2005-03-18 11:51:14

Dossier: 40 Jahre "Gaudium et spes"


Einer der großen kirchlichen Texte des 20. Jahrhunderts feiert sein 40-jähriges Jubiläum: „Gaudium et spes“ – der Text, mit dem sich das Konzil und damit die Kirche der Welt von heute öffnete. Er ist ein Kernstück des heutigen kirchlichen Selbstverständnisses und ein Eckstein, den die Konzilsväter der Kirche hinterlassen haben.
93 Artikel ist sie lang, die – so der offizielle Name – „Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute“. Der berühmteste Satz ist der erste: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ Von geradezu goetheschem Schmiß ist der zweite Satz: „Es gibt nichts Menschliches, das nicht in unseren Herzen seinen Widerhall fände.“ Eine anthropo-zentrische Wende der Kirche, findet der brasilianische Kardinal Claudio Hummes: „Das ist eine Kirche, die mit der Welt reden will. Sie will die Welt nicht einfach verurteilen, sondern will sie retten und will ihr dienen. Wie Jesus gesagt hat: Ich will die Welt nicht verdammen oder verurteilen, sondern sie retten – dieses starke Wort gilt ganz besonders für diese Pastoralkonstitution.“
Mehrere Monate lang feilten die Konzilsväter vor 40 Jahren an „Gaudium et spes“, erklärten sich zu Themen wie Fruchtbarkeit, Fortschritt, Arbeitswelt, Christen in der Politik. Heraus kam ein großer Text zur Menschenwürde – der einzige Text des Konzils übrigens, der bei Verbesserungsvorschlägen nicht länger, sondern immer kürzer wurde. Bis zur letzten Minute wurde vor allem um das Thema Frieden und internationale Gerechtigkeit gerungen – schließlich war die Welt damals noch in zwei Blöcke zerfallen.
„Schon der Titel dieser Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute öffnet uns das Herz zur Hoffnung für die Zukunft der Menschheit.“ Das findet der vatikanische Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano. „Freude und Hoffnung, Gaudium et spes. Ich habe gehört, dass der erste Entwurf des Dokuments eigentlich mit den Worten anfing Gaudium et Luctus, also Freude und Trauer. Da ist es doch ein gutes Vorzeichen, dass man sich da zu einer Änderung entschlossen hat.“
Änderungen gab es damals wirklich nicht zu knapp – die Vorschläge dazu füllten 1965 fast 500 großformatige Seiten, mit einfachem Zeilenabstand. Eine in Zürich erstellte Fassung, die von einer Zusammenarbeit mit den getrennten christlichen Brüdern sprach, ging leider verloren oder wurde verlegt – so dass Ökumene leider in Gaudium et spes so gut wie nicht vorkommt.
Der Text, der jetzt vierzigsten Geburtstag feiert, war eigentlich der Startschuß des menschenrechtlichen Engagements der Kirche und des Vatikans. Der „Friedensminister“ des Vatikans, Kardinal Renato Martino, formuliert das so: „Gaudium et spes sieht die Kultur, das sozio-ökonomische Leben, Ehe und Familie, Politik, Frieden und Völkergemeinschaft im Licht der christlichen Vorstellung vom Menschen. Alles geht hier von der menschlichen Person aus oder führt auf die Person hin: der Mensch, die einzige Schöpfung auf der Erde, die Gott für sich selbst wollte. Alles, die Gesellschaft, ihre Strukturen und ihre Entwicklung, hat zum Ziel das Beste der menschlichen Person. Zum ersten Mal äußert sich das kirchliche Lehramt auf höchstem Niveau so eingehend zu den zeitlichen Aspekten des christlichen Lebens. Die Aufmerksamkeit, die Gaudium et spes den sozialen, psychologischen, politischen, wirtschaftlichen, moralischen und religiösen Änderungen geschenkt hat, hat die Sorge der Kirche für die Probleme des Menschen kräftig stimuliert, und auch ihren Dialog mit der Welt.“
Das war nicht nur eine neue Haltung zur Welt, es war auch eine neue Kirche – genauer: eine neue Art, Kirche zu sein. „Eine neue Vorstellung vom Gottesvolk“, sagt Kardinal Martino. Sie habe tief in die Kirche hineingewirkt. „Sie hat auch neues Interesse an der kirchlichen Lehre geweckt – vor allem, was das Zeugnis und Leben der Christen betrifft, als authentische Art, die Präsenz Gottes in der Welt sichtbar zu machen. Hier wird das Antlitz einer Kirche deutlich, die sich tief solidarisch mit dem Menschen und seiner Geschichte fühlt, die ihren Weg zusammen mit der Menschheit geht und ihr Los teilt.“
Der konkrete Anstoß zu dem Dokument ging damals vom brasilianischen Bischof Helder Camara aus. Er stellte Anfang der sechziger Jahre in Rom die rhetorische Frage: „Sollen wir unsere ganze Zeit darauf verwenden, interne Probleme der Kirche zu diskutieren, während zwei Drittel der Menschheit Hungers sterben?“ Kardinal Suenens schaffte es dann 1962, die Konzilsväter für das Thema zu erwärmen. Heute liest sich Gaudium et spes wie ein leicht angestaubtes Regierungsprogramm des jetzigen Papstes – denn Johannes Paul hat sich dieses Dokument entschlossen zu eigen gemacht und ist dadurch zu einer Art Ein-Mann-NGO geworden, zu einem Vorkämpfer von Frieden und Menschenrechten. „Das ist ja auch ein weltweiter Anspruch“, sagt Kardinal Sodano. „Denn Armut, Krieg, die Dramen der Menschheit gibt es ja auch heute noch. Aber in Gaudium et spes steht auch etwas anderes drin, das heute oft vergessen wird: Es gibt grundlegende Prinzipien des Naturrechts, die alle Menschen guten Willens automatisch verständlich sind. Eine Grammatik, die jeder lesen kann. Die Wahrheit über den Menschen hängt also nicht von Abstimmungen ab, sie ist dem Menschen ins Herz geschrieben: ein Naturgesetz, eine gemeinsame Grammatik, die die Würde des Menschen und der Familie zum Inhalt hat. Ein einziges Moralgesetz für alle. Der Agnostizismus von heute tendiert dazu, diesen Wert zu vergessen.“
Der vorletzte Artikel von Gaudium et spes schließt mit folgenden Worten: Der Wunsch nach einem solchen Dialog schließt unsererseits niemanden aus. Weder jen,e die hohe Güter der Humanität pflegen, deren Urheber aber noch nicht anerkennen – noch jene, die Gegner der Kirche sind und sie auf verschiedene Weise verfolgen. Da Gott der Vater Ursprung und Ziel aller ist, sind wir alle dazu berufen, Brüder zu sein. Und darum können wir aus derselben menschlichen und göttlichen Berufung ohne Gewalt und ohne Hintergedanken zum Aufbau einer wahrhaft friedlichen Welt zusammenarbeiten.“
(18.03.05 sk)







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