder von außen bedrohen ... Keiner kann sich von seiner
persönlichen Verantwortung für die Freiheit dispensieren. Es gibt keine Freiheit ohne
Opfer."
Weil der Papst aus dieser letzten Tiefe sprach, wurden seine
Worte auch im Grunde von niemandem politisch missverstanden oder missbraucht. Dennoch
haben sie immer wieder die jeweilige konkrete gesellschaftliche und politische Realität
meisterhaft getroffen. So hatten diese Worte oft eine ganz erstaunliche Wirkung in
der Nähe und in der Ferne. So bietet der Papst der säkularen Weltmacht der USA, wenn
es um den Erhalt des Friedens geht, die Stirn, ohne ihren großen humanen Rang auch
nur ein bisschen herabzusetzen. Im Blick auf die verzweifelte Lage im Nahen Osten
lässt er keine Gelegenheit aus, für Frieden und Verständigung zu werben. Auch wenn
er weiß, dass das Wohlstandsgefälle und die kulturelle Distanz zwischen Nord und Süd
Sprengstoff im Leben der Völker ist, auf dem die Flamme der Gewalt auflodern kann,
so sagt er dem internationalen Terrorismus den Kampf an. Er ist und bleibt der Brückenbauer
schlechthin, Pontifex Maximus.
Alle loben ihn heute und zollen ihm
Achtung. Freilich, im Lauf der 26 Jahre war er auch in dieser Hinsicht oft ein einsamer
Rufer in der Wüste. Vieles von dem, was er beklagt, ist auch heute noch unerledigt.
Wir dürfen darum seine Worte nicht vergessen. Nicht immer hat man besonders im Inneren
der Kirche die Kraft seines prophetischen Auftretens recht verstanden. Nicht wenige
werfen ihm auch heute vor, er habe zwar in die Welt hinein ein großes Beispiel der
Hoffnung für alle Menschen gegeben, aber nach innen Freiheit und Dialog weniger gefördert.
Aber was meint man mit Freiheit und mit Dialog? Gewiss kam Karol Wojtyla aus einer
Situation, in der für die Kirche mitten in den Diktaturen Einheit und Disziplin Überlebensvoraussetzung
waren. Und gewiss hat er darüber hinaus auch Recht, dass eine Kirche, die sich so
weit in die Vielfalt und Spannungen der Kulturen sowie politischen Systeme hinauswagt,
im Inneren eine einander tief verpflichtende und verlässliche Gemeinschaft, vor allem
des Glaubens und so auch der Lehre sein muss, um den zentrifugalen Kräften, denen
wir alle ausgesetzt sind, widerstehen zu können. Für uns Kinder pluralistischer und
manchmal auch zum Individualismus neigender Gesellschaften ist dies keine leichte
Botschaft. Der Papst hat mit der ihm eigenen Festigkeit des Geistes und Klugheit des
Seelsorgers, der den Menschen kennt, große Barmherzigkeit walten lassen, wenn wir
Menschen zu schwach waren, um diesen Verführungen Widerstand zu leisten. Aber er hat
sich leidenschaftlich dagegen gewehrt, wenn wir wegen unserer gut gemeinten Anpassungsfreudigkeit
die unverwechselbare Stärke unseres Glaubens und seiner Grundsätze verraten haben.
Da können wir alle von ihm noch viel lernen. Da muss das ringende Gespräch mit ihm
weitergehen.
Dies gilt auch für das immer engere Zusammenwachsen der
Christen in Ost und West. Immer mehr war Johannes Paul II. von diesem Geist der Ökumene
tief erfüllt. Er hat ihn auch leidenschaftlich gefördert und gefordert. Manchmal hatte
er freilich auch die Sorge, dass wir uns zu billig auf den kleinsten gemeinsamen Nenner
verständigen könnten. So hat er uns schon in der wichtigen Begegnung mit Vertretern
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in Mainz am 17. November 1980 zugerufen:
"Alle Dankbarkeit für das uns Verbleibende und uns Verbindende darf uns nicht blind
machen für das, was immer noch trennend zwischen uns steht. Wir müssen es möglichst
miteinander ins Auge fassen, nicht um Gräben zu vertiefen, sondern um sie zu überbrücken
... Miteinander sind wir gerufen, im Dialog der Wahrheit und der Liebe die volle Einheit
im Glauben anzustreben. Erst die volle Einheit gibt uns die Möglichkeit, uns eines
Sinnes und eines Glaubens an dem einen Tisch des Herrn zu versammeln." Ist uns dieser
Weg zu weit und zu beschwerlich? Dann hätten wir ihn und sein Testament nicht verstanden.
Amen." (pm 06.04.05 sk)