Montag, 16. Oktober, 18.18 Uhr: Weißer Rauch nach dem achten Wahlgang des zweiten
Konklaves im denkwürdigen Drei-Päpste-Jahr 1978. «Habemus Papam - Carolum Wojtyla»,
verkündet Kardinal-Protodiakon Pericle Felici von derMittelloggia des Petersdoms aus
der überraschten Menge. «Der sich den Namen Johannes Paul II. gegeben hat», fügt er
hinzu.
Höflicher Beifall für den «Ausländer». Erst nach einer «Schrecksekunde», vor allem
aber bei seiner improvisierten Rede in passablem Italienisch, springt der Funke über.
Der neue Papst spricht von seiner Angst vor dem hohen Amt, das er im Gehorsam gegenüber
Gott annimmt. «Und wenn ich mich nicht gut ausdrücken kann in eurer - in unserer italienischen
Sprache, werdet ihr mich verbessern». Der artige Applaus wird zur Begeisterung. «Einmagischer
Moment voller Emotionen», titelt die Vatikan-Zeitung „Osservatore Romano» am nächsten
Tag.
Mehr als 26 Jahre ist es her, seit der erste Nicht-Italiener nach 455 Jahren den Stuhl
Petri bestieg. Seit dem beschwörenden Appell seiner Antrittsrede: «Habt keine Angst!
Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus. Öffnet die Grenzen der Staaten, die
wirtschaftlichen und politischen Systeme für seine rettende Macht.» War es Zufall
oder Fügung, dass die 111 Kardinäle einen «Außenseiter» wählten, den 58-jährigen Kardinal
aus Krakau? Auf jeden Fall sollte der dynamische und polyglotte Kleriker die Kirche
nach dem Aufbruch des Konzils und den Stürmen der Nachkonzilszeit in ruhige Bahnen
lenken. Sein Organisationstalent, seine Medienerfahrung, sein Standvermögen im Umgang
mit totalitären Machthabern und nicht zuletzt seine robuste Gesundheit schienen eine
gute Voraussetzung zu sein, die Kurie zu lenken und die Kirche zu leiten - in Weltoffenheit.
Schon das Pontifikats-Programm, das der neue Papst zum Ende des Konklaves vortrug,
enthielt die wesentlichen Elemente seiner Amtszeit: Treue zum Konzil unter besonderer
Berücksichtigung von Glaubensverbreitung und Ökumene, von Kirchen-Organisation und
-Disziplin. Das Glaubensgut müsse unversehrt bewahrt, die innere Einheit der Kirche
geschützt, die liturgischen Normen beachtet und die Kollegialität gefördert werden
- etwa durch die Bischofssynoden. Zudem sollte die Kirche ihren Beitrag zu Frieden,
Fortschritt und Gerechtigkeit der Völker leisten. «Wir müssen mit allen Mitteln danach
streben, dass sämtliche Formen der Ungerechtigkeit, die heute vorkommen, gemeinsam
erwogen und
wirklich beendet werden, so dass alle Menschen ein wahrhaft menschenwürdiges Leben
führen können».
Dieses Programm setzte Johannes Paul II. mit spektakulären Initiativen und unkonventionellen
Gesten, mit großer Liturgie und stillem Gebet, mit öffentlichen Reden, Botschaften
und mit vertraulicher Diplomatie um. Unter dem Pontifex aus Polen hat das Papsttum
Beachtung und Anerkennung erreicht wie nie zuvor in seiner Geschichte.
Johannes Paul II. schrieb 14 Enzykliken und berief 15 Bischofssynoden ein, er hielt
über 1.000 Generalaudienzen, empfing 890 Staats- und Regierungschefs und proklamierte
rund 1.800 Heilige oder Selige. Als erster Papst besuchte er eine jüdische Synagoge.
Überhaupt ist die Aussöhnung mit dem Judentum ein großes Anliegen des 1920 in Wadowice
unweit von Auschwitz geborenen Wojtyla. Sein Besuch der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte
Yad Vashem und der Gang zur Klagemauer waren Meilensteine. Weiter lud Johannes Paul
II. zu interreligiösen Friedenstreffen nach Assisi ein. Nach dem 11. September 2001
warnte er auch vor einer Islam-Phobie und vor einem Religionskrieg. Und erst zu Beginn
dieses Jahres erwarb er sich mit seiner Irak-Diplomatie weltweit Respekt. Sie konnte
zwar nicht den Krieg, möglicherweise aber ein schlimmeres Szenarium verhindern.
Wichtiges Führungselement im Pontifikat Johannes Paul II. waren seine 104 Auslandsreisen,
bei denen er über 1,2 Millionen Kilometer zurückgelegt hat. Überhaupt suchte Johannes
Paul II. den Kontakt zu den Menschen. Pastoral ließ sich für ihn nicht vom vatikanischen
Schreibtisch aus verwalten. Er wollte Kirche auf den unterschiedlichsten Wegen in
der Welt präsent machen. Selbst nach dem Attentat, als der Türke Ali Agca ihn am 13.
Mai 1981 auf dem Petersplatz mit drei Schüssen lebensgefährlich verletzte, wollte
er entgegen dem Rat seiner Sicherheitsleute nicht auf das «Bad in der Menge» verzichten.
Vermutlich den Erfahrungen mit kommunistischen Potentaten ist es zuzuschreiben, dass
der Einsatz für Menschenrechte, für Demokratie und Freiheiten zu den starken Akzenten
im Pontifikat von Johannes Paul II. gehörten - auch wenn Karol Wojtyla politische
Ambitionen stets energisch bestritt. Mit seinen Reisen nach Polen, mit seiner «Einmischung»
in der Aufbruchsphase von «Solidarnosc» unter Arbeiterführer Lech Walesa förderte
und beschleunigte er den gesellschaftlichen Umbruch. Sein früherer «Gegenspieler»
aus dem Kreml, Michail Gorbatschow, wie auch die US-Präsidenten bis zu George W. Bush
bescheinigten dem Papst einen maßgeblichen Beitrag zum Sturz des Kommunismus in Europa.
Johannes Paul II. propagierte konsequent die Botschaft vom Menschen und seinen Rechten,
ebenso eindringlich forderte er aber auch das Recht auf Leben gegen Abtreibung und
Euthanasie. Unbeirrt forderte er die Beachtung ethischer Normen, den Schutz für Ehe
und Familie. Nach der breiten Zustimmung für das Irak-Engagement erhielt er herbe
Kritik für das vatikanische Nein zur Homo-Ehe. Dem oft gefeierten «Superstar» schlug
immer wieder auch scharfe Polemik entgegen.
Seit Beginn seiner Amtszeit hatte Johannes Paul II. die Vision, die Kirche ins dritte
Jahrtausend zu führen. Dieses Ziel, das wegen mancher Krankheiten manchmal unerreichbar
schien, hat er erreicht. Das Heilige Jahr 2000 war ein Mammut-Ereignis mit 30 Millionen
Rom-Pilgern - und mit religiösem Tiefgang.
(02.03.05 gs)